Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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der sie über die Grenzen ihrer Existenz als Partikularkirche hinausführt“230, wodurch „ein Stück der Weite des Leibes Christi deutlich wird. Innerhalb der Brüdergemeine ist dieses ‚katholische Moment‘ vor allem durch die weltweite Struktur von Kontakten und Partnerschaften zwischen den einzelnen Unitätsprovinzen gegeben. Nach außen hin ereignet sich die Erfahrung von katholischer Weite in ökumenischen Verbindungen und Begegnungen“231. Die Gabe der Katholizität wird als Aufgabe verstanden, „die Begegnung mit anderen Traditionen zu suchen und angemessene Formen der gegenseitigen Anerkennung und des gemeinsamen Betens, Bekennens und Handelns zu finden“232.

       4.7Katholizität in altkatholischer Sicht

      Das Katholizitätsverständnis der altkatholischen Kirchengemeinschaft hat sich seit dem Schisma mit Rom in unterschiedlichen Abstufungen entwickelt.233 Dabei gingen die Auffassungen darüber, was und wer „katholisch“ sei, anfangs weit auseinander: Während der Schweizer Bischof Eduard Herzog 1920 etwa der Meinung war, dass keine Kirche für sich Katholizität in vollem Sinne beanspruchen könne234, sah Ignaz von Döllinger fast fünfzig Jahre zuvor zwar Teile, aber nicht die ganze Katholizität in einer Ortskirche verwirklicht235. Joseph Hubert Reinkens indes sprach 1877 – in Abwehr des auf dem 1. Vatikanum festgeschriebenen Jurisdiktionsprimats des Papstes als sichtbarem Prinzip der kirchlichen Einheit – jeder altkirchlichen Ortskirche volle Katholizität und damit volles Kirchesein zu, dergestalt, dass er die Katholizität als Erweis der Fülle des Glaubens verstand, in der die einzelnen Ortskirchen in sich stünden und durch welche sie miteinander geeint seien. Diese Kirchengemeinschaft indes sah er nicht durch die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom als notwendiges Einheitsprinzip vermittelt. Reinkens hebt damit vor allem die qualitative Dimension der Katholizität hervor und vertritt schon früh eine Ortskirchenekklesiologie, die für die Anglikanische Gemeinschaft bestimmend werden sollte.236

      In den folgenden Jahren erwies sich in den ökumenischen Bemühungen die Katholizität der einzelnen Konfessionskirchen – mit Ausnahme der (römisch-)katholischen Kirche – als Bedingung der Möglichkeit gegenseitiger Anerkennung (Kirchengemeinschaft) und Abendmahlsgemeinschaft.

      Kurt Stalder kann als eigentlicher Wegbereiter der heutigen altkatholischen Ortskirchenekklesiologie angesehen werden, die später von Peter Amiet237 und Herwig Aldenhoven238 weiter entwickelt wurden. Dieser setzte ausgehend von Ernst Gaugler239 seine ekklesiologischen Überlegungen im Neuen Testament sowie in der altkirchlichen Tradition an. Seine Thesen können wie folgt zusammengefasst werden:

      „Da sich konkreter Vollzug von Gemeinschaft nur in einem bestimmt umgrenzten Raum ereignen kann, tritt Kirche grundsätzlich als ‚Kirche an einem Ort’ […] in Erscheinung. In jeder derartigen Lokalkirche ist die ganze Wirklichkeit von Kirche gegenwärtig. […] Gerade darum, weil von der Lokalkirche das alles zu sagen ist […][,] kann die Lokalkirche keine in sich selbst abschließende Monade sein. Sie […] muss darum erwarten, dass sich ihre eigene soteriologisch-trinitarische Realität darin bestätige, dass sie in den anderen Lokalkirchen dieselbe Wirklichkeit gegenwärtig findet, sich selbst in den anderen Lokalkirchen wieder erkennt. Sie muss sich darum mit jeder anderen Lokalkirche verbunden sehen und diese Einheit […] zum Ausdruck bringen. […] So erfahren die Lokalkirchen, dass ihr Gemeinschaftscharakter auch eine geographisch-universelle […] Realität ist […][, die] aber nicht durch die Vielzahl von Lokalkirchen und ihre Summierung konstituiert [ist][…], sondern dadurch dass der soteriologisch-trinitarische Grund jeder Lokalkirche seiner Natur nach universell ist. […] Die universelle Einheit der Kirche [sc. ihre Katholizität] ist nicht Produkt, sondern Grund aller Lokalkirchen“240.

      Urs Küry drückte schon Jahre zuvor aus, was Stalders Ekklesiologie intendiert:

      „Die Katholizität ist […] in erster Linie eine innere, qualitative, und erst in zweiter Linie eine äußere, quantitative. Anders ausgedrückt: Katholisch ist die Kirche nicht schon dadurch, dass sie auf der ganzen Erde verbreitet ist, sondern dadurch, dass sie überall, wo sie verbreitet ist, die Eine und ganze Kirche in ihrer Fülle ist.“241

      Diesen Ansatz übernahm das im Jahre 2000 verabschiedete Statut der in der Utrechter Union vereinigten Bischöfe.242

       5. Ziel der Untersuchung und methodisches Vorgehen

      Der Aufriss des Bedeutungshorizontes des Begriffs „katholisch“ bzw. „Katholizität“, deren folgenschwere Begriffsgeschichte und die je unterschiedlich konnotierten Sichtweisen in den verschiedenen Denominationen lassen erahnen, dass die Wesensbestimmung der Katholizität sowohl für die binnenkirchliche als auch für die zwischen- und außerkirchliche Diskussion von nicht unbeachtlicher Bedeutung ist. Alle christlichen Konfessionen verstehen sich in direkter oder indirekter Weise als Repräsentantin bzw. Verwirklichungsform der einen Kirche Jesu Christi, deren Auftrag es ist, alle Menschen an allen Orten und zu allen Zeiten der unverfälschten Heilsbotschaft Jesu Christi teilhaftig werden zu lassen und in die volle Gemeinschaft mit Gott und untereinander zu führen. Hierzu, so der mehr oder weniger erhobene Anspruch, haben alle Konfessionen direkt oder indirekt Anteil an der Katholizität, die nicht nur drängt, sondern auch befähigt, der der Kirche zukommenden Sendung gerecht zu werden. Wie die Katholizität der Kirche derweil qualitativ begründet ist, d.h. worin und worauf ihr Katholischsein essentiell gründet und was dies für Auswirkungen auf den zugrunde zu legenden Kirchenbegriff hat; wie die Katholizität der Kirche ferner quantitativ zu ergründen ist, d.h. woran man denn überhaupt objektiv erkennen kann, dass eine Kirche „katholisch“ ist; und wie sich die qualitative Dimension der Katholizität, also ihr Seinsgrund (intensive Katholizität), letztlich zu ihrer quantitativen Dimension, ihrem Erkenntnisgrund (extensive Katholizität), verhält, bleibt in den verschiedenen Konfessionen indes unterschiedlich beantwortet.

      Die vorliegende Untersuchung will diesen Fragenkomplex unter einem begrenzten Focus – nämlich aus Sicht des spezifisch (römisch-)katholischen Kirchenverständnisses seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil – aufgreifen und weiterführen. Sie versucht zu klären, wie das Wesen der Katholizität auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und in Folge dessen in der deutschsprachigen katholischen nachkonziliaren systematischen Theologie bestimmt wird, d.h. wie deren Seinsgrund (qualitative, intensive Dimension der Katholizität) und Erkenntnisgrund (quantitative, extensive Dimension der Katholizität) inhaltlich gefüllt und beider Verhältnisse zueinander gesehen und gewichtet werden. Anlass dafür gibt die Beobachtung, dass die in der gegenwärtigen theologischen Diskussion gebräuchliche Differenzierung von qualitativer und quantitativer Dimension der Katholizität – wenn auch nicht den Begriffen nach, so doch inhaltlich – schon seit frühester Zeit intendiert war. Bereits Ignatius von Antiochien zeigte mit der Bezeichnung „ἡ καθολικὴ ἐκκλησία“ sowohl die qualitative Fülle und Vollkommenheit der Kirche als auch ihre quantitative Weite und universale Verbreitung an. Mit dieser Differenzierung aber – und hierin lassen sich Unterschiede im konfessionellen Verständnis der Katholizität erkennen – schrieb er der Kirche keine ausschließliche Seinsbeschreibung zu, die der Kirche eine nur unsichtbare Wirklichkeit, eine vage und unbestimmte Allgemeinheit zuspricht. Vielmehr dachte Ignatius die Katholizität immer schon zugleich als eine notwendig sichtbare, konkretisierte Universalität der Kirche, als eine „Katholizität in konkreter Gestalt“243. Seine Äußerung: „Wo der Bischof erscheint, da soll auch die Gemeinde sein, wie da, wo Christus Jesus sich befindet, auch die katholische Kirche ist“244 lässt erahnen, dass Ignatius mit dem Attribut „katholisch“ aussagen wollte: Die in Christus innergeschichtlich erschienene Fülle des Heils (vgl. Joh 1,16; Eph 1,10; Kol 1,19. 2,9) ist in seiner Kirche zugegen (Seinsgrund der Katholizität); und sie ist dies nicht auf eine unkonkrete, allgemeine Weise, sondern in einer notwendig konkreten und sichtbaren Gestalt (Erkenntnisgrund der Katholizität).

      Die vorliegende Untersuchung geht analytisch-systematisch vor. In einem ersten, mehr analytischen Teil schält sie die Bedeutungsvielfalt des Begriffs „katholisch“ bzw. „Katholizität“ heraus,


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