Es war eine berühmte Stadt .... Christian Klein

Es war eine berühmte Stadt ... - Christian Klein


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ist, lässt sich tatsächlich doch weder die eine entscheidende Situation einer totalen Zerstörung der Stadt noch der konkrete Zeitpunkt für einen umfassenden Wiederaufbau angeben. Der Hunneneinfall von 451 scheint dagegen für Mainz, anders als es Gozwins „Passio Albani“ behauptet hatte, keine größeren Schäden verursacht zu haben. Alle historischen Indizien verweisen vielmehr hier wie auch anderswo in der Spätantike auf eine längere Fortdauer römischer Herrschaft und Kultur auf einem reduzierten zivilisatorischen Niveau, bevor sich die Situation auch des Mainzer Bischofssitzes im Frankenreich wieder festigte.76 Doch sind solche zuspitzenden Vereinfachungen typisch für eine Geschichtsschreibung, der es auf die Festigung einer historisch begründeten kollektiven Identität ankam, sei es eines Klosters oder einer Stadtgemeinde.77 Die Forschung hat erst in jüngerer Zeit den Wert solcher Überlieferungen für das Selbstverständnis der dahinter stehenden Milieus, aber auch den Zusammenhang dieser Erzählungen mit bestimmten erzählerischen Grundstrukturen erkannt.

      Als zweiter Stadtgründer von Mainz hat Dagobert im Rahmen einer faktischen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert ausgedient. Der Glaube an oder zumindest Spekulationen um eine merowingische Königsburg, vielleicht auch eine Dagobert-Burg, hielten und halten sich dagegen hartnäckig, obwohl die beiden Urkunden, die früher als Kronzeugen galten, sich als Fälschungen erwiesen haben. So wurde 1890 nach der Auffindung geheimnisvoller Ruinen am Südbahnhof – dem Römischen Theater, wie sich später herausstellte – eine Straße in nächster Nähe dieser Ruinen nach König Dagobert benannt.78 Und Archäologen suchen bis heute nach der frühmittelalterlichen Königsburg.79

      1 Dieser Turm wurde wohl in die erzbischöfliche Martinsburg einbezogen, die in den 1470er Jahren errichtet wurde. Heute steht an dieser Stelle das kurfürstliche Schloss; vgl. Enno BÜNZ, Die Mainzer Residenz im ausgehenden Mittelalter. Ein unbekannter Augenzeugenbericht über den Brand der Martinsburg 1481. In: Mainzer Zeitschrift 105 (2010) S. 3–19, hier S. 5f.

      2 Zu dieser Schmiede in der Nähe des im 14. Jahrhundert errichteten Neuturms (später als Holzturm bezeichnet) Ludwig FALCK, Mainz in seiner Blütezeit als Freie Stadt (1244 bis 1328) (= Geschichte der Stadt Mainz 3). Düsseldorf 1973, S. 73 und 78.

      3 Es dürfte (auch wenn anscheinend weitere Belege für die Bezeichnung als Steinerne Brücke fehlen) die Brücke an der inneren Altmünsterpforte über den hier auch Umbach genannten Zaybach gemeint sein; vgl. zu dieser Brücke Karl Anton SCHAAB, Geschichte der Stadt Mainz, Bd. 1. Mainz 1841, S. 193f und 198f; FALCK, Mainz Bd 3 (wie Anm. 2), S. 80f zum Verlauf des Zaybachs in diesem Bereich. Ich danke Herrn Prof. Dr. Wolfgang Dobras für Hinweise.

      4 Heutiges Gautor.

      5 Zur Bedeutung von Wighaus siehe bei Anm. 22.

      6 Im Text ist von einem heidenschen bischof[s] die Rede, womit auf die Bischöfe der frühchristlichen Epoche noch unter römischer Herrschaft verwiesen wird. Diese angebliche erste Bischofsburg am Grinsturm hätten die Mainzer einer späteren Stelle im Text zufolge (WINDECKE, hg. ALTMANN, wie Anm. 19, S. 462) den Erzbischöfen abgekauft und dann abgebrochen.

      7 Der Autor scheint sich hier auf Nachrichten zu beziehen, die ursprünglich der Chronik des fränkischen Chronisten Fredegar entstammen, wonach Dagobert I. 630/31 gegen den Slawenfürsten Samo, der wahrscheinlich seinen Hauptsitz Wogastisburg im Gebiet des späteren Böhmen hatte, zu Felde zog; vgl. Frantisek GRAUS, Art. Böhmen. In: LMA Bd. 2, 1983, Sp. 335–344, hier Sp. 336 sowie Walter POHL, Art. Samo. In: LMA Bd. 7, 1995, Sp. 1342f; siehe auch unten bei Anm. 46.

      8 Bede und Geschoss waren spätmittelalterliche Ausdrücke für Steuern.

      9 Siegel aus Gold wurden üblicherweise von Königen und Kaisern seit dem Hochmittelalter verwendet, waren also zur Zeit der Merowingerkönige noch ganz unüblich.

      10 Im Text: biderman.

      11 Kastel war nie Stadt.

      12 Oppenheim war bis in das 14. Jahrhundert Reichsstadt.

      13 Bingen und das Rheingau gingen im Rahmen der Veroneser Schenkung Kaiser Ottos II. von 983 an den Mainzer Erzbischof über; vgl. dazu Alois GERLICH, Der Aufbau der Mainzer Herrschaft im Rheingau im Hochmittelalter. In: Ders., Territorium, Reich und Kirche. Ausgewählte Beiträge zur mittelrheinischen Landesgeschichte, hg. von Christiane Heinemann, Regina Schäfer, Sigrid Schmitt (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 74). Wiesbaden 2005 (zuerst erschienen 1985), S. 495–520.

      14 Saal, Hof und Marstall, also Wohngebäude, Wirtschaftsgebäude und Stall, sind als jene Gebäude zu verstehen, die üblicherweise für einen Herrn in einer Stadt für seinen Aufenthalt bereit standen. Mit einem derartigen „geräumigen, vornehmen Absteigequartier für den Herrscher und seine Begleitung“ ist wohl in karolingischer Zeit innerhalb der Stadt zu rechnen, nicht aber mit einer Königspfalz; vgl. Ludwig FALCK, Mainz im frühen und hohen Mittelalter (= Geschichte der Stadt Mainz 2). Düsseldorf 1972, S. 32 (Zitat).

      15 Hier bleibt offen, welcher König gemeint ist. Einige Sätze weiter unten im Text, wo diese Übergabe nochmals erwähnt wird, ist von eim keiser die Rede, womit jedenfalls nicht Dagobert gemeint sein kann; siehe auch Anm. 13.

      16 Das Recht, die Juden zu besteuern, erhielt Erzbischof Siegfried II. 1209 von König Otto IV. als Reichslehen verliehen: FALCK, Mainz Bd. 3 (wie Anm. 2), S. 127; siehe auch ebd., S. 129f, 133-135 zum Status der Juden zwischen Erzbischof und Stadt; zu den Mainzer weltlichen Gerichten in den Händen des Erzbischofs ebd., S. 159–175. Der Chronist erweckt den Eindruck, als ob im Zusammenhang der Schenkung des Rheingaus (siehe Anm. 13) auch die seit Dagoberts Zeiten verbliebenen Rechte des Reiches in Mainz an den dortigen Erzbischof übergegangen wären. Nicht erwähnt wurden durch den Chronisten erzbischöfliche Rechte in der Stadt über Markt, Zoll, Münze und Mauer; vgl. FALCK, Mainz Bd. 2 (wie Anm. 14), S. 71–77.

      17 Von Kaiser Friedrich II. (1212–1250) stammt tatsächlich die erste erhaltene Königsurkunde für Mainz; vgl. Wolfgang DOBRAS, „Wir lebten nicht als Sklaven“. Die Freiheit der Mainzer Bürger vom Mittelalter bis zum Ende des Alten Reichs. In: Mainzer Zeitschrift 109 (2014) S. 59–75, hier S. 64 mit Anm. 18; siehe auch unten bei Anm. 62.

      18 Einen für den Rheingau zuständigen Burggrafen als königlichen Beamten in Mainz hat es nicht gegeben; vgl. zur Rolle von Mainz im Frankenreich grundsätzlich Franz J. FELTEN, Mainz und das frühmittelalterliche Königtum. Spuren - Erinnerungen - Fiktionen - und ihre Nutzanwendung. In: Robert Folz (1910–1996). Mittler zwischen Frankreich und Deutschland, hg. von Franz J. Felten, Pierre Monnet und Alain Saint-Denis (= Geschichtliche Landeskunde 60). Stuttgart 2007, S. 51–96, hier S. 60; zum erzbischöflichen Stadt-Burggrafen FALCK, Mainz Bd. 2 (wie Anm. 14), S. 82–84.

      19 Die Übersetzung folgt der Textversion, wie sie in der Überarbeitung der Chronik des Eberhard WINDECK überliefert wird: Eberhard Windeckes Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigmunds, hg. von Wilhelm ALTMANN. Berlin 1893, hier S. 460–462 und S. 465 (Online: https://archive.org/details/altmanneberhartwindecke [letzter Zugriff: 22.2.2016]). Erste Bestandsaufnahme zu diesem Text von Klaus GRAF, Art. Ursprung der Stadt Mainz. In: VL Bd. 5, 1999, Sp. 130f; danach Uta GOERLITZ, Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein. Das ‚Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis‘ des Hermannus Piscator OSB (= Frühe Neuzeit 47). Tübingen 1999, hier S. 258–269 (noch ohne Kenntnis der Windeck-Überlieferung); Uta GOERLITZ, Facetten literarischen Lebens in Mainz zwischen 1250 und 1500. Mittelalterliche Erzählungen über das (ur)alte Mainz im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache, Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: Lebenswelten Johannes Gutenbergs, hg. von Michael Matheus (= Mainzer Vorträge 10). Stuttgart 2005, hier S. 59–87; FELTEN, Mainz (wie Anm. 18), hier bes. S. 80–89.

      20 Siehe hierzu den Beitrag von Uta GOERLITZ in diesem Band.

      21 WINDECKE, hg. ALTMANN (wie Anm. 19), S. 459f; zum Hunneneinfall von 451 siehe unten bei Anm. 76.

      22 wiekhaus, wighaus, -häuslein, in: Deutsches Wörterbuch http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WB-Netz/wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=GW20200#


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