Es war eine berühmte Stadt .... Christian Klein

Es war eine berühmte Stadt ... - Christian Klein


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Meister, der damit als Magier Nequam zum eigentlichen Gründer der Stadt in uralter Zeit wurde.39 So zumindest wird der zweifelhafte Ausspruch von dem Mainzer Humanisten Hermannus Piscator gedeutet, der mit Blick auf die polemische Verwendbarkeit des seinerzeit bekannten Spruches nur die zweite Lesart als grammatisch korrekt gelten lässt.40

      Wie immer man den Spruch Maguntia ab antiquo nequam auch auslegen mochte, eines stand der lateinischen Version der mit Trier verbundenen Stadtgründungssage zufolge, wie sie beim sogenannten Sigehard von St. Alban überliefert ist, jedenfalls fest: dass Mainz von Übeltätern errichtet worden sei, die man aus Trier vertrieben habe.41 In ihrem Beginn erscheint Trier damit als überlegen, und es liegt nahe, in welchem Umfeld der ursprüngliche Nährboden für eine solche Gründungserzählung zu suchen ist, die zur unwiderlegbaren Beglaubigung eine uralte Inschrift anführt, wie sie, ohne allerdings gleichermaßen doppeldeutig zu sein, analog schon Trier laut den „Gesta Treverorum“ aufzuweisen hatte, denen zufolge die alten Treverer die rheinischen Städte von Basel bis Köln ihrer Herrschaft unterwarfen.42 Dabei konnte die Mainzer Inschrift als ein in älteste Zeiten zurückreichendes Schriftzeugnis bei entsprechender Interpretation zum sozusagen unumstößlichen Beweis für das hohe Alter der Stadt angeführt werden, wenngleich ihr Status ambivalent bleibt: Der Verweis auf eine vorgeblich mündliche Tradition stellt die Glaubwürdigkeit der Erzählung (narratio, relatio) distanzierend grundsätzlich in Frage, während gleichzeitig durch die Betonung einer angeblich seit ältesten Zeiten ununterbrochenen Erzählkette43 Gegenwart und Vergangenheit, mündliche Tradition und (in)schriftliches Objekt in eine direkte Verbindung miteinander gebracht werden – wobei die Verbindungslinie wiederum von einer unseriösen (ridiculus) und frei erfundenen (fabulosus) Geschichte zu einem zweiseitigen Stein mit einer doppeldeutigen Inschrift führt.44

      In Analogie zur Trierer Überlieferung konnte die fiktive Gründung von Mainz durch frevlerische, aber weithin bekannte Magier aus Trier in biblischer Vorzeit heilsgeschichtlich-providentiell ausgedeutet werden. So ist die pagane Profangeschichte von Mainz in der „Passio, inventio et translatio sanctorum Aurei et Justinae“ des sogenannten Sigehard von St. Alban funktionell auf die Christianisierung von Mainz und den Aufstieg des Bistums mit den spätantiken Märtyrern Bischof Aureus und dessen Schwester Justina hin zugeordnet, um welche die Legende zentriert ist, und nicht zufällig baut Sigehard auf der „Passio sancti Albani“ des Mainzer Domscholasters Gozwin aus der Mitte des 11. Jahrhunderts auf, die dezidiert gegen Trierer Primatsansprüche gerichtet ist.45 In diesen programmatischen Rahmen fügt sich auch der in Sigehards Legendentext hervorgehobene Vergleich von Mainz, der „königlichen“46 Stadt, mit Rom, der „Herrscherin“ schlechthin47, an deren Anfang gar ein Brudermord gestanden habe. Gleichzeitig barg das Motiv der Gründung von Mainz durch eine Gruppe entsprechend negativ konturierter Stadtväter aus einer kirchenpolitischen, pro-bischöflichen Sicht – de iure war der Erzbischof auch nach der erstmaligen Konstituierung des Mainzer Stadtrates im Jahr 1244 weiterhin Stadtherr – die Möglichkeit einer gegen die Bürgerschaft gewendeten Interpretation. So kann es nicht verwundern, wenn die Akzente in der Legendenüberlieferung des 13. Jahrhunderts anders gesetzt sind als später in der bürgerlich-volkssprachigen Version des „Ursprungs der Stadt Mainz“ aus der Zeit nach ca. 1335. Innerhalb eines Geflechtes wechselseitig aufeinander wirkender, mündlicher und schriftlicher Überlieferungen zeichnet sich hier die Rolle gezielter, auf spezifische Trägergruppen und Adressatenkreise bezogener Konstrukte im Schnittpunkt unterschiedlicher Diskurse ab, die ebenso Traditionen aufgreifen und umformen wie auch begründen und dabei eine eigene Dynamik entfalten, welche neue, gegebenenfalls tendenziös gefärbte Varianten generiert.48

       IV. Trier, Troja, Rom und Mainz: Rückblick und Ausblick

      Entsprechend schwankte im spätmittelalterlichen Mainz die Akzeptanz der an die Trebeta-Sage anbindenden Mainzer Ursprungsfabel, wie immer sie im Einzelnen auch variiert wurde. Neben sie trat eine andere Überlieferung, welche die Anfänge von Mainz mit der ursprünglich als Stammessage der Franken verbreiteten, überaus einflussreichen Troja-Tradition in Verbindung brachte, wie das auch in der berühmten Weltchronik des Hartmann Schedel vom Ende des 15. Jahrhunderts der Fall ist.49 Demnach war Mainz eine Gründung des Trojaners Maguntius aus dem Gefolge des mit Aeneas dem Untergang Trojas entkommenen Anthenor. Während Aeneas nach Italien gelangte und dort zum Ahnherrn der Römer und ihres Imperiums wurde, kam Maguntius mit seinen Anhängern zunächst an die Maeotischen Sümpfe (i.e. das Asowsche Meer), an denen die Flüchtlinge aus Troja – darunter Francus, der Stammvater der Franken – die Stadt Sycambria erbauten. Von dort zog der Held auf der Suche nach fruchtbarem Land an den Rhein, wo er sich niederließ. In herausragender Lage errichtete Maguntius die überaus edle (valde nobilis, nobilissima) Stadt Mainz und taufte sie in Ableitung von seinem Namen Maguntia.

      Ausgelöst wird das Geschehen durch die gängigen Motive der Flucht und der Landnahme, die zur Gründung der Stadt führen, und wieder werden die Vorzüge der Gründungsstätte gepriesen, verweist die herkömmlichen Prinzipien folgende etymologische Deutung des lateinischen Stadtnamens auf eine gelehrte Konstruktion. Vor allem aber erhält Mainz in dieser Version ein nicht weniger hohes Alter als Rom und kann durch die Berufung auf die hochberühmten Helden Trojas auf eine ebenso vornehme, antike Herkunft blicken.

      Weniger Attraktivität besaßen in Mainz zur Zeit der Aufzeichnung der Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ bei Eberhard Windeck und anderen Geschichtsschreibern des 15. und frühen 16. Jahrhunderts solche Gründungsgeschichten, die keine Anlagerungsmöglichkeit an vorherrschende Traditionen wie an die europaweite Troja-Überlieferung oder die in Deutschland bekannte Trier-Sage boten. Deshalb hatten im ausgehenden Mittelalter in Mainz wie andernorts auch die im Hochmittelalter beliebten Caesar-Traditionen an Anziehungskraft verloren, wie sie Gozwin in der „Passio sancti Albani“ anführt und im Anschluss an ihn im 13. Jahrhundert noch der sogenannte Sigehard von St. Alban in der Legende der heiligen Aureus und Justina (in der sich daneben bereits die oben betrachtete jüngere, an die Trier-Sage anbindende Überlieferung über die Anfänge von Mainz findet).50 Führte man wie in den beiden Legendentexten die Erbauung der Stadt auf Cäsar zurück, der als erster römischer Kaiser galt und als Gründer weiterer Städte am Rhein wie etwa auch Kölns genannt wurde, war Mainz mit den Anfängen des römischen Kaisertums in Verbindung gebracht, das der mittelalterlichen Idee von der Translatio Imperii zufolge bis zum Ende der Welt fortbestand. Zugleich war es bei Ansetzung des Stadtgründungsaktes in der frühen Kaiserzeit von der Warte eines Bischofssitzes wie Mainz aus problemlos möglich, die kirchliche Traditionslinie in apostolische Zeit zurückzuführen und damit in die universalhistorisch-heilsgeschichtlich mit den Anfängen der römischen Weltherrschaft verbundene Frühzeit der Kirche als solcher.

      Abb. 2: Der Drusus-Stein in Mainz, aus: Nicolaus Serarius, Moguntiacarum rerum … libri quinque. Mainz 1604, hier Bd. 1, S. 65 (Martinus-Bibliothek Mainz). Rechts: heutiger Zustand.

      Wichtiger als Caesar erscheint in den an die Geschichte Roms anknüpfenden Ursprungsversionen von Mainz aus dem hohen Mittelalter aber der im gleichen Zug erwähnte Drusus, den die Überlieferung seit der Antike mit einem Grabmonument (Kenotaph) bei Mainz (Abb. 2) in Verbindung brachte.51 Bei Gozwin und dem sogenannten Sigehard ist Drusus der Stiefsohn des Augustus (i.e. Drusus d.Ä.), und unter der Herrschaft des Augustus begann gemäß der mittelalterlichen Lehre von den sechs Weltaltern mit Christus die letzte der universalgeschichtlichen aetates mundi. Drusus zählt in dem Legendenkomplex der Heiligen Alban, Aureus und Justina zu den ersten einer ganzen Reihe vornehmer (Gründer-)Gestalten (conditores et possessores) der römischen Kaiserzeit, die Mainz vorzuweisen habe.52 Er gilt als gleichsam zweiter Gründer der Stadt, der Mainz baulich erneuert habe.53 Demgegenüber wird im späteren, volkssprachigen Text vom „Ursprung der Stadt Mainz“ Wert darauf gelegt, dass keiser […] Trusus Mainz wertvolle Freiheitsprivilegien verliehen habe; zum Beweis wird neben Urkunden auf sein einstiges, hochaufragendes Grabdenkmal, das Trusenloch, hingewiesen, von dessen krönender, goldener Kugel die Stadt das Epitheton gulden Menz erhalten habe (vgl. Abb. 2).54 In jedem Fall vermehrte Drusus den verschiedenen Sagenüberlieferungen


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