Die Psoas-Lösung. Evan Osar

Die Psoas-Lösung - Evan Osar


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Psoas gilt als Muskel, der die Achse der Lendenwirbelsäule wirksam komprimiert – und damit stabilisiert (Bogduk 2005). Wegen der Nähe des Psoas zur Wirbelsäule wurde nicht nachgewiesen, dass er signfikant zu Wirbelsäulenbewegungen wie Seitbeuge und Rotation beitragen würde. (Bogduk 2005). Es ist daher wahrscheinlicher, dass der Psoas während dieser Bewegungen als Stabilisator der Wirbelsäule dient.

      Ein weiterer Nachweis für den Beitrag des Psoas zur Stabilität der Wirbelsäule kommt aus der Forschung. Bei einer Elektromyographie (EMG) mit feinen Nadelelektroden, die beidseits in den Psoas eingebracht wurden, während ein Bein im Liegen angehoben war, wurde Aktivität sowohl im angehobenen Bein als auch im Psoas der Gegenseite des angehobenen Beines nachgewiesen (Hu et al. 2011). Übereinstimmend mit diesen Ergebnissen wurde postuliert, dass der Psoas bei der Stabilisierung der Lendenwirbelsäule die vorderen Scherkräfte auszugleichen hilft, die während der Hüftbeugung entstehen (Gibbons 2007, McGill 2007). Eine beidseitige Aktivierung des Psoas sorgt in der Frontalebene für die Stabilität der Wirbelsäule (Hu et al. 2011, Penning 2002, Andersson et al. 1995) und schränkt während einer Anhebung der Beine eine übermäßige Seitbeuge und Rotation ein (Sullivan 1989). Es wurde vermutet, dass der Psoas den Rumpf auf dem Becken stützt und einer Krümmung der Wirbelsäule vorbeugt (Penning 2000).

      Bei einer exzentrischen Kontraktion hilft der Psoas, die Seitneigung der Gegenseite zu kontrollieren (Gibbons 2007). Zusätzlich verlängert sich der Psoas exzentrisch, wodurch er als Stabilisator der Lendenwirbelsäule wirkt und das Ausmaß der Wirbelsäulenextension während einer Überkopfbewegung oder Rückbeuge kontrolliert (Osar 2015). Dies verhindert eine übermäßige Kompression der lumbalen Facettengelenke und eine Überdehnung der vorderen spinalen Bänder bei gestreckter Wirbelsäule. Auch wenn man angenommen hatte, der Psoas spiele bei der Wirbelsäulenflexion eine Rolle, zieht er, wenn das Becken fest ist, die Lendenwirbelsäule in eine stärkere Lordose (Penning 2002). Im Stehen kann der Psoas zur Vorwärtsbeugung beitragen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich der Muskel als Ergebnis der Beugung der Bauchmuskeln und der Schwerkraft verkürzt, die beide gleichzeitig die Lendenwirbelsäule aus dieser Stellung in die Beugung bringen. Der Psoas kann zur Vorwärtsbeugung und Flexion der Wirbelsäule im aufrechten Stand beitragen, wenn diese Aktionen gegen einen Widerstand durchgeführt werden. Bei einem Roll-up (siehe Kapitel 6) oder einem Sit-up kann der Psoas eine aktivere Rolle bei der Wirbelsäulenflexion und Reduzierung der Lumballordose spielen als im Stand.

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      Ist der Rumpf wie beim Bewegungsmuster der Articulating Bridge (Schulterbrücke mit Abrollen Wirbel für Wirbel, auch als Bewegungsmuster einer Beckenkippung bezeichnet, oder bei der Übung Reverse Crunch fixiert, helfen wahrscheinlich einige Anteile des Psoas bei der Rotation des Beckens nach hinten und der segmentalen Beugung der Lendenwirbelsäule, wodurch die Lumballordose abnimmt.

      Einfluss des Psoas auf das Becken

      Herkömmlicherweise ging man davon aus, dass der Psoas dazu beiträgt, die Rotation des Beckens nach vorne (Kippung) zu verstärken. Bedenken Sie jedoch, dass die einzigen Ansätze des Psoas direkt am Becken vorne auf dem oberen Schambeinast liegen und in den Beckenboden führen. Diese Ansätze legen nahe, dass der Psoas das Becken eher nach hinten als nach vorne dreht (Gibbons 2007, Osar 2015). Obgleich der Psoas direkt durch die vordere Seite der Iliosakralgelenke zieht, wurde bisher keine direkte Verbindung des Psoas mit diesen Gelenken untersucht. Man vermutete, dass der Psoas durch das Iliosakralgelenk eine stabilisierende Kraft ausübt (Gibbons 2007). Forschungsarbeiten haben nachgewiesen, dass Muskeln, die entweder eine direkte oder fasziale Verbindung zum Iliosakralgelenk haben – M. multifidus, M. gluteus maximus und M. biceps femoris beispielsweise – zur Stabilisierung dieses Gelenks beitragen (Lee 2012, Richardson et al. 2004, Vleeming 2012). Sehr wahrscheinlich spielt der Psoas eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Iliosakralgelenks. Hierzu sind jedoch weitere Studien erforderlich.

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       Achten Sie auf die Ansätze des Psoas sowohl am vorderen Becken als auch am Beckenboden. Diese Ansätze legen nahe, dass der Psoas zur Rotation des Beckens nach hinten beiträgt und die Kontrolle der Beckendrehung nach vorne unterstützt.

      Die Beziehung des M. psoas zum lumbalen Anteil des M. multifidus

      In Hinblick auf die Stabilisierung der Wirbelsäule ist der M. multifidus dem Psoas am ähnlichsten. Er ist auf der Rückseite der Lendenwirbelsäule lokalisiert und der medialste sowie der tiefste lumbale Muskel. Die tieferen Fasern des M. multifidus entspringen an der Rückseite der Wirbelsäule und setzen drei Ebenen unter ihrem Ursprung an. Die Fasern des unteren lumbalen Anteils des M. multifidus setzen am Becken, am Kreuzbein und am Iliosakralgelenk an.

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      Die tieferen Fasern des M. multifidus zeigen, sogar in Ruhe, ein geringes Aktivitätsniveau (tonische Aktivität) und sind daher stärker in die segmentale Kontrolle der Wirbel und in die Haltungsstabilität eingebunden (Richardson et al. 2004). Diese tieferen Muskelfasern zeigen antizipatorische Reaktionen auf die Ergebnisse des EMG, was bedeutet, dass sie sich bereits vor der tatsächlichen Bewegung kontrahieren, womit sie ähnliche Merkmale aufweisen wie andere tiefe Muskeln, etwa der M. transversus abdominis und die Beckenbodenmuskulatur (Richardson et al. 2004). Die oberflächlichen Muskelfasern neigen zu einem größeren extensorischen Drehmoment oder einer größeren Fähigkeit, die Lendenwirbelsäule zu strecken. Gemeinsam arbeiten beide Anteile des M. multifidus synergistisch mit dem M. psoas, um die Lendenwirbelsäule und die Iliosakralgelenke zu stabilisieren, womit sie übermäßige Scher- und Translationskräfte verhindern (Abb. unten).

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      Ähnlich weisen sowohl der M. multifidus als auch der M. psoas bei Personen mit Schmerzen im unteren Rücken und/oder einseitigem Ischias eine Verkleinerung des Querschnitts (Atrophie) auf (Barker et al. 2004, Dangaria und Naesh 1998). Spezifische Übungen, die auf den M. multifidus und den M. psoas abzielen, haben sich sowohl bei der Verbesserung der Größe dieser Muskeln als auch bei der Reduzierung der Schmerzen bei Patienten mit degenerativer Bandscheibenerkrankung als wirksam erwiesen (Seongho et al. 2014). Es wurde klinisch nachgewiesen, dass Übungs- und pädagogische Strategien, die die Aktivierung des DMS verbessern, die Funktion des M. psoas wie des M. multifidus und damit auch die Stabilität der Wirbelsäule verbessern (Osar 2015).

      In Kapitel 3 werden Strategien gezeigt, wie M. psoas und M. multifidus gemeinsam besser aktiviert werden können.

      Die Rolle des Psoas bei der Hüftfunktion

      Herkömmlicherweise gilt der Psoas als primärer Hüftbeuger. Neuere Nachweise legen nahe, dass der Psoas, wenn er kontrahiert, eine axiale Kompression sowohl auf die Wirbelsäule als auch auf den Hüftkopf ausübt (Gibbons 2005ab, 2007); so zentriert der Psoas den Hüftkopf in der Gelenkpfanne (er richtet ihn aus und kontrolliert ihn). Während die Hüfte durch die primären Hüftbeuger – M. rectus femoris, M. tensor fasciae latae und M. sartorius – in Flexion gebracht wird, unterstützt der M. psoas die Bewegung durch Kompression sowie indem er die Stellung des Hüftkopfes in der Gelenkpfanne aufrechterhält. Damit hilft er bei der Hüftbeugung, indem er weniger als primärer Bewegungsmuskel tätig ist, sondern vielmehr die Rotationsachse aufrechterhält. Während der Psoas auch die Rotation nach außen unterstützen kann, ist es wahrscheinlicher, dass er während der Bewegung eher als Stabilisator des Hüftkopfes in der Gelenkpfanne fungiert, als tatsächlich zur Bewegung beizutragen.

      Das Verhältnis des M. psoas zum M. iliacus

      Der M. iliacus (Abb. rechts) verdient eine eigene Erwähnung, da viele Arbeiten den M. iliacus und den M. psoas unter dem Begriff M. iliopsoas zusammenfassen, weil beide Muskeln ähnliche Sehnenansätze


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