Die Psoas-Lösung. Evan Osar

Die Psoas-Lösung - Evan Osar


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Beckens, bevor er am Trochanter minor des Femur ansetzt. Während sich M. psoas und M. iliacus am Femur einen ähnlichen Ansatzpunkt teilen, hat jeder der beiden Muskeln seinen eigenen individuellen sehnigen Ansatz (McGill 2007) und seine separate nervale Versorgung (Retchford et al. 2013), was zeigt, dass sie unabhängig voneinander funktionieren.

      Wegen seines kürzeren Hebelarms und seiner Nähe zum Hüftgelenk hat der M. iliacus, anders als der M. psoas, wahrscheinlich die starke Fähigkeit, die Hüfte zu beugen. Es wurde tatsächlich behauptet, dass der Psoas eine vernachlässigbare Rolle bei der Hüftbeugung spielt und dass der M. rectus femoris, der M. tensor fasciae latae und der M. sartorius wirksamere Hüftbeuger sind als der M. psoas und der M. iliacus (Gibbons 2007). Insgesamt wurde postuliert, dass der M. psoas und der M. iliacus bei der Hüftstabilisierung eine ähnliche Rolle spielen könnten wie die Muskeln der Rotatorenmanschette in der Schulter (Lewis et al. 2007).

      Es hat sich gezeigt, dass der M. iliacus in der späten Gangphase eine Rolle bei der Hüftstabilisierung spielt (Retchfort et al. 2013). Ist der Femur fixiert, trägt primär der M. iliacus zur Rotation des Beckens (Kippung) nach vorne bei. Durch eine Verstärkung der Beckendrehung nach vorne kann der M. iliacus indirekt dazu beitragen, die lordotische Krümmung der lumbalen Wirbelsäule zu verstärken.

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      Der M. psoas und der M. iliacus wirken wahrscheinlich als funktionelle Antagonisten (zwei Muskeln, die sich theoretisch entgegenwirken, gemeinschaftlich jedoch zusammenarbeiten):

      •Gemeinschaftlich tragen beide Muskeln zur Hüftbeugung bei – der M. psoas zentriert den Hüftkopf, während der M. iliacus die Hüfte beugt.

      •Der M. iliacus kippt das Becken nach vorne, wodurch die Lumballordose zunimmt, während der M. psoas das Becken nach hinten kippt und die Lendenwirbelsäule komprimiert, wodurch er der Aktion des M. iliacus entgegenwirkt.

      Diese synergistische Beziehung liefert die Stabilität der Wirbelsäule, aber auch die Kontrolle der Hüftbewegung, die zur Ausführung funktioneller Aktivitäten erforderlich ist, während sie gleichzeitig das Risiko von Verletzungen der Gelenke oder Weichteilstrukturen durch anhaltende Überbeanspruchung verringert.

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      Das Verhältnis des M. psoas zum M. gluteus maximuss

      Der M. psoas und der M. gluteus maximus gelten herkömmlicherweise als Antagonisten: der M. gluteus maximus streckt die Hüfte, der M. psoas beugt sie. Ähnlich dachte man, dass der M. psoas das Becken in die Rotation nach vorne (üblicherweise als Beckenkippung nach vorne bezeichnet) und der M. gluteus maximus es in die Rotation nach hinten (oder in die Beckenkippung nach hinten) zieht. Neuere Nachweise ergeben jedoch, dass diese Muskeln ein eher synergistisches als antagonistisches Verhältnis zueinander haben.

      Der M. gluteus maximus entspringt proximal am lateralen Anteil von Darmbeinkamm und Kreuzbein (Sakrum). Diese Ursprünge gehen in die hintere Faszie über, die das Kreuzbein und den M. multifidus bedeckt. Die Gesäßfaszie grenzt auch an die thorakolumbale Faszie, wodurch sie den M. gluteus maximus funktionell mit dem M. latissimus dorsi der Gegenseite verbindet. Auf diese myofasziale Verbindung wird unter mehreren Namen Bezug genommen wie hintere schräge Kette (Osar 2012), hintere schräge Schlinge (Lee 2012) oder hintere funktionelle Linie (Myers 2014) (siehe Abb. unten).

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      Die oberflächlichen Fasern des M. gluteus maximus setzen am iliotibialen Band und an der Tuberositas glutealis an (hinterer Anteil des Femur), während die tieferen Fasern der Gesäßmuskeln nur an der Tuberositas glutealis ansetzen. Die tieferen unteren Fasern des M. gluteus maximus entspringen am unteren Kreuzbein und am Steißbein. Diese Muskelfasern kreuzen das Iliosakralgelenk und setzen direkt seitlich an der hinteren oberen Spina iliaca an. Ihre Faszien verbinden sich mit dem Ligamentum sacrotuberale und der Faszie der tiefen intrinsischen Hüftmuskeln.

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      Während die oberflächlichen Fasern des M. gluteus maximus primär die Aufgabe der Hüftstreckung und Beckenstabilisierung übernehmen, ziehen die tieferen unteren Fasern dieses Muskels den Hüftkopf in der Gelenkpfanne nach hinten (Gibbons 2005ab, Gibbons 2007). Die tieferen Fasern des M. gluteus maximus sind funktionelle Synergisten des M. psoas bei der Zentrierung des Hüftkopfes innerhalb der Gelenkpfanne. Eine ideale Koaktivierung dieser beiden Muskeln liefert die optimale Kompression, um den Hüftkopf während der Hüftbewegung und daher auch während der Bewegung der unteren Extremität zu stabilisieren.

      Zur Verbesserung der Hüftfunktion und Vorbeugung von Impingement-Syndromen der Hüfte ist ein Training zur Verbesserung der Synergie zwischen dem M. psoas und dem M. gluteus maximus unverzichtbar. In späteren Kapiteln sind Übungsstrategien zum Training dieser Synergie enthalten.

      Die Rolle des M. psoas beim Gang

      Da der Psoas der einzige Muskel ist, der die Wirbelsäule direkt mit der unteren Extremität verbindet, hat er während des Gangzyklus’ eine Schlüsselposition. Der M. psoas zeigt – zusammen mit dem M. iliacus – während zwei unterschiedlichen Phasen des Gangzyklus’ Peaks im EMG: in der Schlusshaltung und in der frühen Schwungphase (Michaud 2011). Während der Hüftbeugung unterstützt der M. psoas den M. iliacus bei der Beugung des Schwungbeins. Direkt nach der Mittelstellung (Abb. unten) verlängert sich der M. psoas exzentrisch, um den Hüftkopf in der Gelenkpfanne zu kontrollieren, er verlangsamt das Tempo und reduziert das Ausmaß der Hüft- und Wirbelsäulenstreckung.

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      Wahrscheinlich stabilisiert der gegenüberliegende M. psoas die Wirbelsäule während der Hüftstreckung. Um diese Theorie zu unterstützen, sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich. Wichtig ist, folgendes zu verstehen: Obgleich der M. psoas keine EMG-Aktivität im restlichen Gangzyklus zeigt, bedeutet dies nicht, dass er im Hinblick auf seine Aufgabe in der Wirbelsäulen- und Hüftstabilisierung nicht aktiv wäre. Künftige Studien werden möglicherweise aufzeigen, wie der Psoas während des gesamten Gangzyklus’ funktioniert.

      Für die Verbesserung des Gangs einer Person ist es wichtig, dass der Psoas die Hüfte besser zentrieren kann (den Hüftkopf in der Hüftgelenkpfanne). Übungen, mit denen der Beitrag dieses Muskels zur Hüftbeugung verbessert und die Hüftstreckung kontrolliert werden kann, sind in späteren Kapiteln zu finden.

      Die Rolle des Psoas bei der Atmung

      In Anbetracht der engen faszialen Verbindungen des M. psoas mit Zwerchfell, M. transversus abdominis und M. quadratur lumborum am thorakolumbalen Übergang (TLJ) und weiter unten am Beckenboden wirkt der Psoas bei der Atmung wahrscheinlich als wichtiger Stabilisator der Wirbelsäule (Gibbons 2007, Osar 2015). Auf die Rolle des Psoas für eine optimale Atmung wird in Kapitel 2 genauer eingegangen. Unten sehen Sie noch einmal die Abbildung des M. psoas und seiner faszialen Verbindungen mit Zwerchfell, M. transversus abdominis und Beckenboden. Die enge Beziehung zwischen diesen Strukturen deutet darauf hin, dass der Psoas eine Doppelfunktion hat, indem er sowohl die Atmung als auch die Stabilisierung unterstützt.

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       Zusammenfassung: Funktionen des M. Psoas

       In Bezug auf Rumpf, Wirbelsäule und Becken

      •Stabilisierung des TLJ, der Lendenwirbelsäule und des Beckens.

      •Beitrag zur Wirbelsäulenflexion, wenn Beine oder Rumpf fixiert sind.

      •Hilfe bei der Beckendrehung nach hinten.

      •Exzentrische


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