Dance Anatomie. Jacqui Greene Haas

Dance Anatomie - Jacqui Greene Haas


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Übung den Meister macht. Je mehr Sie proben, desto wohler fühlt sich Ihr Körper bei einer Bewegung, wenn Sie sie weiter perfektionieren. Dynamische Bewegung – also Bewegungen, an denen mehrere Gelenke beteiligt sind – verbessert die Gedächtniszentren des Gehirns – und genau das geschieht ja beim Tanzen. Im Gegensatz dazu führt ein Mangel an gesunder, qualitativ hochwertiger Bewegung zum Verkümmern neuronaler Verknüpfungen.

      Um genauer zu erfahren, wie sich Tanz, Bewegung und Training auf das Gehirn auswirken, sehen wir uns zunächst die grundsätzlichen Hirnfunktionen an. Wie sendet das Gehirn Botschaften an Beine und Füße, damit diese ein einfaches Tendu oder eine anspruchsvolle Pirouette ausführen?

      Wie lernt man neue Schrittkombinationen oder eine Choreografie? Das Gehirn kontrolliert die Bewegungen, es ist sozusagen der Choreograf der Tanzschritte. Selbst für eine einfache Bewegung wie ein Tendu hat das Gehirn eine komplexe Aufgabe zu erledigen: Es muss entscheiden, welche Muskeln für die Ausführung des Tendu angeworfen werden müssen und wie viel Kraft aufgewendet werden muss. Diese komplexe Aufgabe nennt man Motorik. Motorik aber bedeutet, kurz gesagt, wie mithilfe der Nerven Bewegungen entstehen.

       ANATOMISCHE GRUNDLAGEN

      Gehirn und Rückenmark bilden das zentrale Nervensystem. Das Gehirn wird durch die Schädelknochen geschützt und enthält rund 90 Milliarden Nervenzellen. Unterschiedliche Regionen des Gehirns sind für Bewegung, Sehen, Emotionen und andere Funktionen zuständig.

      Zu den Hauptbestandteilen des Gehirns (Abb 2.3) gehören Großhirn, Kleinhirn und der Hirnstamm. Dabei bildet das Großhirn den größten Teil des Gehirns. Seine Oberfläche ist die Großhirnrinde. Das Großhirn teilt sich in vier Hirnlappen auf: Frontallappen (Stirnlappen), Parietallappen (Scheitellappen), Temporallappen (Schläfenlappen) und Okzipitallappen (Hinterhauptlappen).

      Der Frontallappen ist für Motorik, Problemlösen, Impulskontrolle und Urteilsvermögen zuständig. Der Parietallappen verarbeitet Schmerzen, der Okzipitallappen visuelle Informationen – und der Temporallappen verarbeitet akustische Informationen und organisiert das Gedächtnis.

      Ein weiterer Teil des Großhirns, die frontale Hirnrinde (Präfrontaler Cortex), sitzt direkt an der Vorderseite des Gehirns und regelt Denken, Entscheidungen und Persönlichkeitsausdruck. Der Bereich des Großhirns, der Bewegungen veranlasst, ist die primär-motorische Rinde. Dieser Streifen im Zentrum des Großhirns ist mit sämtlichen Körperteilen verknüpft. Alle bewussten Bewegungen werden von der primär-motorischen Rinde kontrolliert.

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      ABBILDUNG 2.3Das menschliche Gehirn

      Ein weiterer Teil des Großhirns ist das limbische System, das Emotionen verwaltet. Auch Teile von Thalamus und Hypothalamus gehören zu diesem System. Thalamus und Hirnstamm arbeiten mit den Basal- oder Stammganglien tief unten im vorderen Teil des Gehirns zusammen, um bewusste Bewegungen, zum Beispiel beim Tanzen, zu steuern. Genauer gesagt sendet die frontale Rinde Botschaften an die Stammganglien, die die Botschaften an die jeweils zuständigen motorischen Systeme weiterleiten, sodass runde Bewegungsabläufe entstehen.

      Ein weiterer Teil des limbischen Systems ist der Hippocampus, der tief im Temporallappen verborgen sitzt und eine wichtige Rolle für Emotionen, Motivation und Gedächtnis spielt. Lernt man beispielsweise, wie man ein Tendu ausführt, speichert der Hippocampus diese Informationen und hilft, sie beim nächsten Versuch wieder aufzurufen.

      Tief im Inneren des Gehirns liegt zwischen Großhirn und Hirnstamm ein kleiner Bereich namens Zwischenhirn. Der Bereich des Zwischenhirns besteht aus Thalamus und Hypothalamus, die gemeinsam für die Verarbeitung von Hunger, Durst, emotionalen Reaktionen, Gedächtnis, Schmerz und körperlicher Belastung zuständig sind.

      Der zweite Hauptteil des Gehirns, das Kleinhirn, ist nicht so groß wie das Großhirn, enthält jedoch rund 50 Prozent der Nervenzellen im Gehirn. Das Kleinhirn befindet sich an der Rückseite des Gehirns zwischen Hirnstamm und Großhirn und unterhalb des Okzipitallappens. Es empfängt Botschaften und kontrolliert Gleichgewicht, Haltung und Bewegungskoordination – die man zum Beispiel beim Erlernen eines neuen Tanzschritts braucht. Dieser Teil des Gehirns ist also ganz besonders wichtig für das motorische Lernen und für die Feinabstimmung von Bewegungen bis hin zur Perfektion.

      Der dritte Hauptbereich des Gehirns ist der Hirnstamm, der selbst wiederum in drei Teile gegliedert ist: Mittelhirn, Pons (Brücke) und verlängertes Rückenmark. Das Mittelhirn hilft bei der Kontrolle von Körperbewegungen. Der Pons kann Botschaften der Nerven an das Gehirn übermitteln, aber auch Botschaften aus dem Gehirn annehmen und an die Nerven weiterleiten. Das verlängerte Rückenmark schließlich ist für Atmung und Herzschlag verantwortlich. Der Hirnstamm bildet also eine Art Vermittlungszentrale, die Botschaften aus Großhirn und Kleinhirn an das Rückenmark weiterleitet.

       DAS RÜCKENMARK

      Das Rückenmark hat die wichtige Aufgabe, das Gehirn an die Nerven anzubinden. Es besteht aus einem langen, zylindrischen Band im Inneren der Wirbelsäule und wird von den umliegenden Wirbeln geschützt. Es verläuft von der Hirnbasis bis zum ersten Lendenwirbel.

      Das Rückenmark dient als Leiterbahn, von der 31 Nervenpaare abzweigen, sowohl aufstrebende als auch absteigende Nervenbahnen. Jeder Rückenmarksnerv enthält „heranführende“ und „herausführende“ Nervenfasern. Rückenmarksnerven können somatisch oder autonom sein. Somatische Nerven senden Botschaften an und von Muskeln, Sehnen und Gelenken; autonome Nerven übermitteln Botschaften von und an Herz und Drüsen.

       DAS GLEICHGEWICHTSSYSTEM

      Jeder Tänzer braucht eine exzellente Balancefähigkeit. Wie sonst sollte es möglich sein, auf der Spitze eines Ballettschuhs tanzen zu können? Der Gleichgewichtssinn basiert zum großen Teil auf der Tiefensensibilität oder Propriorezeption. Die Bezeichnung Propriorezeption liefert einen wichtigen Hinweis. Der Name leitet sich vom lateinischen proprius ab, was „eigen“ bedeutet. In unserem Kontext meint es den Sinn der Eigenwahrnehmung, der uns spüren lässt, wie unser Körper im Raum steht. Die Tiefensensibilität macht es möglich, im Dunkeln, bevor sich der Vorhang hebt und das Licht angeht, auf die Bühne zu gehen, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. Sie hilft auch dabei, eine neue Choreografie einzustudieren, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und wirkt unterstützend bei Drehungen und bei der Koordination von Bewegungen, bei denen einzelne Körperteile gleichzeitig unterschiedliche Aktionen ausführen. Tiefensensibilität und Gleichgewicht basieren auf drei Körpersystemen:

      1.Vestibuläre Wahrnehmung

      2.Motorische Wahrnehmung

      3.Visuelle Wahrnehmung

      Das vestibuläre System ist im Gleichgewichtsorgan im Innenohr angesiedelt (Abb. 2.4). Es hat zwei Aufgaben: Hören und Tiefensensibilität. Das Außenohr sendet Schallwellen ans Trommelfell, wo die Hörschnecke (Cochlea) die Tonsignale abnimmt und an den Hörnerv übergibt, der sie ins Gehirn weiterträgt.

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      ABBILDUNG 2.4Anatomie des Ohrs

      Das Gleichgewichtsorgan besteht aus halbkreisförmigen Kanälen tief im Innenohr, den Bogengängen, die mit Flüssigkeit gefüllt und mit winzigen Härchen besetzt sind. Sie helfen, bei Drehbewegungen wie Pirouetten oder Fouettés das Gleichgewicht zu halten. Für das Gleichgewicht bei linear ausgeführten Bewegungen sind dagegen die sogenannten Vorhofsäckchen verantwortlich, in denen kleine Kristalle namens Otolithen (Ohrsteine) an den Sinneshärchen sitzen.

      Das Innenohr enthält zudem auch den Push-Pull-Mechanismus, bei dem die Bogengänge bei horizontalen Kopfbewegungen gemeinsam das Gleichgewicht regulieren. Der linke Bogengang wird bei Drehungen nach links stimuliert, der rechte Bogengang bei Drehungen nach rechts.


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