Dance Anatomie. Jacqui Greene Haas
gestreckt, liegt eine konzentrische Kontraktion der Wadenmuskeln vor. Das bedeutet: Der Muskel verkürzt sich. Kehrt der Fuß wieder in die Ausgangsposition zurück, verlängern sich die Wadenmuskeln und arbeiten somit exzentrisch. Besonders wichtig ist dieses Zusammenspiel bei Sprüngen: Die exzentrische Kontraktion der Muskeln wirkt der Schwerkraft des Körpers entgegen und ermöglicht ein weiches Aufsetzen. Tänzer konzentrieren sich oftmals einseitig auf die Verbesserung ihrer Sprungkraft. Dass eine weiche und gut koordinierte Landung bei Sprüngen zur Reduzierung der Verletzungsgefahr ebenso wichtig ist, sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden.
Eine weitere Art der Muskelkontraktion ist die isometrische bzw. statische Kontraktion. Dabei wird Muskelspannung erzeugt, ohne dass sich dabei die Muskellänge verändert oder eine Bewegung im Gelenk erfolgt. Bei einem Relevé in der ersten Position beispielsweise bedarf es einer konzentrischen Kontraktion, um auf die halbe Spitze zu gehen, und einer isometrischen bzw. statischen Kontraktion aller Beinmuskeln, um diese Position zu halten.
Am Entstehen einer Bewegung sind in der Regel unterschiedliche Muskeln beteiligt. Erst durch ihr harmonisches Zusammenspiel ist es dem Tänzer möglich, Bewegungsabläufe präzise und fließend auszuführen und seine Haltung exakt zu kontrollieren.
Die einzelnen Skelettmuskeln lassen sich in vier verschiedene Kategorien unterteilen: Agonisten, Antagonisten, Synergisten und Stabilisatoren.
• Agonisten: Bei Muskeln, deren Kontraktion zur Ausführung der gewünschten Bewegung führt, handelt es sich um Agonisten (Beweger). Die an der Bewegung maßgeblich beteiligten Muskeln werden Erstbeweger genannt. So erfolgt die Streckung des Fußes zum Beispiel durch den Zweiköpfigen Wadenmuskel und den Schollenmuskel. Diese beiden Muskeln fungieren als Erstbeweger, obgleich auch weitere Muskeln, sogenannte Zweitbeweger, bei der Streckung zum Einsatz kommen.
• Antagonisten: Die den Agonisten gegenüberliegenden Muskeln werden als Antagonisten bezeichnet. Arbeiten die Antagonisten, dann nehmen die Agonisten eine Art Entspannungshaltung ein und werden dadurch länger. Sie können aber auch gleichzeitig mit den Agonisten kontrahieren (Kokontraktion). Auf Abbildung 1.2 sieht man das Spielbein in der Attitude-Derrière-Position. Hier fungieren die Muskeln auf der Oberschenkelrückseite und die Gesäßmuskeln, die das Bein nach hinten bewegen und eine Hüftgelenkstreckung erzeugen, als Agonisten. Als Antagonisten dienen die Hüftgelenkbeuger bzw. die Muskeln, die auf der Vorderseite des Hüftgelenks verlaufen. Diese Muskeln sind gestreckt, während die Beweger kontrahieren. So werden zum Beispiel beim Grand Plié in der zweiten Position für die erneute Beinstreckung die Muskeln der Oberschenkelvorderseite als Agonisten benötigt, wobei als Unterstützung des Kniegelenks die Hüftgelenkstrecker als Antagonisten kontrahieren.
• Synergisten: Muskeln, die als Synergisten einzustufen sind, haben zwei Funktionen: Sie unterstützen oder sie neutralisieren die Bewegung. Ein Tänzer sollte unbedingt wissen, dass er seine Bewegungen mithilfe der Synergisten klar definieren kann. Hebt der Tänzer beispielsweise durch Beugung des Schultergelenks kraftvoll den Arm, wie in Abbildung 1.2 zu sehen, verhindert der unter dem Großen Brustmuskel verborgen liegende Hakenarmmuskel oder Rabenschnabeloberarmmuskel die Trennung von Oberarmknochen und Schulterblatt. Dieser kleine Muskel fungiert als Synergist und kontrahiert, wodurch eine bessere Kontrolle der Bewegung des Oberarmknochens im Verhältnis zum Schulterblatt möglich wird. Die aktive Rolle kommt bei dieser Bewegung zwar den Erstbewegern zu, diese werden jedoch bei der Ausführung gut koordinierter, fließender Bewegungen maßgeblich von den Synergisten unterstützt.
• Stabilisatoren: Muskeln, die ein Gelenk fixieren können, um eine andere Bewegung zu ermöglichen, werden als Stabilisatoren bezeichnet. Da sie beim Tanzen eine wichtige Rolle spielen, werden wir noch mehrfach auf sie eingehen. Stabilisatoren fungieren als eine Art Anker. Abbildung 1.2 zeigt, dass die Bauchmuskeln die Wirbelsäule wie ein Korsett stützen. Durch den Schwung des sich nach hinten bewegenden Spielbeins ließe sich die Haltung ohne die Kontraktion der Bauchmuskeln nicht stabilisieren.
DIE KÖRPERZUSAMMENSETZUNG
Auch die Körperzusammensetzung, also das Verhältnis von Körperfett und Muskelanteil, beeinflusst die tänzerische Arbeit. Die International Association of Dance Medicine and Science (Stand 2011) empfiehlt einen Körperfettanteil von 17 bis 25 Prozent für Frauen und knapp 15 Prozent für Männer.
Tänzer haben traditionell eine geringere Körpermasse als andere Sportler, weil im Tanzbereich Schlankheit bevorzugt wird. Tänzer brauchen jedoch eine gewisse Menge an Fettreserven, damit ihre Muskeln gut funktionieren und sie bei langen Proben nicht zu schnell ermüden. Überdies erhöht das Kaloriensparen zur Fettreduktion das Risiko von Verletzungen, Amenorrhöe und führt zu einer Beeinträchtigung der Knochengesundheit.
Für die Überprüfung der Körperzusammensetzung gibt es mittlerweile sehr komplexe Methoden, aber die einfachste und nach wie vor am weitesten verbreitete ist die Hautfaltenmessung mithilfe einer Messzange (Calipometrie). Dabei wird an bestimmten Körperstellen die Haut zwischen den Fingern vom Muskelgewebe weggezogen und die Dicke der entstandenen Hautfalte gemessen. Aus den Messwerten der Schichtdicke des Unterhautfettgewebes wird dann der prozentuale Körperfettgehalt errechnet. Sprechen Sie Ihren Arzt an, wenn Sie eine Messung vornehmen lassen möchten.
DIE BEWEGUNGSEBENEN
Alle Bewegungen, die wir ausführen, lassen sich als Positionswechsel definieren. Sie entstehen durch Muskelkraft, die wiederum durch das Zusammenspiel von Körper und Willen erzeugt wird. Zum besseren Verständnis von Bewegungen im Tanz beleuchten wir zunächst die körperlichen Aspekte von Bewegung und machen uns dann mit den anatomischen Begriffen vertraut.
Kontrahiert ein Muskel, so entsteht eine Bewegung im Gelenk. Dies lässt sich leicht nachvollziehen. Komplizierter wird es allerdings dadurch, dass Bewegungen ganz unterschiedlichen Richtungen und Mustern folgen.
Um sich diese Richtungen und Muster zu verdeutlichen, ist es hilfreich, den Körper des Tänzers in drei imaginäre Ebenen – Frontalebene, Sagittalebene und Transversalebene – zu unterteilen.
Besitzt der Tänzer eine Vorstellung davon, wie sein Körper sich im Raum bewegt, ist er auch in der Lage, anspruchsvolle Choreografien rasch zu erlernen und seinen Bewegungen eine klare Linie zu verleihen.
ABBILDUNG 1.4Die drei Bewegungsebenen
In Abbildung 1.4 sind die drei Ebenen, die den Raumrichtungen entsprechen, dargestellt. Die Frontalebene teilt dabei den Körper des Tänzers in eine vordere und eine hintere Hälfte. Sie ist auf der Abbildung durch die direkte seitliche Bewegung der Beine dargestellt. Die Transversalebene teilt den Körper in eine obere und eine untere Hälfte und wird auf der Abbildung durch die Rotation des Oberkörpers repräsentiert. Die Sagittalebene schließlich teilt den Körper in rechte und linke Hälfte. In der Abbildung liegen die Arme auf der Linie der Sagitallebene, ein Arm nach vorn, einer nach hinten.
Da sich ein Tänzer unterschiedlich im Raum ausrichten kann und dabei verschiedene Positionen mit Händen und Füßen einnimmt, ist es wichtig, dass er sich der jeweiligen Richtungen stets bewusst ist. Der definierte Ausgangspunkt für alle Bewegungen ist die anatomische Standardposition (Abb. 1.5). Das bedeutet: hüftbreiter Stand, Füße parallel, Arme seitlich am Körper, Handflächen und Gesicht frontal dem Betrachter zugewandt. Aus dieser Grundposition heraus entwickeln sich alle in eine bestimmte Richtung weisenden Körperbewegungen. Sämtliche anatomischen Begriffe beziehen sich hierauf (Tab. 1.2).
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