Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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zu begreifen.360 Balthasar will daher außergewöhnliche Charismen im paulinischen Sinne als „Teilaufträge Einzelner für die Gemeinschaft“361 verstanden wissen.

      Kriterium für wahre christliche Mystik ist dementsprechend nicht zuletzt die Möglichkeit ihrer Kommunizierbarkeit und Vereinbarkeit. „In der Theologie der Heiligen geht es um ein integrales Denken, um ein umfassendes Begreifen des Sowohl-Als-auch.“362 Balthasar unternimmt keineswegs den Versuch, ein System aus Mystiken zu entwickeln, aus den Steinchen einzelner mystischer Erfahrungen gleichsam ein Mosaik zu erstellen. Weil er aber, wie dargelegt, von der objektiven Evidenz der göttlichen Wahrheit überzeugt ist, glaubt er sicher sagen zu können, dass alles Unwahre sich angesichts seiner Inkompatibilität mit dem Gesamt der christlichen Glaubenslehre notwendig selbst entlarven muss.

      „Damit ist das besondere Wesen kirchlicher Mystik … hinreichend situiert. Sie steht als ganze im Raum der Freiheiten des Geistes, der aber im Raum der biblisch-kirchlichen Tradition weht. Es gibt für diese Mystik keinerlei Schema, nach dem die Phänomene sich einordnen und entwickeln liessen. Jedes … fällt senkrecht vom Himmel herab. Dennoch fügt es sich … sogleich in die Landschaft der Tradition ein: verleiht der Botschaft neues Leben“363. Theologie obliegt dann die rationale Durchdringung des dergestalt Geoffenbarten.

      Bis hierher wurde der Versuch unternommen, in groben Zügen die wesentlichen Linien des balthasarschen Theologieverständnisses nachzuzeichnen. Dabei zeigte sich, dass er Theologie im Wesentlichen als Erhellung der einen Glaubenslehre im Licht konkreter Erfahrung göttlicher Selbstoffenbarung begreift. Die innere Form der Theologie ist demnach zu verstehen als „eine aktiv-passive Einstrahlung der göttlichen Herrlichkeit aus der Offenbarungsform her … Natürlich wird diese Primärform nur durch die sekundären Formen hindurch erreichbar – durch geprägte Worte, Begriffe, Bilder, Schemata“364. Als einzig möglicher Denkweg hin zu der Primärform angemessenen Sekundärformen gilt Balthasar seinsphilosophisches Denken aus meta-anthropologischer Perspektive, weil es seiner Überzeugung nach gleichermaßen geeignet ist, das Mysterium göttlicher Selbstoffenbarung zu wahren wie der Dynamik des Geschehens zwischen Gott und Mensch Rechnung zu tragen.

      Zu fragen ist nun in einen weitern Schritt, zu welchen Sekundärformen Balthasar auf diesem Weg in seinem Werk findet, mit welchen Mitteln er also versucht, der Primärform, wie sie sich ihm darstellt, Gestalt zu verleihen.

       2.3 Die Gestalt der balthasarschen Theologie

      Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars, so sollte sich gezeigt haben, ist zutiefst theozentrisch. Jede gedankliche Aufstiegsbewegung des Menschen zu Gott ist bedingend ermöglicht durch eine kenotische Abstiegsbewegung Gottes. Indem Gott dem Geschöpf die Gnade der Anteilhabe an der Fülle des Seins gewährt, ist der Mensch überhaupt empfänglich für die göttliche Ansprache; und nur weil Gott sich mit seinem Wort, zuhöchst in seinem fleischgewordenen Wort, an den Menschen wendet, wird er im menschlichen Wort allererst sagbar. Die Initiative und das Maß der gott-menschlichen Begegnung liegen notwendig bei Gott; die Selbstoffenbarung Gottes ist dem Menschen in keiner Weise verfügbar. Weder konnte und kann er ihr Ergehen gleichsam herbeizwingen, noch kann er das Geoffenbarte gedanklich und begrifflich jemals so bewältigen, dass es ihm zum geistigen Besitz würde. Im Gegenteil: Der Mensch muss sich seinerseits vom Wort Gottes in Besitz nehmen lassen und auf das ihm Zugesagte hören. Jeder Theologie als Aus-Sage von Gott liegt also notwendig ein Akt der Wahrnehmung der Zu-Sage durch Gott ermöglichend zugrunde. Theologie im christlichen Sinne des Wortes zu treiben, ist demnach überhaupt nur möglich, wenn der Mensch „vor dem Ausgriff seiner [doch stets aposteriorischen] Vernunft erst einmal anzuerkennen bereit ist, daß er Geschöpf ist und nicht aus eigenen Gnaden da ist, sondern seinen tragenden Grund extra se zu suchen und als wahr hinzunehmen hat, er zeige sich wie immer.“365 Genau diese Einsicht nun ist es, die von Balthasar zum formalen wie inhaltlichen Ausgangspunkt seines zentralen theologischen Werkes macht. Wolfgang Klaghofer-Treitler findet in seiner umfassenden Studie über die Denkform Balthasars zu der Bezeichnung dieses Grundansatzes als „katalogische Analogik“.366 Gemeint ist damit näherhin „eine derartige Gedankenbewegung, welche Gott analogisch so vermittelt, daß er als wahrhafte und vorgängige Sinnstiftung für das Ganze erscheint“367.

       2.3.1 Die Trilogie: Theologische Ästhetik – Theodramatik – Theologik

      „Das Erste ist nicht Bewältigen des Anschauungsmaterials durch Kategorien des Subjekts, sondern Haltung des Dienstes am Objekt.“368 In seinem theologischen Hauptwerk, der sogenannten ‚Trilogie‘, folgt Hans Urs von Balthasar deshalb nicht etwa den klassischen dogmatischen Traktaten, sondern unternimmt den Versuch, „die christliche Theologie unter dem Licht des dritten Transzendentale zu entfalten“369, will heißen, auf eine Wahrnehmungslehre zu begründen. Dieses Unterfangen steht ausdrücklich unter dem Vorzeichen des Postulats, dem Moment der Rezeptivität Priorität im theologischen Denken und Arbeiten einzuräumen, und verfolgt das Ziel der neuen Annäherung an die ursprüngliche Einheit von Theologie und Heiligkeit im oben dargelegten Sinn.

      In dieser Absicht also nimmt Balthasar seinen Einstieg mit den sieben Bänden seiner „Herrlichkeit“, indem er „eine theologische Ästhetik“ entwirft, und betritt damit zweifellos theologisches Neuland. „Ziel theologischer Ästhetik … ist es, Auskunft und Zeugnis zu geben von jenem Begegnungsgeschehen, das von Gottes Erscheinungswillen bewirkt wurde und in Jesus Christus erfolgte. Aber nicht das Geschehen selbst will sie untersuchen, sondern seine Ansichtigkeit … und seine Ausstrahlungskraft“370. Balthasar grenzt sich damit ausdrücklich von jeder Form ästhetischer Theologie ab371, in der ein weltlichphilosophischer Begriff von Schönheit und Kunst auf das Offenbarungsgeschehen angewendet wird, letztlich mit dem Ziel, „den schönen Ausdruck des Gottesgedankens, die Poesie der Bibel, (zu) gewinnen.“372 Er setzt seinerseits ein Verständnis dagegen, wonach Ästhetik „etwas rein Theologisches …, nämlich … der nur im Glauben wahrnehmende Empfang der sich selbst auslegenden Herrlichkeit der allerfreiesten Liebe Gottes“373 ist.

      Entsprechend der dialogischen Struktur ihres Gegenstandes entfaltet Balthasar die so verstandene Ästhetik in zwei Richtungen, nämlich einerseits hin zu einer fundamentaltheologischen Erblickungslehre als einer Lehre von der Wahrnehmung der göttlichen Offenbarung374 und andererseits zu einer dogmatischen Entrückungslehre „als Lehre von der Menschwerdung der Herrlichkeit Gottes und von der Erhebung des Menschen zur Teilnahme daran.“375 Sachliche Priorität räumt von Balthasar dabei der Entrückungslehre ein, weil die Wahrnehmung der göttlichen Wirklichkeit nicht anders möglich ist, als durch „das Eingeholtwerden des Menschen durch Gottes Herrlichkeit“376, das Sich-selbst-entrückt-Werden der Kreatur in den ihr völlig unverfügbaren Raum göttlicher Liebe hinein. Darin ganz seinem Verständnis des christlichen Wahrheitsgeschehens folgend, macht er sich also ausdrücklich eine Haltung der Indifferenz und Dienstbereitschaft als theologische Primärtugend zueigen.

      Die Ästhetik steht nach dem bisher Gesagten deshalb an erster Stelle innerhalb des Gesamt der balthasarschen Theologiekonzeption, weil ihr die Funktion der Begründung obliegt. Ihr Gegenstand wächst der Theologie einzig aus der Offenbarung Gottes zu. In der ästhetischen Betrachtung der objektiven Selbstauslegung Gottes, so Balthasars unumstößliche Überzeugung, wird der Mensch geradezu hingerissen und überwältigt von der „Dimension der Stimmigkeit, die in diesem Ganzen herrscht“377. In dieser absoluten Stimmigkeit tritt die alles weltliche Schöne weit überstrahlende Herrlichkeit Gottes zutage, die „die Nezessität des Ganzen378 unübersehbar macht. Balthasar kann deshalb auch sagen: „Hingerissenwerden … ist der Ursprung des Christentums“379, denn aus dieser Erfahrung erwächst das, was oben bereits als objektive Evidenz beschrieben wurde, nämlich eine Gewissheit, „die nicht in der eigenen Evidenz des menschlichen Verstandes, sondern in der kundgetanen Evidenz der göttlichen Wahrheit beruht: nicht im Erfasst-haben, sondern im Erfasst-worden-sein.“380 Noch


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