Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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Einwohnung des göttlichen Geistes zu, „d. h. Gott selbst wird zum eigentlich vollziehenden Subjekt im Menschen.“275 Aus rein menschlichen Kräften wäre eine Erkenntnis der göttlichen Wahrheit deshalb gar nicht möglich, weil Gott nur von Gott erkannt werden kann.

      Mit diesem Diktum greift Hans Urs von Balthasar ein Axiom Karl Barths auf276, das er mit der Überführung in sein Denken aber zugleich auch wesentlich modifiziert. Barth nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Einsicht, dass Gott faktisch erkannt werden kann. Diese Erkennbarkeit Gottes sieht er einzig in der wesentlichen Bereitschaft Gottes erkannt zu werden begründet. „‚Gott ist erkennbar‘ heißt: ‚Gott kann erkannt werden‘ – er kann es aus sich selbst und durch sich selbst. Er ist in seinem Wesen, so wie es uns in seinem Handeln zugewendet ist, so beschaffen, daß er von uns erkannt werden kann.“277 Die Erkennbarkeit Gottes ist demnach zuerst Gottes eigene, in seinem trinitarischen Sein begründete Möglichkeit; Vater und Sohn erkennen einander im Heiligen Geist. In diesem Sinne ist „Gott … von Ewigkeit und in Ewigkeit sich selbst erkennbar.“278

      Damit diese Erkennbarkeit Gottes für sich selber nun auch zu seiner Erkennbarkeit für uns werden kann, bedarf es nach Barth einer der göttlichen Bereitschaft entsprechenden Bereitschaft auf Seiten des Menschen. Eine solche grundsätzliche Ansprechbarkeit des Geschöpfes für Gott ist nun aber keinesfalls als ein selbständiges, dem Menschen eigenes Vermögen zu verstehen, das gleichsam in Wechselbeziehung mit der göttlichen Bereitschaft erkannt zu werden stünde. Vielmehr ist es so, dass die menschliche Möglichkeit Gott zu erkennen „nicht nur zuerst und entscheidend, sondern einzig und allein in der Bereitschaft Gottes, d. h. in der in der Gnade und Barmherzigkeit seiner Offenbarung uns geschenkten Erkennbarkeit Gottes besteht. Eben in der hier einzig und allein in Betracht kommenden Bereitschaft Gottes ist nun aber die Bereitschaft des Menschen eingeschlossen“279, die also ausschließlich darin bestehen kann, sich der Gnade Gottes in voller Erkenntnis und vor allem Anerkenntnis des eigenen Unvermögens und der Bedürftigkeit zu öffnen.

      Das Problem, das sich für Barth an dieser Stelle nun aber auftut, liegt in seinem Menschenbild begründet. Der Mensch in seiner Sündenverhaftetheit, so seine unumstößliche Überzeugung, ist de facto gar nicht in der Lage, sich selbst dergestalt in völligem Gehorsam der Gnade Gottes anzuvertrauen. Vielmehr muss er geradezu in hybrider Selbstbehauptung die Fähigkeit, Gott zu erkennen, stets für sich reklamieren. Die „Realität zeigt uns den Menschen an sich und als solchen nicht im Frieden, sondern im Streit mit der Gnade. Ist es anders, dann haben wir bestimmt nicht nur diese Realität, nicht diese Realität an sich und als solche vor Augen.“280 Dieses Bild kann sich nach Barth einzig unter christologischem Aspekt ändern. Als wahrer Mensch hat Jesus Christus, stellvertretend für alle Menschen, die dem Menschen einzig gebührende Bereitschaftshaltung Gott gegenüber eingenommen; als wahrer Gott verfügt er zugleich über seine Erkennbarkeit. „Die in der Bereitschaft Gottes eingeschlossene Bereitschaft des Menschen ist Jesus Christus. Und also ist Jesus Christus die Erkennbarkeit Gottes von uns her, wie er die Gnade Gottes selber ist und also auch Gottes Erkennbarkeit von Gott her.“281 In diesem Sinne kann mit Barth letztlich nur von einer einzigen Bereitschaft zur Gotteserkenntnis die Rede sein.

      Gleichwohl aber, und hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur späteren Interpretation des Axioms bei Hans Urs von Balthasar, ist bei Barth der Mensch Subjekt eben dieser Erkenntnis. Zwar liegt auch nach barthschem Verständnis die Fähigkeit Gott zu erkennen keinesfalls im natürlichen menschlichen Vermögen begründet. Wohl aber erhält der Mensch im vom Heiligen Geist gewirkten Glauben, als der „zeitliche(n) Gestalt seines ewigen Seins in Jesus Christus“282, Anteil an Christi Haltung gehorsamer Bereitschaft für Gott. „Wir haben nur das Zeugnis von Jesus Christus anzunehmen und wir haben dann nur auf Jesus Christus zu sehen … dann sehen wir den Menschen, dem Gott erkennbar ist, dann sehen und verstehen wir uns selbst als solche, denen Gott erkennbar ist, dann kann also auch in Wahrheit vom Menschen in seiner Beziehung zu Gott geredet … werden.“283 Barth denkt also Gott und Mensch als einander im Erkenntnisprozess gegenüberstehend. Balthasar dagegen spricht von einer Selbstübereignung des Menschen an Gott: das menschliche Subjekt muss sich, um die göttliche Wahrheit erkennen zu können, geradezu von Gott vereinnahmen lassen.

      Balthasar will die In-Besitz-Nahme durch Gott nun aber keineswegs als Selbstverlust des Menschen verstanden wissen. Im Gegenteil: Es sei daran erinnert, dass seiner Überzeugung nach der Mensch sich angesichts eigener Kontingenzerfahrungen auf das absolute Sein Gottes und seine Wahrheit verwiesen sieht. „Und wenn der Mensch sich dann in freier Entscheidung zu diesem Akt der Glaubensunterwerfung unter das umgreifende Wissen seines Herrn und Schöpfers entschließt, dann gehorcht er zugleich seiner Natur“284, d. h. er findet darin auch zu seiner eigenen Wahrheit, die wiederum insofern Moment göttlicher Wahrheit ist, als der Mensch sich als von Gott geliebtes Geschöpf erkennen wird. Einzig ein so verstandener Glaube ist nach Balthasar das geeignete Erkenntnisorgan für göttliche Wahrheit.285

      Wenn die Erkenntnis göttlicher Wahrheit dergestalt an den Glauben des Subjekts gebunden ist, so gilt das notwendig auch mit Blick auf die Theologie, der ihrem Selbstverständnis nach der vernunftmäßige Nachvollzug dieser Wahrheit obliegt. „Es gehört zum Wesen dieser und nur dieser Wissenschaft, daß ihre wissenschaftliche Objektivität auf dem Glaubenentscheid beruht, daß es also [theologisch gesehen] keine neutrale Objektivität geben kann, den Gegenstand des Glaubens auch ohne Glauben bzw. von Glaube oder Unglaube absehend zu behandeln.“286

      Diese Einsicht Balthasars bestätigt sich noch einmal mit Blick auf den Inhalt der Wahrheit, nämlich das Wesen Gottes als Liebe. „Theologische Wahrheit, die sich nicht selbst immer leuchtender als der ungebreifliche Ein- und Durchbruch der ewigen … Liebe erweisen würde, wäre keine“287. Das heißt nun aber keineswegs, Theologie könne oder solle sich in reiner Affektivität ergehen. Theologie ist auch im balthasarschen Verständnis alles andere als Rückzug in den Bereich der Emotionalität und Innerlichkeit. „Es soll scharf und richtig gedacht werden. Aber es soll auch sachgerecht gedacht werden, nämlich so, daß man dieser einen, einzigartigen, inhaltlich und methodisch unvergleichlichen Sache gerecht wird.“288 Die Sache der Liebe ist nun aber kein objektivierbarer Gegenstand, der gleichsam aus der Distanz heraus zu analysieren und beurteilen wäre. Die „Logik der Liebe wird von keinem außenstehenden Beobachter erfaßt“289, „der Ort, von wo aus Liebe beobachtet und bezeugt werden kann, kann nicht außerhalb der Liebe [in der ‚reinen Logizität‘ der sogenannten Wissenschaft] liegen“290. Theologie kann daher nur treiben, wer bereit ist, sich seinerseits ganz für Gott zu öffnen, um sich von ihm in dieses Liebesgeschehen einbeziehen zu lassen. Theologie ist deshalb nach balthasarschem Verständnis überhaupt nur aus einer Haltung der Kontemplation und Anbetung heraus möglich. „So ist Gebet die einzige sachliche Haltung vor dem Mysterium. (…) Über diese Haltung des Gebets kommt auch die Haltung der Erkenntnis nicht hinaus.“291 In diesem Sinne prägte Balthasar das Diktum von der knienden Theologie292, die einzig die Bezeichnung, Rede von Gott zu sein, verdiene.293

      Weil theologische Erkenntnis dergestalt an den personalen Glaubensvollzug gebunden ist, erwächst Gewissheit hinsichtlich der Wahrheit der in dieser Begegnung zwischen Gott und Mensch eröffneten Beziehung, in Analogie zu weltlichen personalen Begegnungen, einzig aus ihrer Bewährung. Anders als andere Wissenschaften hat Theologie nicht Sachverhalte zu beweisen, sondern Bewährtes zu bezeugen und als mit der menschlichen Vernunft vereinbar auszuweisen. „Theologie kann, vom Evangelium aus betrachtet, nichts anderes sein, als eine Form der Zeugnisablegung.“294 Und weil das zu Bezeugende die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen ist, wird das Zeugnis immer auch ein zu praktizierendes sein. „Es gibt … im Sinne der Offenbarung gar keine wirkliche Wahrheit, die nicht in einer Tat, einem ‚Wandel‘ zu inkarnieren wäre, so sehr, daß die Inkarnation Christi zum Kriterium aller wirklichen Wahrheit wird“295.

      Auch und gerade der Theologe und die Theologin müssen sich also mit ihrer ganzen Existenz, mit ihrem Denken und Handeln, in den Dienst und unter die Verfügung der göttlichen Offenbarung stellen. „Theoria vollendet sich in der Verfolgung des Weges Jesu Christi bis ans Ende; nur so erhält sie an der theologischen Wahrheit Christi Anteil.“296


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