Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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auch bewusst anzunehmen ist. „Rezeptivität besagt … nicht nur die Aufgeschlossenheit gegenüber anderem Seienden, sondern ausdrücklich auch die Fähigkeit, sich von diesem Seienden mit dessen eigener Wahrheit beschenken zu lassen.“217 Das bewusste Sich-Öffnen des Subjekts für ein ihm begegnendes Objekt in der Bereitschaft, es in seiner Wahrheit anzunehmen, ist also nach Balthasar „notwendiges Apriori subjektiver Erkenntnis von Wahrheit.“218

      Das heißt nun aber keineswegs, dass ein Objekt dem Subjekt gleichsam eine fertige Wahrheit vorlegen könnte, die dieses nur aufzunehmen bräuchte. Vielmehr ist das Objekt seinerseits auf die Hilfe des Subjekts angewiesen, um allererst zu seiner Wahrheit zu gelangen. „Das Wahrheits-Geschehen stellt sich damit als Ereignis eines wechselseitigen Zuvorkommens dar.“219 Die Rezeptivität des Subjekts wird im Prozess der Wahrheitserkenntnis deswegen notwendig ergänzt durch seine Spontaneität. Indem das Subjekt das Objekt für sich entdeckt, trägt es zur Unverhülltheit seines Seins und damit zu seiner Wahrheit bei. Das Objekt „hat seine objektive Wahrheit zu einem Teil in sich selbst, zum anderen im Raum des Subjekts, das ihm durch seine Tätigkeit dazu verhilft, zu werden, wozu es bestimmt ist.“220 Das Subjekt kann also andersherum auch keine rein subjektive oder gar willkürliche Wahrheit in das Objekt hineinlegen. Vielmehr muss es sich „der Maßgabe des Objekts anvertrauen, d. h. die Erkenntnis hat sich am Sachverhalt zu messen [adaequatio intellectus ad rem].“221

      Dieses Maß, an dem sich die Wahrheit bemisst, ist einem Seienden aber nur gegeben, wenn und sofern es gemessen, d. h. zutiefst erkannt ist. Nun wird man aber angesichts eigener Kontingenzerfahrungen zugestehen müssen, dass das Subjekt kein Objekt je ganz wird erkennen können, dass es nicht einmal sich selbst allein im Rückbezug auf das eigene Bewusstsein völlig durchschauen kann. Ohne ein Maß seines Seins aber käme einem Seienden keine Wahrheit und somit auch keine Wirklichkeit, d. h. keine Existenz zu. Folgt man Balthasar, so ist die einzig plausible Schlussfolgerung, dass das Maß eines jeden Objekts von einem unendlichen Subjekt, also von Gott gegeben sein muss. Es „hat sein Maß an der Idee, die Gott von ihm hat. Soweit es mit dieser Idee übereinstimmt, hat sein Sein an der Wahrheit teil.“222 Und soweit das Subjekt sich an eben diesem im Objekt liegenden, normativen Maß orientiert, wird es seine Wahrheit erkennen.

      So sehr es im Sinne Balthasars auch richtig ist, dass „das menschliche Subjekt … in der Wahrheitserkenntnis nicht nur das Registrierende, sondern immer auch schöpferisch mitbestimmend oder sogar … ein Wahrheit setzendes Wesen“223 ist, so darf darüber doch nicht übersehen werden, dass seiner Überzeugung nach auch dem Moment der schöpferischen Spontaneität immer die rezeptive Haltung der Bereitschaft der Annahme des vorgegebenen Maßes ermöglichend zu Grunde liegt. „Die Spontaneität, die sich im endlichen Selbstbewusstsein kundtut und grundlegt, hat in sich selbst die Qualität einer tiefern Rezeptivität gegenüber der unendlichen Spontaneität Gottes.“224 Weltlichendliche Wahrheit ist in diesem Sinne Teilnahme an der absoluten Wahrheit.225 Balthasar geht deshalb sogar soweit zu sagen, in jeder natürlichen Wahrheitserkenntnis werde „Gott, das unendliche Subjekt, wenn auch noch so verhüllt und noch so indirekt, als der notwendige Grund jeder weltlichen Wahrheit ansichtig“226. Das Subjekt greift bewusst oder unbewusst auf diesen Grund zu und leistet dem Objekt darin den Dienst, ihm zu seiner Wahrheit zu verhelfen. Analoges gilt aber wiederum auch in umgekehrter Richtung. Der Mensch gelangt in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt zu einem immer umfassenderen Bewusstsein seiner selbst. In der Begegnung mit Objekten reift er in seiner Persönlichkeit und findet dergestalt mehr und mehr zu seiner eigenen Wahrheit.

      Wahrheit im Sinne Balthasars erweist sich demnach „weder als ‚photographische Anpassung‘ des Subjekts an die ihr Bild ‚divinatorisch‘ einprägende Objektivität noch als ‚titanische Unterwerfung‘ der Objektivität unter eine universal setzende Subjektivität“227, sondern ist zu beschreiben als vorgegebene Bestimmung, die aber erst in der dialogischen Begegnung zwischen Subjekt und Objekt zu ihrer Erfüllung kommt. Wahrheit ist nicht Sachverhalt sondern Prozess. „Im Augenblick, da die Wahrheit ganz zu sich selber kommt, weil die Enthüllung des Seienden sich selber besitzt und versteht, hört die Wahrheit auf, eine allgemein zugängliche Sache zu sein, um zu einer freien, personalen Wirklichkeit zu werden.“228

      Als dergestalt personales Begegnungsgeschehen muss Wahrheitserkenntnis nun notwendig ein Freiheitsgeschehen sein. Das Subjekt kann kein Objekt zwingen, sich zu offenbaren und ihm seine Wahrheit zu enthüllen. In umgekehrter Blickrichtung betont Balthasar aber gleichermaßen die grundsätzliche Freiheit des Subjekts, sich einem Objekt erkennend zuzuwenden oder sich willentlich abzuwenden. Wahrheit erwächst also einzig aus der gegenseitigen, freien Zuwendung von Subjekt und Objekt; es ist dieser eine gemeinsame Akt, in dem sich das Sein enthüllt. „Der Wille im seienden Objekt, sich zu erschließen, und der Wille im erkennenden Subjekt, sich vernehmend zu öffnen sind nur die doppelte Form der einen Hingabe, die sich in diesen zwei Arten kundtut. Damit ist die Einsicht gewonnen, daß die Liebe nicht von der Wahrheit trennbar ist.“229

      Kriterium für Wahrheit ist darum auch nicht primär die Richtigkeit eines bestimmten Sachverhalts. „In dieser Auslegung ist der sachliche Gehalt der Wahrheit durchaus nicht aufgehoben, aber klar eingeschränkt. Er hat seine personale Beziehungsfähigkeit auf die Probe zu stellen und sich in diesem Punkt zu bewähren. Eine sachliche Richtigkeit ist erst dann auch wahr, wenn sie sich in diesem Punkt bewährt hat.“230 Wahrheit ist letztlich nicht zu beweisen, sondern das Sein eines Seienden ist dann in seiner Wahrheit erfasst, wenn der Mensch sich ihm anvertrauen kann. „Ist das Sein in seiner Erscheinung wirklich erschlossen, und kann es sich in seiner Erschlossenheit selbst bezeugen, dann weicht der Verdacht des bloßen Scheins, einer Täuschung, eines Betrugs und macht einer Gewißheit Platz, die in sich die Festigkeit, Gültigkeit, Zuverlässigkeit des Seins im Bewußtsein widerspiegelt.“231

      Diese Sicherheit ist nun aber keinesfalls zu verwechseln mit Verfügbarkeit. Die Wahrheit eines Objektes ist angesichts seiner Teilhabe an der Fülle des Seins nicht durch begrenzende Konturen zu de-finieren und in diesem Sinne zu bewältigen; vielmehr kann sie sich einzig und allein in einer beiderseits freien Begegnung zwischen Subjekt und Objekt entfalten. Nur derjenige also, der bereit ist, sich auf die Erfahrung von Wahrheit einzulassen, ist deshalb überhaupt in der Lage, ihr zu begegnen. „Dieser erste Akt des Glaubens, des sich hingebenden Vertrauens ist keineswegs irrational, sondern die schlichte Vorbedingung dafür, sich der Existenz des Rationalen überhaupt zu vergewissern.“232 Balthasar will den mit dem Begriff ‚Wahrheit‘ implizierten objektiven Geltungsanspruch demnach keineswegs relativieren und dergestalt die Rationalität weltlicher Erkenntnis in Frage stellen. Für ihn gilt vielmehr: „Was sich ‚phänomenologisch‘ zeigt, ist das, was ‚ontologisch‘ ist.“233 Der Mensch kann also durchaus gewiss sein, in der Erscheinung dem Sein eines Objekts und damit seiner Wahrheit zu begegnen, allerdings ist diese Gewissheit nicht auf einseitig rationalem Wege zu gewinnen. Sie erwächst vielmehr einzig dort, wo sich die personale Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als verlässlich erweist. In dieser Bewährung wird zugleich eine zweite grundlegende Eigenschaft von Wahrheit begriffen: „Sie ist nicht nur ἀλὴθ∈ια, Unverborgenheit, sie ist auch Emeth: Treue, Beständigkeit, Zuverlässigkeit.“234

      In aller Erkenntnis aber, so betont Balthasar immer wieder, ist und bleibt Wahrheit wesentlich Geheimnis.235 Weil das Sein über alles weltlich Seiende hinausgeht, deshalb kann auch die Wahrheit des Seins nicht in weltlichen Enthüllungen aufgehen. Alle weltliche Wahrheit hat zwar Teil an der einen, absoluten Wahrheit des Seins und ist in diesem Sinne echte Wahrheit, aber es ist dem endlichen Subjekt nicht möglich, die Wahrheit in ihrer Totalität zu erfassen. „Erschlossenheit (des Seins; S. H.) kennt als solche grundsätzlich keinen Abschluß. Wahrheit wäre dann nicht mehr sie selbst. Das Wahrheitsfeld weitet sich darum im Fortschritt des Wissens, statt daß man seinen ‚Grenzen‘ näher käme.“236 Wahrheit ist somit immer notwendig situativ und perspektivisch, d.h. geschichtlich. Nur in der konkreten Begegnung von Objekt und Subjekt kann sich überhaupt Wahrheit ereignen, die darum immer geprägt ist durch die jeweiligen Eigentümlichkeiten beider Seiten sowie auch des sie umgebenden räumlich-zeitlichen Umfeldes. „Darum wird der, der die Wahrheit in


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