Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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an diesen ihren Grund verbleibt.252 „Wenn der Theologe … die aus der Philosophie gewonnenen Erkenntnisbegriffe verwendet, so darf das nur zu dem Zweck geschehen, das Verstehen der geoffenbarten Wahrheit zu vertiefen“253. Andererseits kann man aber im Sinne Balthasars mit der gleichen Berechtigung und Bestimmtheit sagen, der Mensch kann die göttliche Wahrheit tatsächlich gültig zur Sprache bringen, weil sie ihm in Jesus Christus wahrhaftig und verlässlich zugesagt ist. „Ein wirkliches Verstehen des sich auslegenden Gottes durch Menschen (ist) möglich, oder umgekehrt: … das bleibend Geheimnishafte Gottes (hindert) ein wirkliches Verstehen von seiten des Menschen nicht“254.

      Balthasar geht sogar so weit zu behaupten, die Erscheinung Gottes in der Person Jesu Christi sei so offenbar, dass ihr, so Leben, Tod und Auferstehung in ihrer Einheit in den Blick genommen werden, objektive Evidenz zukomme. In der Gesamtschau nämlich trete ein ganzheitliches Phänomen zutage, dessen objektiv strahlende Richtigkeit und Stimmigkeit dem Subjekt unweigerlich einleuchten müsse.255 Balthasar ist deshalb unumstößlich davon überzeugt, dass jedem, der behauptet, in der Offenbarungsgestalt nicht die Wahrheit Gottes erkennen zu können, objektiv nachgewiesen werden könne, welchen der die Gesamtgestalt konstituierenden Aspekte er, sei es ohne eigenes Verschulden oder aber auch schuldhaft, übersehen hat.

      Ein solches schuldhaftes Nicht-sehen-Wollen ist es vor allem, das Balthasar dem neuzeitlichen Denken, auch und gerade innerhalb der Theologie, vorwirft. „Nicht die Unsichtigkeit des Gegenstandes schafft im Erkennenden Unsicherheit und schliesslich ein Verfehlen, vielmehr das gefasste Vor-Urteil, das die Sache sich nicht so verhalten kann, wie sie sich darbietet, das wahre Ärgernis ist Besserwisserei, die ihre eigene subjektive Meinung gegen die objektive Evidenz setzt.“256 Mit diesem Begriff bezeichnet Balthasar also näherhin „solche Evidenz, die vom Phänomen selbst her auf- und einleuchtet, und nicht solche, die auf Grund von Bedürfnisbefriedigung des Subjekts festgestellt wird.“257 Voraussetzung wahrer Erkenntnis ist demnach die Bereitschaft des Menschen, sich unter größtmöglicher Absehung von der eigenen Person für die Gestalt Jesu Christi zu öffnen. Was im Hinblick auf die Erkenntnis der Wahrheit weltlicher, auch menschlicher Objekte als unterschiedlich tiefe Ausprägungen der einen Haltung der Dienstbereitschaft des Subjekts charakterisiert wurde, wird angesichts der Absolutheit göttlicher Wahrheit in eine davon qualitativ wesentlich unterschiedene totale Selbstübergabe des Subjekts an Gott überstiegen. Rezeptivität wird zum reinen Gehorsam dem von Gott her Zugesagten gegenüber, womit dem Moment der Passivität innerhalb des Erkenntnisaktes unbedingte Priorität zukommt. „Solange der Mensch noch handelt, ist noch nicht experimentell erwiesen, daß er dabei Gott gehorcht.“258 Wo eine Person sich aber in einer Haltung der Indifferenz im Sinne der „‚lassenden‘ Verfügbarkeit“259 ganz öffnet, um „Gott in ihr selbst Gott sein zu lassen, ihm allen Raum zu gewähren, den er für seine Liebe beansprucht“260, kann die Wahrheit Gottes zutage treten, „weil diese Haltung mit keinen eigenen Umrissen, Plänen, wohlgemeinten Einfällen dazwischenfährt“261. Andersherum gilt auch hier wieder, in Analogie zur weltlichen Wahrheitserkenntnis, dass diese Passivität eine Form höchster Aktivität im Sinne der aktiven Bereitschaft, das von Gott her Zugesagte dankend anzunehmen, darstellt.

      „Indifferenz ist der Grundakt der Kreatur.“262 Zu dieser Einsicht gelangt Balthasar im Zuge seiner theologischen Interpretation der ignatianischen Exerzitien. Im Zentrum der geistlichen Übungen steht seinem Verständnis nach das Motiv einer doppelten Wahl. Die primäre Wahl liegt bei Gott, der jeden Menschen auf spezifische Weise in den Dienst der Mitarbeit an seinem universalen Heilsplan nehmen will. In der persönlichen Ansprache durch Gott wird der Mensch dann seinerseits in die Wahl gestellt. Indifferenz meint nun „die aktive Bereitschaft, Gottes Wahl für mich zu übernehmen“263 und dergestalt der Idee, die Gott von mir und für mich hat, gerecht zu werden. Es geht also nicht um eine Haltung der stoischen Gelassenheit, sondern vielmehr darum, „dass wir uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichgültig machen müssen. Alle Grundbedürfnisse unseres Lebens, Gesundheit, Ehre, Besitz, Leben werden eingeordnet in den Kontext, dass alles der Ehre Gottes und damit dem Ziel unseres Lebens diene.“264

      Diese Erkenntnis ruht im Letzten auf dem Erlebnis der persönlichen Berufung auf, das von Balthasar 1927 zuteil wurde. Als junger Doktorand der Germanistik nahm er an einem Exerzitienkurs teil, als ihm plötzlich mit unausweichlicher Sicherheit klar wurde: „Du hast nichts zu wählen, du bist gerufen; du wirst nicht dienen, man wird sich deiner bedienen; du hast keine Pläne zu machen, du bist nur ein kleines Steinchen in einem Mosaik, das längst bereit steht. Ich brauchte nur ‚alles zu verlassen und nachzufolgen‘, ohne Pläne zu machen, ohne Wünsche und Einsichten: ich brauchte nur dazustehen und zu warten und zuzusehen, wozu man mich brauchen würde.“265 Dieser Ruf führte Balthasar 1929 in die Gesellschaft Jesu, in der er über 20 Jahre lebte. Auch sein Austritt im Jahr 1950 bedeutete ihm keineswegs eine Abkehr. Vielmehr sah er sich von Gott in eine neue Aufgabe gestellt, die sich als unvereinbar mit seiner Ordenszugehörigkeit erwies. Gemeint ist die Gründung der Johannesgemeinschaft, eines Säkularinstitutes, das er in engster Zusammenarbeit mit Adrienne von Speyr ins Leben rief und seelsorgerisch begleitete.266 Wie sehr er sich gerade in seinem für ihn äußerst schmerzhaften Entschluss zum Ordensaustritt der ignatianischen Grundintention verpflichtet wusste, belegt sein „Abschiedsbrief an die Gesellschaft Jesu“, in dem es heißt: „Und wenn ich sie, Paternität, heute bitte, mich meines Gelübdes, in die Gesellschaft Jesu einzutreten für ein Leben in Armut, der Jungfräulichkeit und des Gehorsams, zu entbinden, dann wahrlich nicht, um mich dem Kreuz des Ordenslebens zu entziehen, und statt Wille und Geist zu unterwerfen einen persönlichen Plan zu verfolgen, sondern im klaren Bewusstsein, mich an Gott und unserem heiligen Vater Ignatius in einem viel engeren, die Freiheit viel strenger entziehenden Gehorsam zu binden, gemäß dem Worte: Wenn du alt geworden sein wirst, wird man dich führen, wohin du nicht willst.“267 In den 1980er Jahren bemühte sich Balthasar denn auch um eine Wiederaufnahme in den Orden, die ihm jedoch nicht gewährt wurde.

      Die christliche Grundhaltung der Indifferenz ist nun im Sinne Balthasars nicht nur die „seinshafte … Voraussetzung für den Vollzug der Wahl, d. h. für die Setzung des Aktes, der christliches Sein begründet“268, sondern sie hat als bleibende Haltung jeden Lebensvollzug eines Gläubigen zu durchwalten und ist ergo auch und im Besonderen Maß-gebend für jede Theologin und jeden Theologen. Deshalb ist es wohl nicht übertrieben, den Geist der Exerzitien als einen Schlüssel auch zum balthasarschen Theologieverständnis zu bezeichnen. „In der Theologie des Ignatius sah von Balthasar das … überzeugend gelungene Korrektiv zu jedem Konzept christlicher Lehre, das vorwiegend an den [platonisierenden] Aufstiegen der Seele zum jenseitigen Bezugspunkt ihrer Herkunft und Zukunft orientiert war.“269 Nicht aktive Suche, nicht menschliches Streben nach der Wahrheit Gottes lehrt Ignatius die Wissenschaft, sondern Gelassenheit, sich das Wort Gottes zusagen zu lassen, und Bereitschaft, ihm in existentiellem Gehorsam zu folgen.

      In der bewussten Einnahme einer Haltung der Indifferenz geht es also darum, „den ganzen Menschen zu einem antwortenden Raum auf den göttlichen Inhalt zu machen.“270 Eine solche Übereignung der gesamten Existenz ist nach Balthasar nun nichts anderes als Glauben im christlichen Vollsinn.271 „Glaubende Existenz wäre somit Existenz im Liebestod. Nicht in einer beliebigen, durch das Ermessen des Augenblicks temperierten und vom Menschen manipulierten Hingabe, sondern in einer Antizipation der Lebenshingabe bei jeder einzelnen Situation christlicher Existenz.“272 Anders als im Prozess der Erkenntnis weltlicher Wahrheit, der primär in der Aneignung der objektiven Wahrheit durch das Subjekt besteht, verhält es sich bei der Glaubenswahrheit demnach so, „daß hier nicht das erkennende Subjekt von etwas Besitz ergreift, sondern von dem Gegenstand der Erkenntnis, d. h. von der Person Gottes in Besitz genommen wird.“273 Die sich bereits auf der Ebene der Erkenntnis endlicher Subjekte anfanghaft vollziehende Verlagerung von Aktivität auf das Objekt bei gleichzeitig zunehmender Passivität des Subjektes im Sinne der vertrauensvollen Hinnahme der zugesagten Wahrheit findet hier zu ihrer endgültigen Vertiefung. Der Mensch als Erkenntnissubjekt hat sich in einer Haltung völliger Passivität zur göttlichen Verfügung zu stellen. Indem er sich dergestalt von Gott ergreifen lässt, geschieht eine „ontische Erhebung des


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