Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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Unähnlichkeit zwischen göttlichem und kreatürlichem Sein verschleiert werde. In der Forschung herrscht weitgehend Konsens darüber, dass Barth mit diesem Verdacht dem Entwurf Przywaras nicht gerecht wurde.199 Przywara hat keinesfalls einen Gott und dem Geschöpf gleichsam übergeordneten Seinsbegriff entwickelt, sondern im Gegenteil besonders den Aspekt der je größeren Unähnlichkeit zwischen endlichem und unendlichem Sein ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt.

      Wenn Barth seinerseits von einer Analogia fidei im Sinne „einer ‚Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit‘ zwischen ‚menschlicher Entscheidung im Glauben‘ u. ‚Entscheidung der Gnade Gottes‘“200 sprach, womit im Kern gesagt sein soll, dass jede menschliche Gotteserkenntnis bedingend ermöglicht wird durch die Gnade der Selbstoffenbarung Gottes, so traf er sich in diesem Grundanliegen letztlich mit Przywara und auch Balthasar. Letzterer unternahm daher späterhin auch den Versuch des Nachweises, dass die Lehre von der Analogia fidei die Rede von der Analogie entis einschließe, weil Gnade notwendig Natur voraussetze.201

      Richtig verstanden, ist die Lehre von der Analogie des Seins Ausdruck des Versuchs, das Sein wieder in seiner unauflösbaren Geheimnishaftigkeit zur Sprache zu bringen. Das Sein des Seienden erscheint in seiner analogen Struktur als dynamische Bewegung zwischen nicht aufeinander rückführbaren Polen, die ermöglichend begründet wird durch die Liebesbewegung des göttlichen Seins. „Die Grundgestalt der Analogie wird also, zunächst noch gleichgültig ob als rein theologische oder auch als philosophische betrachtet, jedenfalls eine solche sein, die in jedem Aufstieg vom Geschöpf zu Gott die umgreifende, begründende und ermöglichende Vorgängigkeit des Abstiegs Gottes zum Geschöpf sieht. (…) Ontisch heißt das, daß in der Erkenntnis der Geschöpflichkeit [seis durch den Glauben oder durch die Vernunft] die Geschaffenheit des Geschöpfs und damit der Schöpfer als dessen Grund ansichtig wird (…) Wie ontisch ein Denken des Geschöpfs nicht möglich ist ohne ein Mitdenken Gottes …, so auch noetisch kein Denkakt möglich ist ohne den von oben in ihn hereinragenden Denkakt Gottes selber. Das geschöpfliche Cogito ist als solches immer in der Klammer eines vorgängigen Cogitor.“202 Nach balthasarschem Verständnis ist Metaphysik deshalb nie anders zu betreiben denn als Auslegung des Geheimnisses des Seins im Licht der Selbstaussage des absoluten Seins. Als eine erste, inchoative Selbstaussage ist die Natur des Seienden zu bezeichnen, weil sie in ihrer analogen Struktur das Abbild des göttlichen Seins ist. Als solches tatsächlich erkennbar wird das natürliche Sein aber nur von der endgültigen und unüberbietbaren Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus her. Erst in dieser Offenbarung wird das Wesen des Seins als Liebe enthüllt. Mit der Erschlossenheit und Unverborgenheit des Seins ist nun nach Balthasar seine Wahrheit bezeichnet. Es gibt keine Wahrheit in Ablösung von ihrem Erkanntsein. „Bekanntheit des Seins ist das innerste Wesen der Wahrheit.“203 Indem Gott sein trinitarisches Sein enthüllt, so kann man jetzt mit Balthasar sagen, enthüllt er seine Wahrheit und darin aufgrund der Analogie des Seins auch die Wahrheit des Geschöpfes.

      Damit tut sich nun aber die nächste Frage auf, nämlich wie es dem endlichen Menschen möglich sein kann, diese göttliche, absolute Wahrheit zu erkennen und zu verstehen. Im Hinblick auf unsere Fragestellung nach dem Theologieverständnis Balthasars formuliert heißt das, der logisch nächste Schritt ist, zu untersuchen, wie der Prozess theologischer Wahrheitsfindung mit Balthasar zu verstehen ist. Wie und unter welchen Voraussetzungen ist eine gültige theologische Auslegung des Wortes Gottes in menschlichem Wort überhaupt denkbar?

       2.2 Theologie als Ausdruck des Eindrucks des göttlichen Wortes

      Um den Menschen überhaupt erreichen zu können, muss die göttliche Selbstoffenbarung zumindest minimale Berührungspunkte mit allgemeinmenschlichen Erkenntnisgegenständen haben; anderenfalls müsste sie als das gänzlich Fremde unerkannt bleiben. Denkbar ist für Balthasar eine solche Entsprechung, wie gezeigt wurde, nur unter der Annahme einer Analogie zwischen dem geoffenbarten göttlichen und dem endlichen Sein. Gibt es aber eine solche Seinsanalogie, so seine Überlegung weiter, dann kann und muss auch der Prozess der Erkenntnis der Wahrheit endlichen und unendlichen Seins analog verlaufen.204 „Das Offenbarungs- und Glaubensgeschehen kann sich nicht unabhängig neben dem natürlichen Erkenntnisgeschehen vollziehen, es muß vielmehr ein Geschehen sein, in welchem das Erkenntnisgeschehen durch den sich offenbarenden Gegenstand über sich hinausgehoben … wird.“205 Die grundsätzlichen Bedingungen und Möglichkeiten theologischer Wahrheitserkenntnis erschließen sich demnach zunächst einmal im Blick auf die allgemeinen menschlichen Erkenntnisprozesse.206

       2.2.1 Wahrheit als Beziehungsgeschehen

      Balthasar ist seinerseits nicht an der Entwicklung einer kritischen Erkenntnistheorie gelegen. „Die transzendentale Fragestellung Kants nach den Möglichkeitsbedingungen theoretischer Erkenntnis im erkennenden Subjekt lässt er zwar als wichtige Frage gelten, möchte sich aber nicht auf diese neuzeitliche Fragestellung beschränken lassen.“207 Auch hier erteilt er also der anthropozentrischen Perspektive wieder eine explizite Absage und legt stattdessen eine „Phänomenologie des Erkenntnisvollzuges“208 vor, die mit einer „Ontologie der Wahrheit“209 verwoben ist. Beide Momente, Noetik und Ontologie, bilden nach balthasarschem Verständnis deshalb notwendig eine unlösbare Einheit, weil das Wesen von Wahrheit ja gerade in der Erkanntheit des Seins besteht.

      Als Grundeigenschaft des Seins steht Wahrheit nun mit den anderen Transzendentalien in einem Verhältnis wechselseitiger Durchdringung. In der Konsequenz spricht Balthasar sich „gegen ein Wahrheitsverständnis allein aus der Sicht der Bestimmung des Wahren, d. h. gegen ein rein theoretisches Wahrheitsverständnis“210 aus. „Die Reduktion der Wahrheitserkenntnis auf eine rein theoretische Evidenz, aus welcher alle lebendigen, persönlichen und ethischen Entscheidungen sorgfältig ausgeschaltet worden sind, bedeutet eine so empfindliche Einengung des Feldes der Wahrheit, daß diese dadurch allein schon ihrer Universalität und so ihres eigentlichen Wesens beraubt wird.“211 Auch hier wird also wieder Balthasars ablehnende Haltung einer einseitig an naturwissenschaftlicher Logik orientierten Weltsicht deutlich. Wenn nämlich Sein wesentlich Liebe und als solche ein Beziehungsgeschehen ist, dann wird auch die Erkenntnis dieser Wahrheit des Seins nicht anders erfolgen können, als in der Begegnung und im Dialog. Deshalb also wählt Balthasar „als Ausgangspunkt des Denkens nicht allein das [theoretisch isolierte und abgesicherte] Subjekt, sondern das Subjekt in seiner ursprünglichen Relation zum Objekt.“212

      In dem Augenblick, in dem der Mensch sich seines Seins bewusst wird, sich ihm also die Wahrheit seines Seins enthüllt, er mit anderen Worten zum Subjekt wird, erschließt sich ihm zugleich, wie bereits dargelegt wurde, das Sein als solches. In der Terminologie Balthasars gesprochen, erhält das Subjekt das Maß des Seins, die Fähigkeit zu er-messen, was es bedeutet, seiend zu sein. Aus dieser allgemeinen Kenntnis des Seins im Ganzen ist nun aber die Wahrheit eines konkreten Gegenübers nicht ableitbar.213 Das dem Subjekt gegenüberstehende Objekt muss sich vielmehr kundgeben und enthüllen, um vom Subjekt in seiner Wahrheit erkannt werden zu können. Von Balthasar beschreibt diesen Prozess der Wahrheitserkenntnis nun näherhin als „ein tatsächlich beidseitiges Sich-für-den-Andern-Erschliessen [sowohl des erkennenden Subjekts wie des sich zu erkennen gebenden Objekts]“214, weshalb auf Seiten beider Pole Aktivität und Passivität einander durchdringen.

      Als geistiges Wesen ist jedes Subjekt prinzipiell offen auf ihm begegnende Andere hin. Indem aber ein Anderes ihm als konkretes Objekt gegenübertritt, „erhält (das Subjekt; S. H.) zu seiner unbestimmten Offenheit hinzu die neue Bestimmung, von diesem Objekt angegangen, affiziert, zur Erkenntnis angeregt werden zu können.“215 Während also eine wie auch immer geartete Anziehungskraft vom Objekt ausgeht, es sich dem Subjekt dergestalt geradezu aufdrängt, und ihm somit eine aktive Rolle zukommt, verhält sich das Subjekt primär rezeptiv. „Rezeptivität bedeutet Ansprechbarkeit durch fremdes Sein, Offenstehen für etwas anderes als für den eigenen subjektiven Innenraum, Fenster haben für alles, was seiend und wahr ist.“216


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