Sperare Contra Spem. Susanne Hegger
Das unendliche Sein Gottes wird so zu einer Kategorie menschlichen Denkens verweltlicht, und dadurch dem Menschen scheinbar verfügbar. Er meint, über Existenz wie Wesen Gottes Bescheid zu wissen.80
Auf der anderen Seite steht der von Balthasar so genannte „pantheistische Idealismus“81 hegelscher Ausprägung, der das Sein „so in sich verfestigt, daß es mit Gott zusammenfällt und nun im göttlichen Weltprozeß seine Wesenheiten aus sich selber erzeugt“.82 Ein Sein aber, das sich notwendig auszeugen muss, um dergestalt erst zu sich selber zu kommen, ist nicht anders als ein Endliches (im Sinne des Begrenztseins durch die Notwendigkeit zu werden, was es noch nicht ist) und deshalb letztlich auch als Figur menschlichen Denkens zu verstehen. In beiden Wegen neuzeitlicher Philosophie erkennt Balthasar daher „Formen der Logisierung und Essentialisierung des Seins“83, durch die das Sein zu einem Begriff des menschlichen Intellekts verkehrt und verfälscht wurde und wird.84
An dieser Stelle gilt es nun ganz genau hinzuschauen, um Balthasars Anliegen nicht misszuverstehen. Es geht ihm nicht um eine pauschale, undifferenzierte Ablehnung der sogenannten ‚anthropologischen Wende‘, die neuzeitliche „Umzentrierung des Kosmos auf den Menschen“85, durch die der „Mikrokosmos Mensch zu Mitte und Maß der Natur aufrückt“.86 Ganz im Gegenteil: Mit dieser Entwicklung, so seine grundsätzlich positive Wertung, nimmt der Mensch seine schöpfungsgemäße Bestimmung als Herrscher der Schöpfung erst wahrhaft an.87 Entsprechend erkennt von Balthasar in den immer beherrschender gewordenen wissenschaftlichen Strategien der Weltbewältigung, mit deren Einsatz der Mensch „immer weniger Dinge dem bloßen Naturverlauf überläßt, immer mehr Lebensverhältnisse [bis hinein in die verborgensten und intimsten des Menschen selbst] dem Zugriff der forschenden und damit auch praktisch-planenden Ratio unterwirft“88, zunächst einmal ein dem Wesen des Menschen durchaus entsprechendes Bemühen. „Wissenschaft läßt sich nur vom Menschen her definieren; sie ist das Tun des homo sapiens, der auf Grund dieses Tuns auch zum homo faber wird, weil er das Leben und die Dinge so meistert, wie sein verstehender Geist die Welt innerlich theoretisch im voraus gemeistert hat.“89 Das Bestreben, die Welt zu verstehen, um sie gestaltend zu durchwirken, ist demnach so alt wie der Mensch selbst. Was sich dabei im Laufe der Menschheitsgeschichte allerdings gewandelt hat, ist das Verhältnis des Menschen zur Natur,90 wobei Balthasar davon ausgeht, dass „das Gesetz des ‚Wandels als Fortschritt‘ die Ausfaltung der Idee des Menschen in der Welt zum Inhalt hat“.91
Wenn nun aber wissenschaftliches Arbeiten dergestalt Maß und Form vom menschlichen Wesen her erhält, so muss „jedes wissenschaftliche Urteil … um das Gewicht zu haben, das der Würde wissenschaftlichen Verhaltens überhaupt zukommt, angesichts der Gesamtidee des Menschen gefällt werden“.92 Dieser aber, so haben wir eingangs gesehen, ist nicht nur Welt bewältigender Geist, sondern gerade darin gleichzeitig immer auch wesentlich eine auf die ihm unverfügbare Gabe des Seins hin offene Frage und in diesem Sinne immer schon ein religiöses Wesen. Nur dort also, wo sich der Mensch in der Begegnung und Auseinandersetzung mit weltlich Seiendem zugleich dem Wunder des Seins öffnet und sich darin auf das absolute Sein hin übersteigt, wird er den Dingen wie auch seinem eigenen Wesen gerecht.
Diese Perspektive ist in naturwissenschaftlich-technischem Denken nun aber systematisch ausgeblendet, „denn jede Einzelwissenschaft setzt das Dasein ihres Gegenstandes voraus und muß die Frage, warum überhaupt etwas ist, ausklammern.“93 Die Logik der sogenannten exakten Wissenschaften verfolgt mit Ausschließlichkeit das Ziel, vorliegende Fakten auf ihre Gesetzmäßigkeiten hin zu befragen, um sich ihrer auf diese Weise zu bemächtigen und so in immer stärkerem Maße Herrschaft über die Natur zu gewinnen. Ergo bedarf es immer wieder der Vermittlung dieser wissenschaftlichen, das Seiende bewältigenden, mit der religiösen, sich auf die Gabe des Seins angewiesen sein lassenden94 Dimension menschlichen Seins, damit der Mensch nicht der Gefahr erliegt, sich selbst zum letzten Bezugspunkt und Maß aller Dinge zu machen. Nur so ist nach Balthasar den Dingen wie dem Menschen gerecht werdendes Verstehen überhaupt möglich. „Realität der Welt, welcher Ordnung sie auch angehören mag, … kommt nicht anders zur Geltung als innerhalb einer Seins- und damit auch einer S i n n-vorgabe der Vernunft … Deshalb hat eine eigene Wissenschaft über diese Vorgabe zu wachen, sie zu prüfen und zu rechtfertigen: die Philosophie.“95 Wenn von Balthasar ‚der Philosophie‘ diese Aufgabe zuspricht, so steht dabei, daran sei noch einmal erinnert, sein Konzept der Integration von Philosophie und Theologie immer schon im Hintergrund: „Indem Philosophie die Voraussetzungen für die sinnstiftende und sinnspendende Funktion der Vernunft in deren Offensein für die Allheit des Sein entdeckt, mit dieser Allheit aber notwendig der Gedanke des absoluten und göttlichen Seins auftaucht, grenzt Philosophie notwendig an Religion, wenn sie nicht gar, in ihrer eigenen Tiefe, ineinsgesetzt wird mit der gedanklichen Seite der Religion oder, was dann auf das Gleiche herauskommt, mit der ‚natürlichen Theologie‘.“96
Damit sind wir nun wieder bei der am Ausgangspunkt dieser Überlegungen stehenden Kritik Balthasars angelangt. Diese ihr eigentliches Wesen ausmachende Vermittlungsaufgabe erfüllt die neuzeitliche Philosophie seiner Überzeugung nach nämlich in keiner Weise. Im Gegenteil: Sie hat die ihr anvertraute metaphysische Grundfrage vergessen, sodass die „auf sinnliche Empirie beschränkte Vernunft … von da ab (begann), sich mit Naturwissenschaften die Zeit zu vertreiben, in der sie es weit gebracht hat, so weit, daß sie heute die fortvegitierende philosophische Frage in sich hinein absorbiert und zum Schweigen bringt.“97
Noch einmal: Nicht die naturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Welt als solche ist im Sinne Balthasars philosophisch und vor allem theologisch in Frage zu stellen. Wohl aber die weitgehende perspektivische Beschränkung, in der sie geschieht. „Die Menschheit heute ringt mit dem materiellen Kosmos, um ihn zu beherrschen. Das ist ein Teil ihrer Bestimmung, der durch die Wege der Metaphysik den Schein der Ganzheit erhielt“.98 Die neuzeitliche Bewegung der sogenannten ‚anthropologischen Wende‘, die einen gerade auch aus schöpfungstheologischer Sicht berechtigten Sinn als bewusste Annahme der dem Menschen von Gott zugedachten Stellung innerhalb der Schöpfung hat, wird demnach durch die Verabsolutierung der horizontalen, i. e. weltimmanenten, Dimension zu einer „anthropologischen Reduktion“99 pervertiert. Mit dieser Formel ist nach Balthasar die Grundsignatur unserer Zeit erfasst. „Der Konstruktionspunkt von dem aus die Welt und das Wissen um die Wirklichkeit entworfen wird, ist die Subjektivität des Menschen.“100 Der Mensch ist damit letzter Bezugspunkt. „Ihn vom Sein umgriffen … zu denken ist müßig, es sei denn, man beziehe dieses Sein auf den schöpferischen und geistigen Gott, der im System ein Fremdkörper bleibt.“101 Seinsblindheit ist bei Balthasar daher gleichbedeutend mit Gottesblindheit.102
Dem Denken bleiben logisch jetzt nur zwei Wege: Entweder die atheistische Leugnung Gottes, womit das System ‚bereinigt‘ wäre oder aber die systematische ‚Anpassung Gottes‘, indem er dem menschlichen Denken auf einem der beiden Wege des Rationalismus oder des pantheistischen Idealismus unterstellt wird. In diesem Sinn wirft Balthasar der neuscholastischen Theologie denn auch vor, in ein „Bewältigungsdenken“103 verfallen zu sein, was seiner Auffassung nach einer Selbstauflösung in eine positivistische Wissenschaft gleichkommt. Gott wird dem menschlichen Denken scheinbar verfügbar, so wie auch weltliche Dinge ihm verfügbar sind. Dies aber hat fatale Konsequenzen, denn „wo die Frage untergeht, hat die Antwort keine Chance mehr, aufzutreffen.“104 Wo die Welt nicht mehr nach Gott fragt, da kann Gottes (Ant) Wort nicht mehr an sie ergehen. Was dann dennoch über Gott gesagt wird, ist letztlich nichts anderes als menschliches Wort, das sich in seiner Hybris unweigerlich selbst entlarven muss. „Wenn es schon für den echt bekümmerten und existentiell fragenden Laien eine solche [oft kaum zumutbare] Belastung ist, sonntags von einem je-schon-bescheidwissenden Kleriker über Gott aufgeklärt zu werden, so läßt sich verstehen, warum sich die Welt eines Tages als hinreichend über Gott aufgeklärt gefühlt und deklariert hat und wie es ihr verleidet worden ist, die Frage zu stellen, die, in die stereotypen Katechismusfragen hineinkanalisiert, die ebenso stereotypen Antworten bereitfindet.“105 Balthasar spricht in diesem Zusammenhang von einem neuscholastischen Zirkel innerhalb dessen modernes Denken zwischen Seins- und Gottvergessenheit