Sperare Contra Spem. Susanne Hegger
der Überzeugung, „daß der Mensch zur ‚Anschauung‘, zum ‚Besitzen‘ Gottes geschaffen ist, daß er somit kein anderes Endziel hat als ein übernatürliches“.25 Das aber bedeutet, schon vor jeder gnadenhaften Offenbarung ist der konkret existierende Mensch auf eine übernatürliche Bestimmung hin ausgerichtet. „Natur ist als Ganze innerlich auf Übernatur finalisiert, ob sie will oder nicht, weiß oder nicht.“26 In der Welt, wie sie konkret existiert, gibt es demnach keine ‚reine Natur‘. „Gottes tatsächliche Weltordnung ist die faktische Einheit von zwei sachlich unterscheidbaren und auch in ihrer faktischen Einigung unterschiedenen, aber nicht geschiedenen, nicht trennbaren Ordnungen“,27 einerseits nämlich der Schöpfungsordnung und anderseits der Gnadenordnung.28 Dabei aber ist die der Natur gleichsam innewohnende Gnade unbedingt zu unterscheiden von der Gnade der freien Selbstoffenbarung Gottes. Balthasar betont ausdrücklich die Notwendigkeit der analytischen Unterscheidung von Natur und Gnade und damit eines elaborierten theologischen Naturbegriffs, zum einen „zur Kenntlichmachung des Geschöpfes in seinem von Gott unterschiedenen Sein, seiner Gott ‚gegenüber‘-stehenden, eigenen Subjekthaftigkeit“,29 und zum anderen zur Unterscheidung der Ungeschuldetheit der Gnade30 von der allgemeinen Ungeschuldetheit der Schöpfung. „Vom Standpunkt einer kreatürlichen Theologie [von unten nach oben] bleibt der formale Begriff der natura pura notwendig, vom Standpunkt Gottes aus [von oben nach unten] gewinnt er keine Bedeutung mehr. Doch da der Mensch keine rein göttliche Theologie treiben kann, bleibt für Balthasar … die Hypothese der natura pura … legitim“.31
Die Herleitung eines Begriffs der reinen Natur obliegt dabei nach Balthasar ausschließlich der Theologie, insofern er nur durch Abstraktion von der gnadenhaften Ausrichtung der faktischen Natur zu gewinnen ist. ‚Reine Natur‘ ist gleichsam der Rest, der übrig bleibt, wenn von der gnadenhaften Erhöhung der faktischen Natur abgesehen wird, „das, woran schließlich Gottes Offenbarung ergeht“,32 „das Geschöpf als solches“.33 Die Bestimmung des Naturbegriffs setzt demnach ein Verständnis von Gnade voraus, zu dem die menschliche Vernunft aber von sich aus nicht zu gelangen vermag.34 „Die positive Definition der Gnade kann nur durch die Gnade selber gegeben werden: was Gott innerlich ist, das muß er selbst offenbaren. Die Kreatur kann sich diesem ihr Unbekannten gegenüber nicht selbst abgrenzen und darum auch nicht wissen, worin sie sich [als theologisch verstandene bloße ‚Natur‘] von ihm unterscheidet.“35 Der Gnadenbegriff kann also nur aus theologischer Reflexion auf ergangene Offenbarung erwachsen. Das aber bedeutet, so Balthasars Schlussfolgerung, dass auch der ‚Rest‘ ausschließlich theologisch in den Blick kommt. „Indem Offenbarung ergeht, hebt sich Natur von ihr als der Vorraum ab“36. Damit soll nun nicht gesagt sein, dass der Begriff der Natur aus dem Begriff der Gnade ableitbar wäre. Vielmehr ist Schöpfung die logische Voraussetzung für das Ergehen von Gnade; Gnade ergeht an Schöpfung. In diesem Sinne ist „die Priorität der Natur vor der Gnade … die notwendige Bedingung der Möglichkeit für die Priorität der Gnade vor der Natur.“37
Das Problem ist jedoch, dass nach Balthasar der Raum der der Gnade logisch vorausgesetzten ‚reinen Natur‘ inhaltlich nicht zu füllen ist, eben weil er nur einen Hilfsbegriff zu Bezeichnung eines in der konkreten Welt nicht existierenden Abstraktums darstellt. Deshalb ist etwa die Frage, inwieweit das Hingeordnetsein des Menschen auf Gott (im augustinisch-thomanischen Sinn des desiderium naturale) zu seiner ‚reinen Natur‘ oder aber zu seiner je schon gnadenhaft erhöhten faktischen Natur gehört, letztlich nicht zu beantworten. „Wir stehen hier offenbar an einer Grenze menschlichen Denkens, (…) wo es wirklich zu einer Ermessenfrage wird, wieviel von dem ‚Vermögen zu Gott‘ in der einen konkreten menschlichen Natur man der ‚Natur‘, wieviel der ‚Gnade‘ zuschreiben will.“38 Der Hinweis auf diesen Ermessensspielraum mag auch ein möglicher Erklärungsansatz (sicherlich nicht der einzige, weil „die Kontroverse von Motiven unterschiedlicher Natur bestimmt ist“39) für die „Sprunghaftigkeit der Balthasarschen Beurteilungen“40 der Theologie Karl Rahners, insbesondere seines Konzepts eines ‚übernatürliches Existentials‘ sein. An dieser Stelle kann und soll die Auseinandersetzung zwischen Balthasar und Rahner nicht im Einzelnen nachvollzogen werden.41 Es sei aber darauf hingewiesen, dass Balthasar den Begriff des ‚übernatürlichen Existentials‘ durchaus positiv aufgreifen kann, solange er im Sinne einer gnadenhaften, über die natürliche Hinordnung des Menschen auf Gott hinausgehenden Einladung verstanden wird.42 Ein solches Angerufensein begreift er mit Rahner als „ein ‚ontologisches Konstitutiv seines (des Menschen; S. H.) konkreten Wesens‘, aber doch nicht zu seiner Natur gehörig [Rahner].“43 Übernatürliches Existential trifft demnach die Natur des Menschen zwar in ihrem Innersten, ist aber selbst nicht „naturhaft-konstitutive Bestimmung.“44 Diese Bedeutungszuschreibung sieht Balthasar aber bei Rahner nicht immer eingehalten. Harsche Kritik übt er dann, wenn die Hinordnung auf Gott als aktive menschliche Potenz erscheint.45 Von der baltharsarschen Logik her gedacht, erscheint die Uneindeutigkeit des Begriffs jedoch unvermeidlich. Rahner theologisiert, anders als Balthasar, nicht von oben. Vielmehr „baut er der Theologie eine ‚theologische‘ Anthropologie als rein philosophische Disziplin vor, die als solche ‚die Bedingung der Möglichkeit von Theologie ist‘“.46 Innerhalb dieser Anthropologie begreift nun Rahner die Hinordnung des Geschöpfes auf Gott als „Ontologie der potentia oboedientalis für Offenbarung“47. Um von dort aus nun zu einem theologischen Begriff zu gelangen, so Balthasars Argument weiter, muss die Perspektive gewechselt werden. Statt von ‚unten‘ i. e. vom Geschöpf her, zum Absoluten aufzublicken, muss der Blick nun von ‚oben‘, von der Offenbarung her auf das Geschöpf fallen. „Was wir jetzt als seine ‚Natur‘ entdecken, deckt sich nur analog mit dem, was Philosophie als solche betrachtet.“48 Entsprechend ist auch nur eine analoge Bestimmung dessen, was unter einer natürlichen Hinordnung auf Gott zu verstehen ist, möglich. Der philosophische Begriff der potentia oboedentialis ist nicht deckungsgleich mit dem theologischen.49 Das genau scheint mir nun das Problem zu sein: Der Begriff ‚übernatürliches Existential‘ changiert zwischen philosophischer und theologischer Bedeutungsebene. „In der Entwicklung Rahners verschieben sich die Akzente immer wieder, und die bei ihm verwendeten Begriffe machen einen Bedeutungswandel durch.“50 Je nachdem, welche Blickrichtung Rahner in einem Kontext stärker betont, respektive Balthasar stärker fokussiert, bewegt sich das Konzept noch innerhalb des balthasarschen Ermessensspielraumes, oder aber es sprengt ihn eindeutig.
Indem Balthasar die Einheit und Interdependenz zwischen Natur und Gnade analytisch löst und eben dadurch erhellt, stellt er zugleich auch die Weichen für die nähere Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie. Weil „Übernatur und Gnade die letzte ontologische Form der gesamten Welt (sind), so ist es notwendig, daß all ihr Tun und Denken, ihr Leben und ihr Philosophieren je schon eingebettet ist in diese höchste Seinsform.“51 Die Natur als Gegenstand der Philosophie, ist immer schon eine gnadenhaft erhöhte. „Darum (ist) auch alle Philosophie von einem – bewussten oder unbewussten – theologischen Apriori umgriffen.“52 Zwar haben nach Balthasar Philosophie und Theologie je eigene, gegenläufige Formalobjekte – Philosophie betrachtet danach primär weltlich Seiendes, um von dort zum absoluten Sein vorzustoßen53, während Theologie vom Geheimnis Gottes, wie es in der Offenbarung sich zeigt, aus auf die Welt zudenkt54 – aber die Materialobjekte sind unlösbar verflochten. Die konkrete Welt, wie Philosophie sie vor sich hat, steht immer schon in (positiver oder negativer) Beziehung zum Gott der Gnade. ‚Reine Natur‘ ist eine in der faktischen Welt nicht existente Abstraktion.
Analoges gilt für die Erkenntnisfähigkeit. Auch hier erweist sich wieder das Ineinander von ontischer und noetischer Dimension als zwei Aspekte der einen Wirklichkeit. Nach Balthasar verfügt die Philosophie über kein eigenes Werkzeug, weil eben „auch das konkrete Auge der Vernunft immer schon entweder ein durch das Licht von Glaube und Liebe gereinigtes und geschärftes, oder aber ein durch Erbsünde oder persönliche Schuld verdunkeltes“55 ist.
Vor diesem Hintergrund erwartet Balthasar als angemessene Haltung der Philosophie die Anerkennung ihrer Grenze als weltliche Wissenschaft, die „auf einen anderen, mehr als nur weltlichen