Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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Bewußtsein von der Existenz von Höllen im Mikrokoskosmos des menschlichen Ich und im Makrokosmos der Gesellschaften und Schöpfung im Großen wie der menschlichen Beziehungen im Kleinen“23 seinen Niederschlag.24 „Der makrokosmische Bereich umfasst alles Entsetzliche, das Menschen einander antun können.“25 Es sind vor allem die Grauen der Weltkriege, aber etwa auch die systematische Vergewaltigung von Frauen zu kriegerischen Zwecken im ehemaligen Jugoslawien oder die Zustände in Flüchtlingslagern, die immer wieder mit dem Höllentopos in Zusammenhang gebracht wurden und werden.26 Als Höllenerfahrungen auf mikrokosmischer Ebene werden vielfach innerpsychische Deformationen und Zerrissenheiten interpretiert.

      Auf die Herausforderung durch diese Entwicklung hat die Theologie ihrerseits durchaus reagiert. In zunehmendem Maße sind in ihrem Raum analoge Ansätze erkennbar, Erfahrungen von Not und Grauen als Momente des Unheil-Seins auszuweisen und damit in den Horizont der christlichen Heilsfrage zu rücken. So betrachtet etwa Joachim Gnilka die Hölle durchaus als ein irdisches Phänomen. „Die Hölle ist die Verweigerung und Umkehrung der Botschaft des Heils, der Liebe, des Gnadenangebotes Gottes. Die Realität des Bösen wirkt um uns und unter uns.“27 Mit diesem Verständnis liegt er ganz auf einer Linie mit Karl Rahner, dem die biblischen Aussagen über die Hölle ebenfalls als Enthüllung der Situation, in der der Mensch sich jetzt befindet, gelten.28 Wilhelm Maas geht sogar so weit, ‚Hölle‘ als „eine exakte ‚Orts‘-Beschreibung menschlicher Existenz heute“29 zu bezeichnen. Aus einer kultur- und gesellschaftskritischen Perspektive erscheint ihm die Epoche der Moderne insgesamt zutiefst gekennzeichnet durch „höllische (…) Kommunikationslosigkeit und Ich-Einsamkeit“30. Papst Benedikt XVI. denkt demgegenüber mehr auf ontischer Ebene, wenn er die Hölle als Abgrund der menschlichen Natur bezeichnet. „Mehr denn je wissen wir heute, dass eines jeden Existenz diese Tiefe berührt“31, so auch seine Einschätzung.

      Die Vorstellung diesseitiger Höllen fristet nun aber anders als man bis hierher meinen könnte, keineswegs ein „Nischendasein“ in den Köpfen weniger Intellektueller. Dem Abschied vom traditionellen Bild der Hölle steht im Gegenteil auch im allgemeinen, öffentlichen Bewusstsein eine große Präsenz des Topos gegenüber. In einer profunden Untersuchung von Zeitungsschlagzeilen, Fernsehfilmen und Meinungsumfragen zur Höllenthematik gelangt Elke Jüngling zu der Erkenntnis, dass am Ende des 20. Jahrhunderts der Begriff ‚Hölle‘ wohl breitere Verwendung findet, als jemals zuvor in der Geschichte.32 Auffallend dabei ist allerdings ein tiefgreifender Bedeutungswandel. Indem der Höllenbegriff gleichsam seiner eschatologischen Dimension entkleidet wird, geschieht eine entscheidende Verlagerung der Schuldfrage. Hölle ist nicht mehr Folge von Sünde vor Gott, ja sie liegt gar nicht mehr primär im eigenen Verhalten eines Menschen begründet. Der Begriff wird vielmehr zumeist „als Synonym für [unschuldiges] Leiden verwendet.“33

      Der bisherige Befund zeigt nun, wie ich meine, ein Doppeltes: Zunächst einmal gibt er allen Anlass zu der Hoffnung, dass das ehemalige Verständnis der Hölle als jenseitigem Strafort tatsächlich überwunden ist. Der Mensch des 21. Jahrhunderts ist endgültig nicht mehr anfällig für Versuche einer Disziplinierung und Reglementierung seines Lebensvollzugs durch Androhungen ewiger Verdammnis. Dann aber ist auch deutlich geworden, und dies mag vielleicht überraschen, dass eine christlich verantwortete Rede von der Hölle heute vielleicht weniger verzichtbar ist denn je. Der Mensch, jeder Einzelne, in seinem ganz persönlichen Umfeld, wie auch die Weltbevölkerung insgesamt, ist in unserem Zeitalter immer rasanterer Entwicklungen auf allen Gebieten der Politik, Forschung und Lebensführung immer schneller vor immer größere Herausforderungen, Aufgaben und Entscheidungen gestellt, die zu bewältigen ihn zunehmend überfordert. In einer stetig steigenden Zahl von Biographien stellen sich darum Erfahrungen tiefen Unheil-Seins ein. Diese menschliche Not gilt es theologisch unbedingt einzuholen. Wenn nämlich „diesseitige Erfahrungen von Hölle in Leid und Qual nicht mehr mit Gott in Verbindung gesetzt werden, kann die christliche Botschaft die Menschen als Trost und Kraft nicht mehr erreichen“34.

      Der zweifellos ganz und gar notwendige Paradigmenwechsel von der Verbreitung einer Drohbotschaft zur Verkündigung der Frohen Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes in Jesus Christus hat es mit sich gebracht, dass gemeinhin Erfahrungen gelingenden Menschseins theologisch als Verheißung und Angeld endgültigen Heils interpretiert werden. Was aber, wenn solche Momente des Glücks und Heils einem Menschen, aus welchen Gründen auch immer, nicht zugänglich sind? Wenn er, sei es zu Recht oder Unrecht, sein Leben von Unglück beherrscht sieht? Die Botschaft von der göttlichen Heilszusage findet dann keine Anknüpfungsmöglichkeiten und muss ins Leere laufen; „die Hölle auf Erden bleibt gottlos.“35 Besonders an jene Menschen aber, die der Heilung bedürfen, richtet sich die Selbstzusage Gottes. Gefragt sind darum „positive Entwürfe …, die den (Höllen)Topos in eine Gotteslehre einbringen“36.

      Die bereits exemplarisch angeführten theologischen Versuche, Hölle als diesseitige Unheilserfahrungen in unsere Zeit hinein thematisch werden zu lassen, leisten dies indes nicht, sondern verbleiben weitestgehend auf der Ebene reiner Setzung. Der Zusammenhang zwischen dem Theolugomenon und existentiellen Erfahrungen wird zwar behauptet, nicht aber systematisch hergeleitet. Geeignete Ansatzpunkte für eine theologische Neuentdeckung und zeitgemäße Fassung der Höllenthematik bieten sich aber, so die Grundthese dieser Arbeit, im theologischen Werk Hans Urs von Balthasars.

       1.2 Rückbesinnung auf das Mysterium der Hölle bei Hans Urs von Balthasar

      Der schweizer Theologe ist der wohl letzte Denker, der sich in ernst zu nehmender Weise mit der Frage der Hölle befasst hat. Aber nicht nur deshalb bietet es sich an, seine Überlegungen zum Gegenstand der folgenden Untersuchung zu machen. „Balthasar ist vielleicht der gebildetste Mann seiner Zeit.“37 Neben einem schier unerschöpflichen Fundus an Wissen aus nahezu allen Bereichen der Literatur, Kunst, Musik und Philosophie verfügte der promovierte Germanist vor allem auch über ganz außergewöhnliche Kenntnisse der Theologiegeschichte, insbesondere aber der Patristik. Seine theologischen Überlegungen durchmessen daher einen ungewöhnlich weit aufgespannten geistesgeschichtlichen Horizont. Bei aller Weite seines Denkens weiß Balthasar sich aber immer in unverbrüchlicher Treue auf das Wort der Schrift als norma normans allen Theologisierens verpflichtet. Von dorther fühlt er sich nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, dort, wo es ihm nötig erscheint, Irrtümer und Fehler in der theologischen Tradition als solche aufzudecken und Korrekturen einzufordern. „Entschieden rückte er die Überzeugung von der absoluten Barmherzigkeit Gottes in das Zentrum seiner Theologie und überdachte von hieraus nochmals die überkommenen Traditionen. Dies gilt insbesondere für die Eschatologie, in der die Linien seiner gesamten Theologie sich verdichten.“38

      Theologie als Reflexion auf die in Jesus Christus ergangene Selbstoffenbarung Gottes muss, so Balthasar, Spiegel ihres Gegenstandes sein. Im Zentrum der Botschaft Jesu aber steht der unbedingte Heilswille Gottes. Im Christusereignis ist das Reich Gottes bereits in dieser Welt angebrochen und seine endgültige Durchsetzung zum Heil aller Menschen zugleich verheißen. Schlechthinniger Ort der Heilswahrheit ist darum nach balthasarschem Verständnis die Eschatologie, denn erst eingedenk seiner Verendgültigung ist das in der Person Jesu Christi ergehende Beziehungsangebot in seiner ganzen Tiefe zu ermessen. „Gott ist das ‚Letzte Ding‘ des Geschöpfs. Er ist als Gewonnener Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender Fegefeuer.“39 Rede von Gott ist demnach nur dann dem christlichen Gottesbild angemessen, wenn sie zuinnerst eschatologisch dimensioniert ist.

      Von dieser Grundüberzeugung her verfolgt Balthasar, darin bewusst den Spuren Karl Barths40 und anderer protestantischer Theologen seiner Zeit folgend, das Programm einer umfassenden Eschatologisierung der Theologie in allen ihren Lehrstücken.41 „Es ist jedoch begreiflich, daß dieses Aufpflügen der Theologie von der Eschatologie her eine beruhigte systematische Darstellung nicht gefördert hat; sind doch die Letzten Dinge viel eher der Ort, wo – spätestens! – die Aporetik der Theologie sichtbar wird. Es gibt kein ‚System‘ der Letzten Dinge“42. Balthasars Theologie sprengt darum jede klassische Systematik; vor allem


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