Sperare Contra Spem. Susanne Hegger
zur Freiheit, 38.
2. Das Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars im Umriss
Der scheinbar so eindeutige Begriff Theologie im Sinne des Sprechens von Gott ist nach Hans Urs von Balthasar erst unter Berücksichtigung zweier Bedeutungsdimensionen adäquat erfasst: Gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet Theologie menschliches Sprechen von und über Gott. Dieses menschliche Sprechen aber, so Balthasar, ist nur möglich, weil und insofern ihm ein Wort Gottes ermöglichend vorausgeht. Erst indem Gott den Menschen an-spricht, sich dem Menschen zu-spricht, wird dieser überhaupt befähigt, seinerseits von Gott zu sprechen. Sprechen von Gott her ist Bedingung der Möglichkeit jedes Sprechens über Gott. Theologie ist demnach ihrem Wesen nach „Logos über Gott aus dem Logos des sich selber im … Wort aussprechenden Gott.“1
In gleichem Maße aber gilt, „daß ‚Verstehen‘ ein Akt des Menschen als solchen ist.“2 Das Wort Gottes überwältigt den Menschen keinesfalls, sondern es wendet sich an seine natürlichen Erkenntnisfähigkeiten, die es ebenso respektiert wie in den Dienst nimmt. Theologisieren ist im wahrsten Sinne des Wortes menschliche Leistung, „denn keinesfalls kann die Möglichkeit, daß Gottes Wort vom Menschen verstanden und ausgedrückt werden kann, als ein bloßes Gnadenwunder von oben verstanden werden.“3
Im Folgenden gilt es nun zunächst, diese fundamentale Einsicht des Ineinanders von göttlicher und kreatürlicher Sphäre in jedem Akt theologischen Bemühens zu explizieren, um so die Grundstruktur des originär balthasarschen Denkens zu erschließen. Eine solche einleitende, allgemeine Darstellung der theologischen Form, die „in ihrem Formalobjekt von der Gottesherrlichkeit, deren Ausdruck sie wird, beherrscht ist“4, ist notwendig, um die Denkwege abzustecken, auf denen dann auch der Frage der Hölle nachzugehen sein wird. Die Fruchtbarkeit der balthasarschen Approximationen erwächst nämlich aus der konsequenten Entwicklung auch dieser, auf den ersten Blick eher abseitigen Einzelfrage aus dem Gesamt des theologischen Entwurfes heraus.
2.1 Ineinander von Theologie und Philosophie
„Theo-logie – Rede Gottes und in dieser Rede auch Rede des Menschen in Gott über Gott – kommt immer aus der obersten Höhe“5, so haben wir gesehen. Das theologische „Formalobjekt würde daher nach B. in jedem Sprechen über Gott verfehlt, das ‚von unten her‘ von Natur- oder Geisteswissenschaft, von Anthropologie und Philosophie her sich an das Offenbarungsgeschehen anzunähern versuchte“6. Um das von Gott her Zugesagte angemessen zur Sprache zu bringen7, muss vielmehr immer wieder die Sphäre des Kreatürlichen überstiegen werden. Theologisieren erfordert ein „Umdenken von den Menschengedanken auf Gottes eigene souveräne Gedanken“8. Dies ist aber nach Balthasar nur dann möglich, wenn der Mensch seinem Wesen nach auf einen solchen Akt der Selbsttranszendenz hin angelegt ist. Nur wenn der endliche Mensch als grundsätzlich offen auf das Unendliche hin ausgewiesen werden kann, ist seine prinzipielle Ansprechbarkeit durch Gott überhaupt zu denken. „Um die Selbstoffenbarung Gottes hören und verstehen zu können, muß der Mensch selbst ein Forschen nach Gott, eine ihm gestellte Frage sein. Also gibt es keine biblische Theologie ohne religiöse Philosophie.“9
An dieser Stelle gilt es, nun tiefer in die Gedankenwelt Balthasars einzudringen, denn „ein entscheidender Schlüssel zum rechten Verständnis des gesamten Denkens liegt in seiner Sicht und Begründung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie.“10 Wenn er einerseits betont, Philosophie habe von sich aus keinen Zugang zur Offenbarungswahrheit, andererseits aber Theologie unter Ausschluss philosophischen Denkens für schlechterdings unmöglich erachtet, entsteht zunächst unweigerlich der Anschein eines Circulus vitiosus. Wie also stehen Philosophie und Theologie zueinander? Die Antwort auf diese Frage kann nur ausgehend von der Tatsache erfolgen, „dass Balthasar seine Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie am Modell der Natur-Gnade-Beziehung ausrichtet.“11
2.1.1 Theologisches Apriori natürlicher Erkenntnis
Die noetische Frage der Gotteserkenntnis ist nach Balthasar auf das Engste verbunden mit der ontologischen Frage nach dem kreatürlichen Sein, denn, so seine Grundeinsicht, der Mensch ist „wesenhaft ein ‚Suchender‘“12: In der Erfahrung der eigenen Endlichkeit stellt sich dem Menschen unweigerlich die Frage nach dem Grund seines Dasein. Der Begriff ‚Grund‘ ist dabei durchaus in seinem Doppelsinn von Fundament und Sinn zu verstehen. In der Reflexion auf sein eigenes Dasein erkennt der Mensch: „Ich bin, ich könnte aber auch nicht sein. Vieles, was existiert, könnte nicht sein.“13 „Es gibt ihn, aber was ist das Es, das ihn gibt?“14 Indem die Geschöpfe sich als kontingent erfahren, begreifen sie sich demnach zugleich als „bezogen auf ein sie bedingendes Absolutes (eben diese Es; S. H.), das als solches analytisch im kreatürlichen Sein mitgesetzt und folglich auch mitgedacht ist.“15 Mit der Einsicht des Menschen in sein eigenes Wesen geht die Erkenntnis einher, dass es ein sein Dasein als Ursprung und Ziel begründendes Absolutes geben muss. Der Mensch weiß, dass er weder über die reine Faktizität seines Daseins noch über Sinn und Ziel selber verfügt. Die Vernunft muss notwendig einsehen, dass eine letzte Antwort auf dieses Fraglichsein des Seienden innerhalb der Endlichkeit schlechterdings unmöglich ist; sie kann nur von Gott her ergehen.
Sich selbst als natürliches Wesen kann der Mensch also nach Balthasar nur angemessen verstehen, indem er die Existenz eines Gottes denkt, dem er als Kreatur sich verdankt und der seinem Dasein Sinn und Ziel gibt. Im logischen Umkehrschluss muss die menschliche Vernunft nun sagen, dass Gott Subjekt der schöpferischen und sinngebenden Handlungen ist. Damit ist aber noch nichts über das Wesen dieses Subjekts ausgesagt. Aus dem mitmenschlichen Bereich wissen wir, dass jedes Subjekt „ein nur ihm gehöriges Innen hat, das anderen zu offenbaren bei ihm steht.“16 Jedes Subjekt ist frei, anderen Einblick in sein eigenes Inneres zu gewähren oder aber zu verweigern. Diese Einsicht ist nach Balthasar nun auf die Frage der Gotteserkenntnis übertragbar. „Aus der Selbsterfahrung kann der Mensch erkennen, daß wenn er Gott innerlich erkennen können soll, dieses nur durch eine freie Selbsterschließung Gottes geschehen kann.“17
Einher mit der natürlichen Selbsterkenntnis des Menschen geht demnach also ein elementares Wissen um die Existenz Gottes und um die gleichzeitige Notwendigkeit wie Unverfügbarkeit seiner Selbsterschließung. Dieses Wissen liegt nun nach Balthasar jeder gnadenhaften göttlichen Selbstaussage notwendig voraus. „Auch der Gott der Bibel … erklärt den Menschen nicht erst, was ‚ein Gott‘ ist, denn das wissen sie von jeher.“18 Wüssten sie es nicht, so wären sie gar nicht in der Lage, ein von Gott her ergehendes Wort als ein solches zu erkennen und zu verstehen. Das natürliche Wissen um Gott ist aber geeignet, einen gedanklichen Rahmen zu bilden, in den hinein die Offenbarung Gottes erfolgen und durch den sie sich verständlich machen kann.19 „Menschliches Denken (ist) unausweichlich Voraussetzung für Gottes … Reden und Verstandenwerden“20, das dann seinerseits die bereits gewonnenen Sinnfragmente in sich einbirgt und darin zu ihrer Erfüllung bringt.21
Wenn nun Balthasar weiter sagt: „Wissen ist das, wofür der Mensch die Kriterien der Verifizierung bei sich selbst, in seiner Vernunft besitzt. … Das Unternehmen, das den Radius des Ausgriffs dieser Vernunft erforschend absteckt, hat seit Platon den Namen Philosophie erhalten“22, dann ist in diesem Sinne Gotteserkenntnis Gegenstand der Philosophie. Ihr kommt insofern inchoativer Charakter zu, womit nun aber keineswegs „die geheime Forderungen enthaltende, drängende platonische Sehnsucht nach der Gnade und der Gottesschau“23 gemeint ist, sondern vielmehr eine Dienstbarkeit und Verfügbarkeit für göttliche Offenbarung24 im Sinne des bereits erwähnten leeren Rahmens. Die Überschneidung des jeweiligen Materialobjekts von Theologie und Philosophie ist damit evident.
Es wäre nun aber ein Kurzschluss, wollte man alle Aussagen über Gott, die der Mensch qua reiner Vernunft mit Blick auf seine eigene natürliche Verfasstheit erschließen