Sperare Contra Spem. Susanne Hegger
vom Endlichen her zu entwerfen. Damit wird seiner Überzeugung nach das Verdankt-Sein, dessen Erkenntnis, wie eingangs dargestellt, die philosophische Frage allererst auslöst, systematisch geleugnet.57 Philosophie muss sich so im Sinne Balthasars unweigerlich selbst verfehlen, indem sie „jeder Transzendenz entratend, in absolutistische Immanentismen oder logizistische Formalismen“58 verfällt.
Für ebenso gefährlich erachtet er es aber, „wenn man den Menschen an seiner natürlichen Vernunftbewegung vorbei und im Gegensatz zu ihr zu Gott führen will; denn ein solcher (theologischer; S. H.) Positivismus verdächtigt und verketzert den der Natur eingezeichneten Weg und zwingt sie, aus Opposition zu einem positivistischen Christentum, in den Atheismus.“59 Das philosophische Formalobjekt ist also keineswegs in die Theologie hinein aufzulösen. „Sofern … der vernunftbegabte Mensch in der Offenbarung nicht überrannt, sondern geachtet wird, schließt das für eine die Offenbarung ins Wort bringende Theologie unbedingt ein, daß sie ihre eigene Wahrheit nicht ohne Philosophie finden kann, Theologie also nirgends ohne Philosophie, rationales Denken auskommt.“60 Daher postuliert Balthasar die Integration von Theologie und Philosophie zu einer Wissenschaft der „Theosophie“61. Aber, um es noch einmal pointiert zu sagen, „es geht von Balthasar nicht um eine Synthese, in der Philosophie und Theologie als prinzipiell gleichberechtigte Glieder in einer dialektischen Relation miteinander vermittelt wären.“62 Was er beiden Disziplinen dagegen abverlangt, ist „Eingliederung in eine Einheit, die vorgegeben ist, um Bewahrung und Hineinordnung in eine gegebene Ordnung und Struktur“63, wie sie im absoluten Prius der Gnade bei relativem Prius der Natur gegeben ist, im klaren Bewusstsein des „ständige(n) Gestelltsein(s) unseres Denkens in eine Entscheidung für das Wort Gottes, nicht bloß inhaltlich, sondern schon formal im Denkakt selber“64. Diese scheinbare Verdemütigung menschlichen Denkens, seine Unterordnung unter das theologische Apriori, bezeichnet im Sinne Balthasars gerade seine Würde, weil sie Ausdruck gnadenhafter Erhöhung menschlicher Vernunft ist. In diesem Sinne bedeutet ihm die Unterordnung der Philosophie unter die Theologie keineswegs fremddienliche Versklavung65, sondern vielmehr Erfüllung ihrer wahren Bestimmung. Dennoch aber bleibt für von Balthasar wahr, dass Theologie, weil durch ihre gnadenhafte Erhöhung der Philosophie immer notwendig überlegen, „über den Gebrauch des philosophischen Gedankengutes keine letzte Rechenschaft schuldig“66 ist.
Das balthasarsche Programm der Integration, so ist deutlich geworden, „fordert eine strenge Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Theologie, welche Zusammenarbeit aber nur möglich wird, wenn beide Disziplinen innerlich füreinander offen sind. Das ist nur möglich, wenn die Analogie zwischen göttlichem Urbild und weltlichem Abbild von beiden Seiten wieder zentral zu denken versucht wird.“67 Damit rückt nun Balthasars Philosophieverständnis vollends in den Blick: Philosophie im wahren Sinne des Wortes ist für ihn gleichbedeutend mit Metaphysik. Nur wo menschliches Denken sich der ewig bleibenden Frage nach dem Sein des Seienden stellt und sich von ihr in einer Bewegung der Selbsttranszendenz vor die Frage des absoluten Seins führen lässt, so seine unumstößliche Überzeugung, wird es sich selber gerecht. „Der Weg zum Sein, der der Weg der Vernunft überhaupt ist, ist der Weg zu Gott.“68 Nur seinsmetaphysisches Denken, als demnach einzig wahre Philosophie, ist ob seiner Offenheit auf das Absolute hin anschlussfähig für Theologie. Seine ‚Theosophie‘ kann Balthasar daher auch als unterscheidend christliche Metaphysik69 bezeichnen.
2.1.2 Unterscheidend christliche Metaphysik
Seine originär eigenen Konzeptionen entwickelt von Balthasar in aller Regel in kritischer Auseinandersetzung mit anderen Denkern und ihren Aussagen. Dabei dienen ihm sowohl die Theologie- und Philosophiegeschichte, aber auch Literatur, Musik und bildende Kunst aller Epochen als Hintergrundfolien. Auf dieses ganz eigentümliche methodische Vorgehen wird später noch ausgiebiger einzugehen sein.70 Es ist an dieser Stelle aber bereits in Rechnung zu stellen, weil gerade auch Balthasars grundlegende Gedanken zu der Frage, welcher Gestalt eine moderne, den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werdende Metaphysik sein müsste, aus seiner Kritik an der neuzeitlichen Metaphysik neuscholastischer Prägung erwachsen. Um seine zentralen Anliegen genau verstehen und richtig einordnen zu können, ist es also unerlässlich, zunächst einmal seine Kritik zumindest in groben Linien nachzuzeichnen, um anschließend die Konturen seines eigenen Entwurfs in Abgrenzung von diesem Umriss hervortreten zu lassen.
2.1.2.1 Seinsvergessenheit der neuzeitlichen Metaphysik
Jedes ernsthafte philosophische Bemühen ist, wie bereits deutlich wurde, nach Balthasar seinem Wesen nach „auf die authentische metaphysische Frage als Mitte hin(ge)ordnet: Warum ist überhaupt Etwas und nicht lieber Nichts?“71 In der Erfahrung der grundsätzlichen Nicht-Notwendigkeit alles weltlich Seienden gerät der Mensch in Staunen über das Wunder des Seins. „Das aber besagt …, daß es nicht nur verwunderlich ist, daß Seiendes in der Differenz zum Sein sich über das Sein wundern kann, vielmehr ebenso, daß das Sein als solches und von sich her bis zum Ende ‚wundert‘, sich als Wunder, wunderlich und wunderbar benimmt. Dieses Ur-Wunder festhaltend zu bedenken, müsste das Grundanliegen der Metaphysik sein“.72 Gerade diesem Anspruch wird nun aber, so sein Befund, neuzeitliche Philosophie nicht gerecht. Vielmehr ist sie seiner Auffassung nach tiefster Seinsvergessenheit verfallen. Er beobachtet „eine schicksalshafte Erblindung, die ganze Geschlechter befällt: die äußerste Fragwürdigkeit der seienden Welt verstellt den Ausblick auf das umgreifende Sein, die metaphysische Urfrage an dieses wird gar nicht mehr gestellt“73.
Mit dieser Diagnose schließt Balthasar sich dem „Siewerthschen Theorem einer nachthomanischen Seinsvergessenheit der abendländischen Philosophiegeschichte … uneingeschränkt an.“74 Nach Siewerth ist das Seiende „einerseits die höchste und letzte eingefaltete Einheit, das Einfachste das in der Wirklichkeit der Welt angetroffen wird, wie es andererseits ein unauflösbar Allgemeines ist, das alle Merkmale und Bezüge sowohl in ihrer Verschiedenheit wie in ihrem Übereinkommen auf sich hin [eingefaltet] zusammen- oder inne-hält und seinshaft durchwaltet. Es umgreift daher mit den versammelnden, einigenden Bezügen auch alle Weisen von Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit, die an einer Sache hervortreten.“75 Diese Komplexität und dieses Mehrschichtigsein des Seienden macht ein Denken erforderlich, das die unterschiedlichen Dimensionen zunächst einmal als solche (an-)erkennt und aufnimmt, das sie darüber hinaus aber auch auf ihren Konstitutionsgrund, i. e. das Sein, hin ordnend zueinander in Beziehung setzt und dergestalt zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügt. Ein solches Denken bezeichnet Siewerth, dem Wortsinn des griechischen Verbs ἀναλέγ∈ιν folgend, als analoges Denken. Einzig ein solcher Akt der „durchmessende(n) ‚Über-legung‘“76 wird seiner Ansicht nach dem Sein des Seienden gerecht. Im modernen Denken dagegen beobachtet er ein Streben nach Einsinnigkeit. „In diesem Sinne lösen die modernen Wissenschaften die ‚analogen‘, ganzheitlichen Synthesen der Atome, der Moleküle oder Zellen in die gleichen Zuordnungsfaktoren und in gleiche Verhältnisse auf und scheiden alles, was sich diesem Ordnungs- und Maßsystem nicht einordnen läßt, aus der Betrachtung aus.“77 Das Sein als letzter Maßgrund alles Seienden ist dabei obsolet und gerät ergo zunehmend in Vergessenheit.
Dieser Vorwurf richtet sich gegen die beiden von Balthasar ausgemachten Wege neuzeitlich philosophischen Denkens gleichermaßen. Auf der einen Seite beobachtet er ein rationalistisches Bestreben, „das Sein zum umfassendsten Vernunftbegriff zu formalisieren … und damit der Vernunft ausdrücklich oder einschlußweise Übersicht und Verfügung über das Sein einzuräumen. Das Sein wird damit zur obersten und leersten Kategorie“.78 Diese Ablösung des Seinsbegriffs von der Wirklichkeit des konkreten Seienden muss die Seinsfrage unweigerlich zum Verstummen bringen, weil sich an einem abstrakten Begriff kein wunderndes und staunendes Fragen entzünden kann. Ohne diesen Brückenschlag auf das Absolute hin bleibt der Mensch dem Endlichen ohne jede Möglichkeit des Selbstüberstiegs verhaftet. Er ist gleichsam in seinem eigenen Denken gefangen. Folgt man Balthasar, so wird man sagen müssen, dass Selbiges in der Konsequenz auch für das