Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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Gottes in Jesus Christus findet, keinerlei Spuren einer Drohbotschaft trägt, sondern im Gegenteil in besonderer Weise geeignet ist, Größe und Wunder des göttlichen Heilsangebots auch und gerade in menschlichen Erfahrungen abgründigen Unheils zur Sprache zu bringen und dergestalt eine Hoffnungsperspektive zu eröffnen.

      Eine mögliche Vertiefung und Konkretisierung dieses Gedankens soll am Ende der Arbeit in einem kurzen Ausblick exemplarisch zumindest angedeutet werden. Es war eingangs bereits davon die Rede, dass im außer- wie auch im innertheologischen Raum gegenwärtig immer wieder von „individuellen und kollektiven Höllen des 20. Jahrhunderts“67 gesprochen wird. Eugen Biser geht sogar so weit, zu sagen, Hölle sei „das Stichwort der herrschenden Daseinsinterpretation“68. Die Hölle erscheint damit nicht länger als ausstehende, jenseitige Gefahr, sondern wird zu einem gegenwärtigen, ja sogar alltäglichen Phänomen erklärt.69 Sie „existiert schon allerorten; man muss sie nicht erst theologisch erfinden.“70 Dabei wird der Topos, auch das wurde schon erwähnt, immer wieder, nicht zuletzt von theologischer Seite, vielfach in Zusammenhang mit psychischen Leiden gebracht: „die Hölle als Inbegriff seelischer Erkrankungen, von Neurosen und Psychosen“71.

      Bisher verbleibt diese Erklärung allerdings weitgehend auf der Ebene der Behauptung; eine systematisch-theologische Durchdringung des Gedankens ist noch nicht geleistet. In einem Ausblick am Ende dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, anzudeuten, wie die Verknüpfung des Höllentopos mit Zuständen seelischen Leidens von Balthasar her möglicherweise als theologisch gerechtfertigt ausgewiesen und dergestalt erhärtet werden kann. Die These dabei lautet, dass pathologische Formen der Angst als Ursprung und Grund neurotischer und psychotischer Leiden als Vorschattungen von Hölle im Sinne Balthasars begriffen werden können.

      Nun kann und darf die Theologie sich freilich keinerlei psychologischen und psychiatrischen Kompetenzen anmaßen. Sie ist darum in der Entwicklung einer Theologie pathologischer Angst notwendig auf das interdisziplinäre Gespräch mit den entsprechenden Wissenschaften anwiesen. Ein solcher Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften bedarf aber ebenso notwendig der Vermittlung durch eine Philosophie, die gleichsam eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Perspektiven auf die Wirklichkeit schlägt. Nun gibt es mit der Daseinsanalyse eine psychopathologische und psychotherapeutische Richtung, die sich ausdrücklich ein philosophisches Fundament gibt. Dies ist umso interessanter, als sie sich auf die Philosophie Martin Heideggers gründet, eine Richtung mithin, die durchaus auch anschlussfähig für theologische Diskurse ist.

      In meinem Ausblick werde ich also zumindest andeuten, wo ich Berührungspunkte zwischen der Theologie Balthasars und der daseinsanalytischen Sicht des Menschen und seiner Gesundheit bzw. Krankheit erkenne. Damit soll der Versuch unternommen werden, eine Denkrichtung zu markieren, die es erstens ermöglichen könnte, pathologische Angstphänomene theologisch (be)greifbar zu machen, die sich aber darüber hinaus zweitens vor allem als geeignet erweisen könnte, Hoffnung auf Heilung und Heil zu begründen. Mit diesem Unterfangen hoffe ich nicht zuletzt auch zeigen zu können, dass „von Balthasars Position … ein noch intensiveres Gespräch zwischen den verschiedenen Wissenschaften möglich (ist), als er es selbst geführt hat.“72 In einen solchen Dialog tatsächlich einzutreten und dergestalt systematisch auf die Entwicklung einer Theologie pathologischer Angst hinzuarbeiten, muss allerdings einer weiteren Untersuchung vorbehalten bleiben.

      Wenden wir uns nach diesen Vorüberlegungen nun also Hans Urs von Balthasar und seiner Theologie zu. Um seinen Entwurf zur Höllenthematik in gebührender Weise nachvollziehen und erfassen zu können, ist es unabdingbar, um sein eigentümliches Theologieverständnis zu wissen. In einem ersten Schritt soll darum nun dargelegt werden, wie und in welchem Sinne der große Denker Theologie betreibt. Dabei wird es allerdings auch bereits ein erstes Mal vonnöten sein, kritische Einwände geltend zu machen, nicht zuletzt um damit Ziel und Anspruch dieser Arbeit deutlich zu machen.

      1 Satory: In der Hölle brennt kein Feuer, 184.

      2 Ratzinger: Hölle. V. Systematik, 448.

      3 Bohren: Ungepredigte Hölle, 226.

      4 Greshake: Himmel – Hölle – Fegefeuer, 73.

      Zu den Entwicklungsstufen innerhalb dieses Prozesses vgl. Vorgrimler: Geschichte der Hölle, 307–445.

      5 Vgl. dazu Jüngling: Hölle, 226. Die Vf’in verweist dazu auf: Ebeling, Gerhard: Dogmatik des christlichen Glaubens, 3 Bde., Tübingen 1979; Graß, Hans: Christliche Glaubenslehre, Teil 1 u. 2, Stuttgart 1973/74; Schlink, Edmund: Ökumenische Dogmatik. Grundzüge, Göttingen 1983.

      6 Ebertz: Zivilisierung Gottes, 359 (im Original kursiv).

      7 Jürgen Moltmann nimmt sicherlich eine Extremposition ein, indem er versucht, die Unmöglichkeit einer Hölle theologisch zu begründen. Vgl. dazu ders.: Am Ende ist alles Gottes.

      8 Ebertz: Zivilisierung Gottes, 348 f. Diesen Befund findet der Autor bei einem Blick in Katechismen und liturgische Texte bestätigt (vgl. dazu ebd., 356–359). Parallele Entwicklungen sind seiner Beobachtung nach zudem hinsichtlich der Fegefeuerlehre auszumachen (vgl. dazu ebd., 351–353).

      Ganz übereinstimmend mit diesen Erkenntnissen konstatiert auch Günter Röhser „den nahezu vollständigen Verlust einer Sprache für die Zukunft und das Ende der Welt, für die Zukunft und das Leben des Menschen nach dem Tode in der Theologie ebenso wie in der kirchlichen und religionsunterrichtlichen Praxis der Gegenwart“ (ders.: Hat Jesus die Hölle gepredigt?, 26).

      9 Jüngling: Hölle, 435.

      10 Ebertz: Zivilisierung Gottes, 345.

      11 „Viele Theologen unserer Zeit versuchen Schwierigkeiten, die sich existentiell, anthropologisch und theologisch aus der Annahme unrettbarer Verlorenheit ergeben, einer Lösung zuzuführen, indem sie den … Begriff der Hölle – zugegebenermaßen oder stillschweigend – aufgeben bzw. so minimalisierend auslegen, dass das von der kirchlichen Lehrverkündigung Gemeinte darin nicht mehr wiederzuerkennen ist“ (Schulze: Ist die Hölle menschenmöglich?, 50). Ebertz geht darum sogar soweit, von einem „Kollaps des traditionellen eschatologischen Codes“ zu sprechen (ders.: Zivilisierung Gottes, 338).

      12 Vgl. dazu Röhser: Hat Jesus die Hölle gepredigt?, bes. 28–30; vgl. auch unten, 119–121.

      13 Ich schließe mich damit der Diagnose von Michael Ebertz an, die zugleich als Titel seiner Arbeit firmiert.

      14 Vgl. Jüngling: Hölle, 447.

      15 Fuchs: Gerichtsverlust, 161.

      16 Vgl. Ebertz: Zivilierung Gottes, 343.

      17 Jüngling: Hölle, 447.

      18 Tück: ‚Glaubhaft ist nur Liebe‘, 147. „Eine Infantilisierung des Glaubens, die bereits Kinder als unterkomplex durchschauen, ist nicht selten die Folge“ (ebd).

      19 Miggelbrink: Zorn Gottes, 5 (Kursiven von mir).

      20 Vgl. Jüngling: Hölle, 447.

      21 Fuchs: Gerichtsverlust, 163.

      22 Minois: Hölle, 135.

      23 Vorgrimler: Geschichte der Hölle, 370.

      24 Eingang in die Malerei findet die „Einsicht in die alltägliche Realität der Hölle“ (Vorgrimer: Geschichte der Hölle, 367) bereits zu Beginn der Neuzeit im Werk von Hieronymus Bosch, der vor allem die psychischen Abgründe des Menschen zur Darstellung bringt. In seinem Gefolge zu nennen sind insbesondere Pieter Bruegel, Francisco Goya, Edvard Munch, Alfred Kubin, Wassily Kandinsky und Max Ernst (vgl. dazu ebd., 367 f). Mit den Schrecken der Kriege des 20. Jahrhunderts wird das Höllenmotiv zunehmend zur künstlerischen Ausdeutung von Erfahrungen auf makrokosmischer Ebene herangezogen. Exemplarisch sei dazu an die Kriegsbilder von Max Beckmann und Pablo Picasso erinnert.

      Die Liste der Auseinandersetzungen


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