Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


Скачать книгу
zu machen sucht.450 Dabei geht es ihm keineswegs um die rein mechanische Übernahme von einmal Gedachtem. „Eine Wahrheit, die nur noch tradiert wird, ohne von Grund auf neu gedacht zu werden, hat ihre Lebenskraft eingebüßt.“451 Deshalb sieht er seine Aufgabe vor allem in der Transposition: „Altes bleibt nur jung, wenn es mit jüngster Kraft auf das noch Ältere, Immerzeitliche, die gegenwärtige Offenbarung Gottes bezogen wird.“452 Erklärtes Ziel dabei ist immer die Rückführung der Moderne in das Christliche.453 Was ihm dagegen nicht auf den von ihm erkannten Einheitspunkt hin in christliches Denken integrierbar erscheint, ist er auch bereit, in äußerster, oft polemischer Schärfe abzulehnen. Viele seiner Gesprächspartner dienen von Balthasar so als Kontrastfolie, vor der seine eigene Position sich umso klarer abhebt.

      Um an dieser Stelle nun kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht Balthasar nie um den Entwurf eines in sich geschlossenen theologischen Systems. Ganz im Gegenteil, „ein Stachel gegen jedwedes Systemdenken durchzieht das ganze Werk Balthasars. Dieser Stachel gibt dem überaus geordneten und gegliederten Werk einen unsystematischen, ja einen antisystematischen Grundzug.“454 Theologie muss, so wurde schon mehrfach betont, Spiegel ihres Gegenstandes, der göttlichen Selbstoffenbarung sein. Balthasar wird nicht müde zu betonen, dass „der sich offenbarende Gott in all seinem Erscheinen souverän bleibt und der Herr seiner Erscheinung.“455 In der Gestalt Jesu Christi wird das Wesen Gottes als absolute Liebe ansichtig. Liebe aber ist notwendig ein Freiheits-Geschehen und als solches auf kein System und keinen Begriff rückführbar, wie sich mit Blick auf beide Wortteile gleichsam doppelt erweist. Zum einen entzieht sich Freiheit per definitionem der Festlegung; zum anderen aber ist die Ereignishaftigkeit der Liebe, ihr Tatcharakter nicht zu einem geschichtslosen System zu abstrahieren.456„Die ‚Gestalt‘ Jesu … ist (ergo) nicht anders fassbar, als indem man, auf das Fassen verzichtend, sie im Ungreifbaren des trinitarischen Mysteriums sich bergen läßt.“457 Jeder Versuch, dieses Mysteriums habhaft zu werden, ist nach Balthasar als Form besserwisserischen Bewältigungsdenkens zu verurteilen. Theologie kann dem gegenüber nie „etwas anderes sein als ein Verweis [im Verstehensversuch] auf das Eigentliche, das definitionsgemäß jeder begrifflichen Formulierung immer entgehen wird.“458

      Der Einschub im Zitat weist bereits auf ein weiteres, wenn man so will gegenläufiges Missverständnis hin. Der Verzicht auf eine theologische Systematik bedeutet umgekehrt keineswegs, Balthasar erachte die christliche Offenbarung für irrational. „Dogmatik als ‚Logisierung‘ der Liebeskenosis Gottes“ gilt ihm durchaus als „möglich und für die Verkündigung sowie für die kirchliche kontemplative Reflexion notwendig, vorausgesetzt, daß das Liebesmysterium jene Mitte bleibt, auf die sie durch all ihre Begrifflichkeit verweist.“459 Es gibt nach balthasarscher Überzeugung also durchaus rationale theologische Erkenntnis, „aber ihr Gegenstand ist genau diese Liebe, die wesensgemäß, wenn sie erkannt wird, als das Übererkennbare erkannt wird“460. Die gnadenhaft gewährte Liebe ist auch nachträglich in keiner Weise von der Vernunft begreifbar, d. h. es lassen sich auch von der ergangenen Offenbarung her keine logischen Rückschlüsse auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit ziehen. „Si comprehenderis, non est Deus“, so Balthasars immer wieder mit den Worten des Augustinus formuliertes Credo.461

      In diesem Sinne also, so kann man an dieser Stelle wohl zusammenfassend sagen, ist Hans Urs von Balthasar darum bemüht, „ein offenes und doch kohärentes Gesamtwerk zu entwerfen, in dem sich die Gesamtschau der Kultur mit einer solchen des christlichen Mysteriums verbindet.“462 Ich schließe mich daher Manfred Lochbrunner an, der vorschlägt, mit Blick auf die balthasarsche Theologie „von einer theologischen Summa zu sprechen. (…) Die Summa ist eine Synthese, aber kein geschlossenes, sich verabsolutierendes System.“463 Damit ist m. E. gleichermaßen das zentrale Anliegen Balthasars gewürdigt wie sein Werk zutreffend charakterisiert.

      In den bisherigen Ausführungen ging es einstweilen nur darum, das theologische Programm Hans Urs von Balthasars in groben Linien zu umreißen. Dies geschah mit einem dreifachen Ziel. Erstens erscheint eine solche Einführung in die Spezifika seiner Denkgestalt gleichermaßen hilfreich für das Verständnis wie für die Einordnung seiner inhaltlichen Aussagen. Zweitens dient sie auch der Begründung für Aufbau und methodisches Vorgehen der vorliegenden Untersuchung. So dürfte deutlich geworden sein, dass eine Annäherung an Balthasars Perspektive auf die Frage der Hölle nicht in Form einer systematischen Analyse zu leisten sein wird. Der Weg wird vielmehr sein müssen, in seine umkreisenden Denkbewegungen einschwingend, die Kon-Zentrierungen nachzuvollziehen. Zuvor aber, und darin liegt die dritte Begründung für die vorhergehenden Darlegungen, gilt es, die Chancen und Grenzen, wie sie aus dem Theologieverständnis Hans Urs von Balthasars erwachsen, kritisch zu bedenken.

       2.4 Reflexion

      Hans Urs von Balthasar tritt wie gezeigt wurde an, das meta-physische Seinsdenken klassischer Theologie aus der Perspektive einer offenbarungstheologisch fundierten Meta-Anthropologie neu zu erschließen. Die zentrale Rückfrage an diese Konzeption wird sein müssen, ob überhaupt, und wenn ja in welchem Sinne, die Rekonstruktionen und Neuformulierungen klassischer philosophischer und theologischer Lehren geeignet sind, diese auf das heutige Denken hin zu öffnen und dergestalt anschlussfähig für den wissenschaftlichen Diskurs zu machen.

      Gleichwohl steht in der Balthasar-Rezeption vielfach ein anderes Spezifikum seiner Theologie im Fokus des Interesses. Stein des Anstoßes ist häufig seine Grundüberzeugung von der Verwiesenheit der Theologie auf personale Gotteserfahrungen, zuhöchst auf mystische Sondererfahrungen, als Quelle der Erkenntnis. Vehement diskutiert, zum Teil sogar polemisch diskreditiert wurde und wird daher immer wieder seine Zusammenarbeit mit Adrienne von Speyr. Aus diesem Grund scheint es indiziert, der kritischen Auseinandersetzung der balthasarschen Denkform zunächst einige kurze Überlegungen zum Verhältnis von Genese und Geltung seiner theologischen Aussagen voranzustellen.

       2.4.1 Überlegungen zum Verhältnis von Theologie und Mystik

      „Balthasars Rekurs auf die mystischen Schriften Adrienne von Speyrs berührt ein Problem der theologischen Erkenntnislehre, das wohl noch keine zureichende Klärung gefunden hat.“464 Von Anfang an wurde die Zusammenarbeit beider von kirchlicher, aber auch von theologischer Seite als äußerst irritierend empfunden und mit Ratlosigkeit beobachtet, wenn nicht gar misstrauisch beargwöhnt. Der bis heute immer wieder erhobene Vorwurf lautet im Kern, Balthasar habe „zentrale Lehrstücke wie die Trinitätslehre und die Soteriologie auf der Basis von Privatoffenbarungen aufgebaut“465 und damit einer „neuen Erkenntnisquelle gegenüber den konstituierenden Erkenntnisquellen der klassischen Theologie den Vorrang“466 eingeräumt. Dabei sei festzustellen, dass in wesentlichen Fragen „die vorgeblichen Offenbarungen die Lehre der Kirche in ihr Gegenteil verkehren“467, weshalb „am Ende doch in zentralen Punkten seiner (= Balthasars; S. H.) Theologie, besonders jedoch in seiner Eschatologie, ein seltsames Missverhältnis zur Doktrin der katholischen Lehre besteht.“468 Vor allem traditionalistisch orientierte Autoren versuchen Balthasar dergestalt sein erkenntnistheortisches Fundament abzugraben und so einen ihrer Meinung nach „längst überfälligen Paradigmenwechsel in der Balthasarrezeption endlich ernsthaft anzugehen.“469 Balthasar gewogenere Theologen neigen dagegen vielfach dazu, in dem bereits zitierten Sinne470 eine künstliche Trennung zwischen den Werken Speyrs und Balthasars zu vollziehen, um sich dann scheinbar nur noch mit Balthasars eigener Theologie auseinander zu setzen.

      Nun soll keineswegs geleugnet werden, dass Balthasar „mit der Aufnahme der Visionen von Adrienne als Quelle der Theologie … einen sehr problematischen Weg betreten“471 hat, wohl aber sei vor allzu starken Simplifizierungen in der Ablehnung der balthasarschen Theologie wie auch in Versuchen ihrer „Rettung“ gewarnt. Zunächst einmal gilt es, wie ich meine, klarzustellen, dass es sich bei Privatoffenbarungen nicht etwa um obskure Phänomene handelt, die im weitesten Sinne im Bereich des Psychologischen oder gar Pathologischen zu verorten wären. Die grundsätzliche Möglichkeit


Скачать книгу