Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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weltlichen Seins als Beziehungsgeschehen zwischen dem erkennenden Subjekt und dem sich zu erkennen gebenden Objekt aus.

      Wesentlich anders dagegen beschreibt er dann allerdings den Prozess der Gotteserkenntnis im Sinne der Enthüllung des unendlichen Seins. Eine sich in der Erkenntnis subjekthafter, i. e. geistbegabter und somit in ihren Äußerungen freier Objekte bereits vollziehende Verlagerung der Aktivität vom Subjekt auf das Objekt, womit dem Subjekt eine primär passiv-rezeptive Rolle zukommt, schlägt seiner Überzeugung nach hier in eine vollends einseitige Handlung um. Gott als das absolut freie Subjekt ist demnach gleichermaßen Objekt wie auch Subjekt der Erkenntnis. „Diese Bestimmung ist ganz strikt zu nehmen, ja im Sinne der Identität.“488 Gotteserkenntnis ist so verstanden letztlich ein Monolog.

      An dieser für sein Theologieverständnis so zentralen Stelle erscheint mir nun allerdings die Gedankenführung Balthasars nicht stringent. Die in der meta-anthropologischen Hinwendung zum konkreten erkennenden Subjekt zunächst gewonnenen Einsichten in die Wechselseitigkeit seiner Beziehung zum Objekt werden plötzlich wieder in ein meta-physisches Verständnis rückgewendet (oder doch zumindest von einem solchen überlagert), wonach die Wahrheit einseitig beim Objekt liegt. Damit aber entstehen unweigerlich zumindest zwei Widersprüche innerhalb der Gesamtkonzeption. Zum einen wird die mit Verständnis von Wahrheit als Enthülltheit des Seins implizit ausgesagte Einheit von Ontologie und Noetik aufgelöst. Es ist nämlich nicht einsehbar zu machen, wie sich das göttliche Sein monologisch als absolute Liebe enthüllen könnte. Der Ausdruck von Liebe besteht notwendig in der Zuwendung zum Geliebten, und Liebe als solche erkennen kann nur der, der sich auf diese Zuwendung einlässt.489

      Zum anderen, und das ist das zentrale Problem, ist nicht mehr ersichtlich, in welchem Sinne die Erkenntnis der göttlicher Wahrheit wirklich noch als menschliche Erkenntnis zu verstehen ist, worin also der freie geistige Beitrag des Menschen zum Erkennen Gottes besteht. „Das wirft die Rückfrage auf, ob Balthasars rezeptive Ästhetik nicht doch zu wenig auf die Voraussetzungen reflektiert, die beim Adressaten der Offenbarung gegeben sein müssen, damit diese als solche bei ihm ankommen kann.“490

      Dies gilt umso mehr, als Balthasars radikale Absage an „jede noch so existentielle Form von Kantianismus in der Theologie“491 als das Phänomen der Offenbarung verfälschende und somit letztlich verfehlende Perspektive keineswegs mit Notwendigkeit aus seinem Verständnis der Offenbarungsgestalt abzuleiten ist. Demnach liegen Zentrum und zugleich Höhepunkt der göttlichen Selbstmitteilung in der Person Jesu Christi, wodurch die Bedeutung aller anderen heilsgeschichtlichen Ereignisse aber keineswegs geschmälert wird. Vielmehr konvergieren sie alle auf diesen Einheitspunkt hin, erhalten von ihm her ihren letzten Sinn und schließen sich so zu einer Gestalt zusammen. Wenn aber jedes Moment der Heilsgeschichte in diesem Sinne konstitutiv für die Gesamtgestalt ist, so ist mit Erhard Kunz zumindest zu fragen, „ob die Offenbarungsgestalt von den Erwartungen, Sehnsüchten und Bedürfnissen der Menschen in der radikalen Weise unabhängig ist, wie Balthasar es … betont. Geht nicht in das Entstehen und Werden dieser Gestalt in der Geschichte Israels das Verlangen der Menschen nach Frieden, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Leben mit ein?“492

      Um an dieser Stelle kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Zweifellos ist im Sinne Balthasars an der völligen Unableitbarkeit der Offenbarung Gottes aus menschlichen Befindlichkeiten festzuhalten. Gleichwohl wird man in umgekehrter Blickrichtung zu der Einsicht gelangen können, dass die menschlichen Grundbedürfnisse und Erwartungen durchaus als konstitutive Bestandteile in die Offenbarung eingeborgen sind. Ist dem aber so, „dann braucht man nicht abzuwehren, daß diese Erwartungen auch bei der Wahrnehmung und der Erkenntnis der Offenbarungsgestalt eine wichtige Rolle spielen, insofern sie den Horizont mitkonstituieren, in dem die Offenbarungsgestalt erst gesehen und verstanden werden kann.“493 Es ist nicht einzusehen, warum nach Balthasar „die subjektive Bedingung der Möglichkeit des Ansichtigwerdens … nie und nimmer in die Konstitution der objektiven Evidenz miteingreifen“494 darf, wenn man davon ausgehen kann, dass eben jene Bedingung jedem konkreten, subjektiven menschlichen Erkenntnisbemühen zuvor schon Moment des Erkenntnisobjekts ist.

      Sicherlich ist Magnus Striet in seiner Vermutung zuzustimmen, dass es „die Tendenz der Selbstverherrlichung des Menschen (ist), die Balthasar die Passivität des Menschen … so stark betonen lässt.“495 Sein primäres Anliegen ist zweifellos, gegen jede Form des Bewältigungsdenkens die absolute Unverfügbarkeit der göttlichen Selbstaussage herauszustellen. Gleichwohl entsteht damit eine deutliche „Spannung … mit der Intention der Theodramatik, die in Gottes unverfügbarer Freiheit gründende Geschichte wirklich … radikal als offene zwischen ihm und den Menschen denken zu können.“496 Ist nämlich die Erkenntnis Gottes dem Menschen nicht zutiefst zueigen, so kann von einer freien personalen Entscheidung keine Rede sein.497 Gerade den absoluten Ernst der menschlichen Entscheidungssituation im Aufeinandertreffen von unendlicher und endlicher Freiheit macht Hans Urs von Balthasar aber in seiner Theodramatik zum Dreh- und Angelpunkt seiner Theologie. Will man dieses Grundanliegen ernst nehmen und wahren, ist auch und gerade im Hinblick auf die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit zur Geltung zur bringen, was Balthasar für weltliche Wahrheitserkenntnis herausstellt: „Durch die unlösliche Verbundenheit des Rezeptiven und des Spontanen in der Erkenntnis bekommt das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt und damit auch die Wahrheit eine seltsame Doppelseitigkeit.“498 Von Balthasar her ist an dieser Stelle sicherlich gleich einschränkend zuzugestehen, dass die Begriffe ‚Spontaneität‘ und ‚Rezeptivität‘ angesichts der je größeren Unähnlichkeit dieses Erkenntnisvorgangs mit jedem rein innerweltlich verlaufenden Prozess des Erkennens nur im analogen Sinne Verwendung finden können. Die in der Erkenntnis freier geistiger Objekte zunehmend rezeptive Passivität des Subjektes wird angesichts der absoluten Freiheit Gottes nicht nur weiter vertieft, sondern nimmt notwendig eine neue Qualität an, weil die Erkenntnis Gottes dem Menschen restlos unverfügbar ist. Gleichwohl wird man aber auch betonen müssen, dass Gott sich mit seiner freien und völlig ungeschuldeten Selbstoffenbarung wirklich in die menschlichen Verstehensmöglichkeiten stellt.

      Balthasar selbst ist sich dessen auch durchaus bewusst, wenn er betont, „der leibhaftige Mensch muß als solcher, und nicht etwa als reiner Geist, der er nicht ist, dieser Offenbarung teilhaft werden können, deshalb ist Gottes Wort, um uns verständlich zu sein, Fleisch geworden, um uns gerade durch sein Fleisch-, das heißt Sterblicher-Mensch-Sein, den Vater zu offenbaren.“499 Als Bedingung dieser Möglichkeit erkennt er, als ein Moment der Analogia entis, eine Analogie der Sprache, wobei „der Akzent auf der Sprache Gottes (liegt), die als das ‚Analogatum princeps‘ zu betrachten ist.“500 Der menschgewordene Sohn kann deshalb die Wahrheit Gottes in der Welt gültig zum Ausdruck bringen, weil er als das Wort Gottes die ewige Selbstaussage des Vaters ist. In umgekehrter Blickrichtung heißt das, der Mensch kann die Offenbarung des göttlichen Seins verstehen, weil er in analoger Weise über Sprache verfügt. Dann aber, so meine ich schlussfolgern zu können, hat er auch, wenn auch gnadenhaft gewährte (denn reine Natur gibt es nicht), so doch eigene, kreatürliche Verstehenszugänge zum Wort Gottes, deren Gott sich bedienen kann, um sich kund zu tun. „Wenn Gott sein Wort an den geschaffenen Menschen wendet, hat er ihm gewiß einen Verstand verliehen, der mit der Gnade Gottes den Akt des Hörens und Verstehens vollziehen kann.“501 Folgt man Balthasar also in seiner zentralen Annahme einer Seinsanalogie, die alle Sphären menschlichen Daseins, und damit eben auch seine Sprachlichkeit, durchwaltet, so wird man die Behauptung, Gott könne nur von Gott erkannt werden, in balthasarscher Lesart als logischen Bruch erkennen und zurückweisen müssen.

      Mit Blick auf die Fundierung theologischer Aussagen auf die Analogie des Seins ist ein weiterer Gedanke anzuschließen. „Analoge Rede ist … keine Rede in Definitionsform oder in exaktem Schlussverfahren, sondern eine Rede nach der Anschaulichkeit. Analogie ist also dem technischen Gebrauch nach eine Denkstruktur, dem methodischen Gebrauch nach eine Kunst des Sehens.“502 Balthasars innovativer Einsatz mit einer theologischen Wahrnehmungslehre ist demnach, so wird man zunächst einmal festhalten können, also nur konsequent. Die Wahrheit des göttlichen wie kreatürlichen Seins erschließt sich dem Menschen seiner Überzeugung nach einzig in der Anschauung der konkreten Offenbarungsgestalt Jesu Christi. Von einer Seinsanalogie kann in diesem Sinne nur aposteriori


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