Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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eine Anschlussstelle für den Dialog sowohl mit Nichtoder Andersgläubigen wie auch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Was Balthasars eigene Arbeit anbelangt, so ist festzustellen, dass er seinerseits die Chance, über seinen Ansatz auch mit den positiven Wissenschaften ins Gespräch zu kommen, weitestgehend ungenutzt lässt. „Er weiß um den Wert der ‚Humanwissenschaften‘, er bewundert deren Errungenschaften, aber er lehnt die Sklaverei ihres Totalitarismus ab.“519 Diese persönlichen Vorbehalte verunmöglichen es ihm wohl, selbst das offene Gespräch zu suchen, was aber noch keinesfalls bedeutet, dass es nicht grundsätzlich auch auf der Grundlage seines Ansatzes geführt werden kann. Dies gilt umso mehr, als sich menschliches Denken nach von Balthasar der einen Wahrheit je mehr annähert, desto mehr unterschiedliche Perspektiven es zu vereinen vermag. Wenn in einem kurzen Ausblick am Ende dieser Arbeit der Versuch unternommen werden soll, Möglichkeiten eines Dialogs zwischen Balthasar und der daseinsanalytischen Psychotherapie über das Phänomen pathologischer Angst anzudeuten, so nicht zuletzt, um exemplarisch auf die Dialogfähigkeit des balthasarschen Denkens über die Grenzen der Geisteswissenschaften hinaus aufmerksam zu machen. Jeder Haltung der Vereinnahmung alles Denkens durch das Christliche wird dabei allerdings ausdrücklich eine eindeutige Absage erteilt.520 Die Rede Balthasars von einem „Zirkel der Erschlossenheit zwischen Gott und Mensch“521, wonach „wer im Kreis zwischen Liebe und Geschenk denkt, … von keinem Außenstehenden ‚beurteilt‘ werden (kann), während er sehr wohl alles Außenstehende beurteilen kann“522, steht nach meinem Dafürhalten in deutlicher Spannung zu den ontologischen Grundlagen seiner Theologie und ist daher zurückzuweisen. „Liebe wird in ihrer inneren Wirklichkeit nur von Liebe erkannt.“523 Christliche Wahrheit ist nicht von dieser konkreten, personalen Erfahrung zu abstrahieren und kann somit nicht als allgemein verbindliches Wirklichkeitsverständnis ausgewiesen werden.

      Mit dieser Einsicht soll nun keineswegs weltanschauliche Beliebigkeit propagiert werden; es sei im Gegenteil ausdrücklich die dem Menschen in der Annahme der christlichen Botschaft zuwachsende Gewissheit betont. Der Grund dieser Glaubensgewissheit liegt in der Offenbarung selbst. In Analogie zum zwischenmenschlichen Bereich entwickelt und entfaltet sich auch die personale Beziehung zwischen Gott und Mensch in der zirkulären Bewegung ihres lebendigen Vollzugs. „Eine vertrauensvolle personale Zuwendung kann überhaupt nur in einem beginnenden Vertrauen wahrgenommen und angenommen werden, obwohl gleichzeitig das Vertrauen nur aufgrund der vertrauensvollen Zuwendung entsteht und in ihr begründet ist.“524 Ist der Mensch bereit, sich auf das Angebot göttlicher Liebe einzulassen, kann und wird sie sich ihm als absolut verlässlich erweisen. Indem das geoffenbarte Versprechen im Laufe eines Lebens dergestalt seine Tragfähigkeit zeigt, wird das in Gott gesetzte Vertrauen zur unbedingten Gewissheit. Diese Gewissheit ist nun aber nicht mit auf empirischen Beobachtungen basierenden oder durch theoretisches Denken gesicherten Gewissheiten zu verwechseln. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine persönliche Lebensgewissheit;525 als solche ist sie nicht stellvertretend zu gewinnen. „Diese Gewissheit kann sich nur einstellen auf der Grundlage eines personal freien Aktes der Glaubenszustimmung. Sie lässt sich einem Menschen nicht durch Argumente oder Beweise ‚andemonstrieren‘.“526 Zur sicheren Erkenntnis der Liebe Gottes kann nur der gelangen, der sie in seinem konkreten Lebensvollzug als zuverlässig erfährt. Und auch nur derjenige wird einem theologischen Wirklichkeitsverständnis intellektuell redlich zustimmen können. Es ist m. E. unbedingt zu akzeptieren, dass weltlich Seiendes anders als christlich interpretiert werden kann und sogar muss, wenn das im Evangelium Geoffenbarte einem Menschen nicht als seinem Leben letzten Sinn stiftend erfahrbar wird. In diesem Sinne wird im Folgenden kein allgemeinverbindlicher Geltungsanspruch theologischer Einsichten erhoben.

      Worum es demgegenüber aber sehr wohl gehen kann und muss, ist der Nachweis der Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft. Wäre nämlich der Glaube an die Offenbarung in Jesus Christus als Grundlage jeder Theologie nicht als vernunftgemäß ausweisbar, so wäre der Theologie die Wissenschaftlichkeit abzusprechen und somit auch jedes interdisziplinäre Gespräch hinfällig. Es gilt daher aufzuzeigen, „daß die Offenbarung ein Geschehen ist, das verschiedene Elemente und Dimensionen integriert und gerade in diesem Zusammen dieser Elemente eine nachvollziehbare und einleuchtende innere Kohärenz und Logik besitzt.“527 Glaube meint nicht Irrationalität oder blindes Vertrauen, sondern im Gegenteil Zustimmung des ganzen Menschen, und damit eben auch seiner Ratio zu dem ergehenden Wort Gottes. „Der Glaube erschließt jedoch eine eigene, spezifische und neue Dimension der Vernunft, ohne dass damit die anderen Vernunftdimensionen abgewertet würden.“528 Das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Sphären der Vernunft ist wohl am zutreffendsten als komplementär zu bezeichnen. Worum es darum auch in theologischen Auseinandersetzungen immer wieder gehen muss, ist die gegenseitige Befruchtung unterschiedlicher Verstehenszugänge. Wenn Balthasar für den Umgang mit weltlicher Wahrheit feststellt, dass „für den Denker … kein anderes Mittel (bleibt), die Wahrheit progressiv zu erfassen, als einerseits das Ernstnehmen der persönlichen Situation, in der er selber steht, und andererseits das Zwiegespräch mit allen anderen ihn umgebenden Perspektiven“529, so ist Analoges meiner Meinung nach unbedingt auch im Hinblick auf die menschliche Erkenntnis der Offenbarungswahrheit geltend zu machen.

      Hans Urs von Balthasar selbst mahnt den Theologen durchaus auch selber, die Grenzen der eigenen Einsicht zu respektieren, „indem er die Beschränktheit des Standortes der irdischen Wahrheit bei sich selber und bei anderen erträgt und duldet“ und der Theologie keine „Funktionen zumutet, die sie niemals erfüllen kann und die am wenigsten Christus selber je für sich beansprucht hat: nämlich von einem unbeweglichen Standort aus alle Erfahrungen der Welt, die nur im Wandel gewonnen werden können, vorwegzunehmen, zu richten und gar überflüssig zu machen.“530 In diesem Sinne begreift er den Theologen denn auch als „Fachmann neben anderen“531. Von der grundsätzlichen Unfehlbarkeit der christlichen Wahrheit ist er aber unumstößlich überzeugt. Zwar kann der Mensch die göttliche Wahrheit angesichts ihrer unendlichen Fülle nie in Gänze erfassen und überschauen; in diesem Sinne ist theologische Erkenntnis perspektivisch. Wohl aber ist seiner Überzeugung nach notwendig einzusehen, dass die letzte Wahrheit in der christlichen Botschaft liegt. Deshalb ist der Theologe „‚Fachmann‘ für die unfehlbare Wahrheit Gottes“532 und verfügt damit nach Balthasar über das Kriterium zur Beurteilung jeder weltlichen Wahrheit.

      Diese Einschätzung teile ich ausdrücklich nicht, weil ich sie, wie dargelegt, als ein Relikt seinsmetaphysischen Denkens begreife, das in den offenbarungstheologischen Grundlegungen Balthasars bereits überwunden ist. Wenn am Ende dieser Arbeit der Versuch unternommen wird, ausgehend von Balthasars Annäherungen an die Frage der Hölle auf Gesprächsmöglichkeiten mit der daseinsanalytischen Psychotherapie über Phänomene pathologischer Angst hinzudenken, so also erklärtermaßen nicht in der Erwartung, über einen solchen Dialog zu einer Theologie der Angst im Sinne einer alleingültigen Erklärung finden zu können. Worum es auch in einer noch so profunden Untersuchung immer nur gehen könnte, wäre die Eröffnung eines Denk- und Verstehensangebots. Die Theologie Balthasars erscheint mir deshalb wertvolle Ansatzpunkte für eine so verstandene Theologie der Angst zu bieten, weil sie geeignet ist, aus anthropozentrischen Engführungen, und damit aus dem Zirkel des modernen Machbarkeits- und Bewältigungsdenkens, in dem der Mensch sich letztlich immer wieder nur auf sich selbst zurückverwiesen sieht, herauszuführen. Gerade für Menschen, die von diesem Denken überfordert sind und die daran zu scheitern drohen,533 kann, so meine These, die balthasarsche Sicht auf das menschliche Sein eine Trost- und Hoffnungsperspektive eröffnen. Eine Bewahrheitung des so Gedachten ist schlechterdings nicht leistbar. Sie liegt vielmehr in der Sache selbst, sofern sie Moment der göttlichen Offenbarung ist. Es kann also letztlich immer nur die Einladung ergehen, sich für die Erfahrung der Zuwendung und Liebe Gottes zum Menschen zu öffnen, um sich die Wahrheit des (eigenen) Seins von dorther zusagen zu lassen.

      Mit diesen Überlegungen ist im Grunde genommen schon zu der nun zu leistenden Hauptaufgabe übergeleitet. Bisher haben vor allem Ausführungen zum balthasarschen Theologieverständnis im Vordergrund gestanden. Ziel dabei war zunächst einmal, einen Zugang zu seiner Gedankenwelt zu eröffnen. Gleichermaßen war mir aber auch daran gelegen, die Intention Balthasars, mit seiner Theologie „auch die Hauptrichtungen des modernen Geisteslebens, die großen


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