Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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daß Gott ihr in seiner Selbstoffenbarung erst die Grundlage schuf.“503

      Indem Balthasar seinerseits die Erfahrung der Liebestat Gottes als Ausgangspunkt jeder Seinserkenntnis begreift, stellt er sich definitiv in den Horizont modernen Denkens. „Erfahrung ist einer der Schlüsselbegriffe der Neuzeit. Die neuzeitliche Wissenschaft beruft sich gegen das überkommene spekulativ-metaphysische Erkenntnisideal auf sie als die entscheidende Erkenntnisquelle. Die neuzeitliche Bezugnahme auf Erfahrung richtet sich also gegen eine ungeprüfte Übernahme überlieferter Traditionen oder Begriffssysteme“504. Ganz in diesem Sinne ist Balthasars Absage an jede Form abstrakt-rationalistischer Seinsphilosophie ebenso eindeutig wie radikal: „Mit Christus setzt Gott seine größte und unerwarteteste Tat, und es ist keine Rede davon, daß durch ihn die Offenbarungswahrheit aus der Form der Tat- und Geschichtswirklichkeit in die Form der geschichtslosen Systematik überführt worden wäre.“505 Die Verwendung der seinsphilosophischen Konzeption einer Analogia entis zur Klärung theologischer Fragen gilt ihm denn auch nur als legitim, weil und insofern sie der der Erfahrung göttlicher Selbstoffenbarung in Jesus Christus angemessene menschliche Ausdruck ist.506

      Wenn aber Leben und Wirken Jesu auf kein wie auch immer geartetes System rückführbar sind, gibt es keinerlei logische Notwendigkeit, in seiner Existenz eine Offenbarung göttlichen Seins zu erkennen. „Um in diesem (= Jesu; S. H.) Leben die freie Selbstentäußerung Gottes erkennen zu müssen, müsste ja zumindest immer bereits vorausgesetzt und dann auch philosophisch gezeigt werden können, dass ein freier Gott existiert. Spätestens dann, wenn die mögliche Existenz des freien Gottes philosophisch vielleicht plausibilisiert, in den Bereich des denkbar Möglichen gerückt, aber nicht bewiesen werden kann, bieten sich andere Ausdeutungsmöglichkeiten Jesu an“507. Die balthasarsche Anwendung der Analogielehre auf das Christusereignis im Sinne einer Denkstruktur, die gerade nicht den Anspruch erhebt, Beweiskraft zu besitzen, die sich vielmehr von der konkreten, personalen Erfahrung her nahe legt, erscheint mir daher grundsätzlich angemessen. Damit aber, und darin erkenne ich dann doch wieder einen Bruch im Denken Balthasars, ist seine Rede von der objektiven Evidenz der Offenbarungsgestalt hinfällig508. Der logische Zirkel, in den Balthasar sich damit verstrickt, weil er ein sicheres Wissen um Gott behauptet, das es weder apriori noch aposteriori je geben kann, liegt nach meinem Verständnis nicht in seiner Annahme einer Seinanalogie begründet, sondern ergibt sich vielmehr gerade aus einer gewissen Inkonsequenz in der gedanklichen Durchführung: Dem offenbarungstheologischen Ansatz bei der Erfahrung der göttlichen Zuwendung in der Begegnung mit Jesus Christus wird mit der Behauptung objektiver Evidenz ein apriorischer Begriff absoluten Seins vorausgesetzt.

      Dass die Aufgabe der Behauptung objektiver Evidenz der göttlichen Offenbarung nun nicht umgekehrt Unverbindlichkeit und Beliebigkeit der christlichen Botschaft meint, ergibt sich mit dem balthasarschen Wahrheitsverständnis. Wahrheit, wie sie aus der konkreten Begegnung von Subjekt und Objekt erwächst, wird in ihrer existentiellen Bewährung zur unumstößlichen Gewissheit. Das gilt auch für die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit. Erfährt ein Mensch in der lebendigen Begegnung mit dem Zeugnis Jesu Christi das Sein Gottes als Liebe, so wird ihm diese Wahrheit zur sicheren Erkenntnis. Die Bewahrheitung der Erfahrung Gottes liegt somit in der Erfahrung selbst. Einzig in diesem Sinne ist dem balthasarschen Diktum von der Selbstevidenz der Zusage Gottes durchaus zuzustimmen. „Evidenz ist Autorität.“509

      Gleichzeitig aber ist ausdrücklich festzuhalten, dass Evidentes per definitionem gerade nicht mit rationalen Kriterien Begründbares ist; „es kann nur phänomenologisch nahegelegt werden“510. Es kann also keinerlei Zwang geben, die Autorität des Nahegelegten als solche anzuerkennen und sich ihr zu unterstellen. Dies kann immer nur in einem freiwilligen, auf nicht stellvertretend zu machender Erfahrung aufruhendem Akt personaler Zustimmung geschehen. Nur wenn das erkennende Subjekt sich für die Selbstaussage des Objektes öffnet, kann Wahrheit geschehen.511 Dies gilt in höchstem Maße dort, wo der Mensch in der Erfahrung Gottes dem Geheimnis absoluter Liebe begegnet. „Liebe kann als solche nur ankommen, wo sich ein Raum der offenen Erwartung anbietet, in dem sie sich ausbreiten kann“512; nur wo sie in Freiheit auf- und angenommen wird, kann sie sinnkonstituierend wirken. „Dies Geheimnis kann auch in seiner Offenbarung nur in freier, von Gottes Gnade getragener Entscheidung als wahr angenommen, somit geglaubt werden, womit nochmals unterstrichen wird, daß dieser ganze Prozeß der Integration aller Sinnfragmente des Daseins kein stringenter ‚Beweis‘ für die Wahrheit des christlichen Glaubens sein kann.“513 Lässt der Mensch sich aber auf die Erfahrung ein, so kann ihm die Erkenntnis Gottes zuwachsen und zur Gewissheit werden. „Das ist Er-fahrung im umfassendsten Sinn: Einsicht durch Fahrt. Diese Einsicht kann nicht anders gewonnen werden, als indem man sie eben macht“514.

      Denkt man von hier aus konsequent weiter, so wird man, wie ich meine, schlussfolgern müssen, dass dort, wo, aus welchen Gründen auch immer, die konkrete, personale Erfahrung ausbleibt, Erkenntnis sich schlechterdings nicht ereignen kann. M. E. erweist sich also auch aus dieser Perspektive noch einmal die Unhaltbarkeit der Behauptung objektiver Evidenz der Offenbarungswahrheit. Es gibt, nimmt man Balthasar wirklich beim Wort, keinerlei logische Notwendigkeit, das Sein Gottes und die Faktizität einer göttlichen Selbstoffenbarung anzuerkennen. Wohl aber gibt es die Möglichkeit, sich auf das Zeugnis Jesu Christi einlassend, die Wahrheit Gottes zu erfahren und in diesem Licht das Sein als Liebe zu erkennen. „Kriterium für Wahrheit (ist) nicht der Sachgehalt, sondern die Hingabemöglichkeit an diesen Gehalt“515.

      Führen wir uns an dieser Stelle kurz vor Augen, worum es in den bisherigen Überlegungen ging: Es wurde der Versuch unternommen, gleichsam mit Balthasar gegen Balthasar zu argumentieren, um auf diesem Wege logische Widersprüchlichkeiten und Brüche innerhalb seines Denkgebäudes aufzudecken. Es wurde weiterhin versucht, die fundamentalen Neuansätze Balthasars ernst zu nehmen und auf ihrer Linie weiterzudenken, um Ungereimtheiten so letztlich werkimmanent aufzulösen. Damit fand ein methodisches Vorgehen Anwendung, das Balthasar seinerseits selber bemüht, wenn er in seiner Auseinandersetzung mit der Geistesgeschichte in den Strukturen der verschiedenen Philosophien und Theologien gegen diese denkt.516 Indem Balthasar dergestalt als seine eigene Negativfolie verwandt wurde, hat sich, wie ich denke, gezeigt, dass seine meta-anthropologische Transposition der klassisch-metaphysischen Seinslehre geeignet ist, deren apriorischen Seinsbegriff zu überwinden und zu einem aposteriorischen, aus der Erfahrung der göttlichen Selbstoffenbarung in Jesus Christus erwachsenen Seinsverständnis zu gelangen.

      Mit dem apriorischen Seinsbegriff fällt nun aber zugleich auch das Apriori der Theologie vor der Philosophie. Balthasar selbst begründet die Vorrangstellung der Theologie mit seiner Bestimmung des Verhältnisses von Natur und Gnade. Zur Erinnerung: Reine Natur ist seiner Überzeugung nach eine faktisch nicht existierende Abstraktion. Natur ist immer schon durch göttliche Gnade erhöhte Wirklichkeit. Man mag das so sehen, und aus schöpfungstheologischer Perspektive spricht auch durchaus einiges für eine solche Sichtweise, aber dieses Verständnis setzt bereits die Existenz Gottes voraus, die als solche zwar im Glauben angenommen, nie aber philosophisch bewiesen werden kann. Auch hier also, so wird man jetzt sagen können, verfängt Balthasar sich in einem metaphysischen Zirkelschluss, der mit seinem originären Neuansatz eigentlich schon aufgebrochen ist. Das ausdrückliche Anliegen seiner Theologie ist ja gerade die Zurückweisung aller philosophischen Gottesentwürfe, deren unausweichlichen Grundfehler er darin erkennt, „daß sie von der Endlichkeit her ein in sich befriedigtes Ganzes zu entwerfen unternehmen …, wovon dann das über seine Grenzen hinaus sich sehnende Endliche schließlich doch ein Teil oder Aspekt wäre.“517 Was dem Menschen rein philosophisch, gleichsam in Verlängerung seiner eigenen Endlichkeit ins Unendliche, erdenkbar ist, ist und bleibt abstrakte Maximalität.518 Der lebendige Gott selbst ist unerfindlich und somit nur zu erkennen, indem er erfahren wird. Das aber bedeutet nach meinem Verständnis, es ist intellektuell nur redlich, Gott dort, wo er nicht erfahren wird, auch nicht zum Ausgangs- oder Zielpunkt menschlichen Denkens zu erklären. Die Behauptung einer theologischen Letztbestimmung jeder Philosophie ist deshalb, wie ich meine, vom Grundanliegen Balthasars her nicht aufrecht zu erhalten.

      Gleichwohl ist der balthasarschen Hochschätzung der Philosophie als für die Theologie unverzichtbar, uneingeschränkt zuzustimmen.


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