Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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Wirkmächtigkeit Gottes und damit des Charakters des Christentums als einer übernatürlichen geschichtlichen Offenbarungsreligion472 gleich. „Nach dem Zeugnis der Schrift ist jedenfalls soviel klar: Das Prophetische und Visionäre [im weitesten Sinn] ist aus der Geschichte des Christentums nicht wegzudenken.“473

      Gleichwohl sind Privatoffenbarungen aber deutlich von der revelatio publica zu unterscheiden. „P. sind im Gegensatz zur allgemeinen, heilsnotwendigen und alle verpflichtenden … Offenbarung, die mit Christus und der Verkündigung der Apostel abgeschlossen ist …, an Einzelne ergehende übernatürliche göttliche Kundgebungen … und Mitteilungen verborgener Wahrheiten und Inhalte“474. Als solche sind sie weder Bestandteil des depositum fidei, noch sind sie als dessen Ergänzung oder Ausweitung zu begreifen.475 Daher besteht auch im Bezug auf eine kirchlich appobierte Privatoffenbarung keine Glaubenspflicht; sie ist nicht selber Glaubensgegenstand, sondern „eine Hilfe zum Glauben, und sie erweist sich als glaubwürdig gerade dadurch, dass sie mich auf die eine, öffentliche Offenbarung verweist.“476

      Das heißt nun aber andersherum keineswegs, Privatoffenbarungen wären nur für diejenigen von Bedeutung, denen sie zuteil werden. „Der Begriff ‚privat‘ bedeutet in der Theologie nicht, daß etwas nur den Betroffenen angeht und alle anderen nicht. Es ist vielmehr ein Ausdruck für eine Rangstufe“477. Privatoffenbarungen sind der öffentlichen Offenbarung in dem Sinne untergeordnet, als sie im Dienst des immer tieferen Eindringens in die Fülle der in Jesus Christus erschlossenen Wahrheit stehen. Josef Ratzinger ordnet Privatoffenbarungen daher der theologischen Kategorie der Prophetie zu.478 „Dabei müssen wir bedenken, dass Prophetie im Sinn der Bibel nicht Wahrsagerei bedeutet, sondern Deutung von Gottes Willen für die Gegenwart, die auch den rechten Weg für die Zukunft zeigt.“479 Privatoffenbarungen kommt demnach primär die Rolle der Vergegenwärtigung der göttlichen Selbstaussage zu. Durch mystische Erfahrungen spricht nach diesem Verständnis Gott in eine konkrete zeitliche Situation hinein. Bedeutsam ist nicht die subjektive Erfahrung als solche, sondern ihr objektiver Gehalt in seiner intersubjektiven, kirchlichen Dimension.

      Folgt man diesem Verständnis, so ist Theologie in ihrer Aufgabe, die göttliche Offenbarung für die jeweilige Zeit rational zu erschließen, unmittelbar auf die prophetische Mystik verwiesen. Ratzinger jedenfalls ist der Überzeugung, „man könnte bei allen wirklich großen theologischen Gestalten zeigen, daß neue theologische Aufbrüche nur dann ermöglicht werden, wenn zuerst ein prophetischer Durchbruch da ist. Solange man nur rational weiterarbeitet, kommt nichts wesentlich Neues.“480 Als ein Beispiel nennt er ausdrücklich den Einfluss der Einsichten Adrienne von Speyrs auf die Theologie Hans Urs von Balthasars.

      Damit sind wir wieder vor die Frage gestellt, ob das balthasarsche Bekenntnis, wonach vieles in seinem Werk „im wesentlichen theologische Transkription des von ihr (= von Speyr; S. H.) unmittelbar Erkannten“481 ist, seine theologischen Einsichten per se in ein fragwürdiges Licht rücken. Dies ist, wie ich mit Blick auf den zumindest grob markierten theologischen Ort von Privatoffenbarungen meine, zu verneinen. Balthasar, wie auch Speyr selbst, begreifen ihre Doppelsendung ganz im Sinne der christlichen Mystik ausdrücklich als Dienst an der göttlichen Offenbarung für die kirchliche Gemeinschaft. Beide wissen sich einer „apriopi einstehenden Bereitschaft … (verpflichtet), deren Inhalt zunächst Indifferenz, sodann Gehorsam und völlige Durchlässigkeit für die christliche Botschaft des Wortes ist“482. Die subjektiven Erfahrungen von Speyrs stehen dabei wie Werkzeuge im Dienst der Durchgabe des objektiven Gehaltes, den von Balthasar als von Gott ganz neu eröffneten Zugang zu seiner Selbstaussage begreift und theologisch auszuwerten versucht.

      Das bedeutet nun aber andersherum keineswegs eine Immunität der Theologie Balthasars. Dies zum einen deshalb nicht, weil, wie gesagt, keinerlei Glaubenspflicht mystischen Erfahrungen gegenüber besteht, und zum anderen, weil an jeden theologischen Entwurf ungeachtet seiner Genese dieselben wissenschaftlichen Maßstäbe anzulegen sind. Wie jede andere Theologie so ist auch die Balthasars daraufhin zu untersuchen, ob sie erstens dem Zeugnis der Schrift und zweitens den Regeln der Vernunft gemäß ist. Für die vorliegende Untersuchung heißt das, es gilt zu prüfen, ob seine Annäherungen an die Frage der Hölle und die ihm daraus erwachsende Perspektive einer universalen Hoffnung als theologisch-rational ausgewiesen werden können. Gelingt der Nachweis innerer Stringenz und Schlüssigkeit, so ist damit der Frage nach der ursprünglichen Intuition zu den Gedanken m. E. zumindest der Stachel genommen; die theologischen Aussagen hätten dann auch unabhängig von ihrer Wurzel im mystischen Erleben Bedeutung und Bestand.

      Bevor aber endgültig der Einstieg in die inhaltlichen Fragestellungen zur Höllenthematik genommen werden kann, ist es unerlässlich, noch einmal auf die balthasarsche Denkform zurückzukommen, und sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf das im Schlussteil dieser Arbeit zumindest anvisierte interdisziplinäre Gespräch gilt es dabei insbesondere zu fragen, ob sie mit Notwendigkeit zu einer Gestalt führt, von der her der Anspruch eines theologischen Apriori vor jeder anderen Wissenschaft zu formulieren ist, oder ob sie nicht vielmehr Wege eröffnet, die der Theologie ein wesentlich anderes Selbstverständnis nahelegen.

       2.4.2 Absage an die Behauptung der Apriorität theologischer Aussagen

      Hans Urs von Balthasars Theologie läuft ohne jede Frage schon in ihrer Grundkonzeption quer zum heute gängigen theologischen Denken. Sein unbedingtes Festhalten an einer metaphysischen Fundierung der Theologie mag denn wohl auch so manchem als mit modernem Denken grundsätzlich nicht mehr vermittelbar erscheinen. Ich meine aber dennoch, ein differenzierteres Hinschauen auf die Stärken und Schwächen kann zu einer deutlich anderen Einschätzung führen.

      Balthasars Anliegen ist nämlich wider den ersten Anschein keineswegs ein stures Beharren auf Althergebrachtem. Eine bloße Fortführung der Hoch- und Spätscholastik wäre seiner Überzeugung nach philosophisch wie theologisch unzureichend.483 Worum es ihm vielmehr geht, ist eine Transformation klassischer Lehren mit dem Ziel der gegenseitigen Befruchtung von modernem und tradiertem Denken. In intensivster Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Theologie deckt Balthasar auf, was er als ihre Schwachstellen erkennt. Woran seiner Auffassung nach alle unterschiedlichen Strömungen gleichermaßen kranken, ist ihre Anthropozentrik. Spätestens seit Kant gilt der Mensch als Norm und Maß alles Denkbaren und damit des Gedachten, womit auch „der Bezugspunkt zwischen Philosophie und Evangelium ins Subjekt verlegt wird.“484 Balthasar macht nun völlig zu Recht darauf aufmerksam, dass Gott als Gegenstand theologischen Denkens dagegen grundsätzlich aller menschlichen Normierung entzogen ist. Die anthropozentrische Denkform muss daher, so seine Schlussfolgerung, in der Theologie notwendig fehl gehen, entweder, indem sie zu viel Wissen vorgibt (Bewältigungsdenken), oder aber indem sie Gott kategorisch zum ganz Anderen und Fremden erklärt, über den der Mensch letztlich nichts wissen kann (dialektische/negative Theologie), womit sie aber das Offenbarwerden Gottes in Jesus Christus verkennt. Die Gefahren, auf die Balthasar hiermit aufmerksam macht, sind m. E. nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen, wenngleich natürlich auch immer im Einzelfall zu prüfen ist, ob und wenn ja in welcher Weise ein theologischer Ansatz ihnen erliegt.

      Balthasar jedenfalls sieht sich angesichts der Aporien modernen Denkens dazu bewogen, seinerseits einen Denkweg zu suchen, der die neuzeitliche anthropologische Wende mitvollzieht, dabei aber streng theozentrisch ausgerichtet, d. h. objektbezogen ist und so die Gefahren der anthropologischen Reduktion vermeidet. Deshalb also hält er an einem den Menschen über sich selbst hinaus auf Gott verweisenden metaphysischen Seinsdenken fest, nicht aber ohne „Korrekturen an einer ‚statischen Essenztheologie‘, …. welche das Verhältnis zwischen Gott und Welt in ontologischen Kategorien beschreibt“485, vorzunehmen. Statt nämlich, wie die klassische Metaphysik, bei einem abstrakten Seinsbegriff anzusetzen, nimmt er seinen Ausgangspunkt bei der konkreten Gestalt Jesu Christi, von der her das Sein allererst in seiner Wahrheit als Liebe erkennbar wird. „Von Balthasars Theologie will ein Hinweis auf diese erst durch das Evangelium konkret möglich gewordene Ontologie sein … Sie ist eine trinitarische Ontologie der Liebe.“486 Dadurch aber bricht er die zeitlose Starre des Allgemeinbegriffs auf und findet zu einem dialogischen


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