Sperare Contra Spem. Susanne Hegger

Sperare Contra Spem - Susanne Hegger


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Beziehungsgeschehen. Balthasar macht ernst mit diesem Gedanken und beschreibt ein überzeitlich-ewiges Drama in Gott selbst, um so der im Offenbarungsgeschehen erkannten Lebendigkeit und Bewegtheit des göttlichen Seins, die seiner Überzeugung nach in metaphysischer Begrifflichkeit nicht einzuholen ist, Ausdruck zu verleihen.

      Der Schauplatz des ersten Aktes sind Himmel und Erde. Es geht um den Schöpfungsakt, in dem die unendliche Freiheit die endliche aus sich entlässt. Im zweiten Akt beginnt das eigentliche Spiel. „Das Drama um Liebe, Untreue und Schmerz nimmt seinen Lauf.“406 Im Zentrum steht der Bund JHWHs mit seinem Volk. Als der Konflikt sich zuspitzt, betritt im dritten Akt der Autor selbst die Bühne. Der Höhepunkt liegt auf Golgatha. „Das Drama zwischen Mensch und Gott erreicht hier seine Akmē, da die perverse endliche Freiheit all ihre Schuld auf Gott als den einzigen Angeklagten und Sündenbock wirft, und Gott sich nicht nur in der Menschheit Christi, sondern in dessen trinitarischer Sendung ganz davon treffen läßt“407. Auch hier führt die Fokussierung auf die Dramatik des Geschehens Balthasar zu einer wesentlichen Modifikation des Gottesbildes gegenüber der traditionellen Gotteslehre. Gott erscheint nicht mehr als absolut leidensunfähig, sondern vielmehr als der in der Gestalt des Sohnes am Kreuz selbst Leidende.

      Der Wendepunkt schließlich liegt im vierten Akt. Die Spieler verweigern sich dem Zusammenspiel und fallen aus ihren Rollen. Auch mit Blick auf das Menschenbild scheint Balthasar diese Theatermetaphorik angemessen und hilfreich. Ein Rollentext ist „Notation, nicht Prädestination“408. Der Mensch, von Gott mit einer Rolle begabt, ist in der Ausgestaltung frei. „Der Schauspieler ist nicht der Wortknecht des Autors. Figuren sind nicht starre Identitäten, vielmehr imaginative Felder des Lebens.“409 Das Schauspiel entwickelt sich nur im freien, schöpferischen Zusammenspiel aller. Damit ist allerdings eben auch die Gefahr gegeben, dass die Spieler ihre Rollen völlig verfehlen und so das gesamte Spiel zu scheitern droht. Als dies geschieht, wird der Autor und Regisseur selbst zum Protagonisten. Stellvertretend trägt der Sohn die Verfehlungen, theologisch gesprochen, die Sünden aller Spieler, um so eine ganz neue Möglichkeit des Zusammenspiels zu eröffnen.410

      Dem Inhalt des fünften Aktes getraut Balthasar sich nur hypothetisch anzunähern. Es geht darin um den endgültigen Ausgang des Spiels, um die Gerichtsszene und schließlich um das endgültige Schicksal aller Spieler. „Wie die Bühne am Ende des Spiels dastehen wird, ist vorweg nicht absehbar.“411

      Soweit, in groben Zügen, Balthasars Entwurf einer Theodramatik. „Mit alldem wird der Versuch gemacht, das, was jeder Christ spontan und unreflektiert weiß und zu leben versucht, in einer Form auszusagen, in der alle Dimensionen des Spannend-Lebendigen gegenwärtig bleiben, statt in die Abstraktionen theologischer Systematik aufgehoben zu werden.“412 Erst in der Wahrnehmung dieser Lebendigkeit des Geschehens, so Balthasars feste Überzeugung, erschließt sich die Logik der göttlichen Selbstoffenbarung.

      Diese innere Logik des göttlichen Handelns schließlich ist Gegenstand der das Gesamtopus abschließenden drei Bänden zur „Theologik“. Es wurde bereits eingehend davon gehandelt, wie Balthasar gleichsam rückblickend, d. h. von der bereits gemachten Wahrnehmung des göttlichen Handelns her, auf die Bedingungen der Möglichkeit dieser Erkenntnis und damit auch auf ihre Aussagbarkeit in menschlichen Begriffen reflektiert.413 Er ist sich durchaus der Tatsache bewusst, damit schlussendlich doch wieder bei einer Statik angelangt zu sein, hält aber daran fest und betont, dass diese „nur gerechtfertigt ist, wenn sie zuvor die Dynamik des Offenbarungsereignisses erfahren hat und sich aus ihr heraus – immer neu, nicht wie ein totes Ereignis – gebiert.“414 Einmal mehr tritt also auch hier die Theodramatik als Hauptteil der Trilogie hervor.

      Mit Blick auf die Gesamtarchitektur des Triptychons wird deutlich, dass sie insgesamt Balthasars Lehre von den Transzendentalien folgt. Die Rede von den Transzententalien des Seins ist also nicht nur von elementarer Wichtigkeit für das balthasarsche Seinsverständnis, sondern vielmehr macht er sie auch „entschlossen zum formalen Strukturprinzip der Trilogie“415. Wenngleich er damit auch ein metaphysisches Theorem aufnimmt, so doch einzig deshalb, weil er es für den angemessenen Ausdruck der in Jesus Christus ergangenen Offenbarung absoluten Seins erachtet, also in dem ausdrücklichen Bemühen, seine Theologie in Inhalt wie Form ganz von ihrem Gegenstand bestimmen zu lassen. Noch einmal zur Erinnerung: „Die transzendentalen Eigenschaften des Seins heißen so, weil jede von ihnen das Sein im ganzen durchwaltet; sie können deshalb gegeneinander nicht abgegrenzt sein, sondern durchwohnen und durchstimmen einander; (…) zwischen diesen herrscht circuminsessio416. Was die Theologie Balthasars ihrer Anlage nach anschaulich machen will, ist demnach die Ganzheit der Offenbarungsgestalt, die unlösbare Verflechtung aller ihrer Aspekte und Dimensionen.

      Der Begriff der ‚Gestalt‘ ist mithin ein Schlüsselbegriff für das balthasarsche Offenbarungs- und in der Konsequenz auch Theologieverständnis. „Gestalt ist die sinngebende Einheit in einer Vielheit ihrer Organe“417, wobei ein „qualitative(s) Plus des Ganzen über seine Teile“418 besteht. Bezogen auf die Selbstaussage Gottes heißt das, sie ist nur als Sinntotalität überhaupt erkennbar. Eine solche Ganzheit der Gestalt ist aber nie aus einer einzigen Perspektive zu erfassen. „Eine Gestalt kann man umschreiten und von allen Seiten sehen. Immer wieder sieht man etwas anderes und sieht doch immer dasselbe.“419 Aber, so wird man von Balthasar her zu ergänzen haben, man muss sie eben auch von allen Seiten betrachten, um sie erkennen zu können. „Und dies nicht aus der Ferne eines kühlen Betrachters, sondern durch das Einbezogenwerden in die Gestalt selbst, deren Stimmigkeit nur von innen erfahren und ermessen werden kann“420.

      In diesem Sinne also entfaltet Balthasar in seiner Trilogie die eine Offenbarungsgestalt an den transzendentalen Eigenschaften des Seins entlang, in drei phänomenologische Komponenten421: In „Herrlichkeit“ wendet er sich dem Urphänomen des Sich-Zeigens Gottes zu, das der transzendentalen Idee des Schönen folgt und zur antwortenden Bewunderung herausfordert. Die „Theodramatik thematisiert das Sich-Geben Gottes, worin das Gute seines Seins manifest wird, das Dankbarkeit auf der Seite des Menschen verlangt. Die Theologik schließlich handelt vom Sich-Sagen, mithin von der Wahrheit der göttlichen Selbstaussage, der der Mensch sich vertrauensvoll hingeben kann. Auf diesem „zugleich objektive(n) und subjektive(n) Dreifuß“422 ruht also die Trilogie auf. Balthasar wählt damit eine Herangehensweise, die man wohl am ehesten als phänomenologisch bezeichnen kann.

      Die einschränkende Formulierung impliziert bereits, dass der Begriff der ‚Phänomenologie‘ nur in einem sehr spezifizierten Sinn Anwendung auf das Werk Balthasars finden kann. Sicherlich geht er phänomenologisch vor, insofern es ihm um das Erfassen von Gestalten geht. Gleichzeitig aber hält er konsequent an seiner grundlegenden Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie fest und weiß so auch die phänomenologische Vorgehensweise unter ein theologisches Apriori gestellt. „Es scheint, daß von Balthasars Methode sich am treffendsten durch das Doppelattribut ‚theologisch-phänomenologisch‘ charakterisieren läßt.“423

       2.3.2 Theologische Phänomenologie

      Ein Grundsatz der Phänomenologie besagt, dass „nichts erscheint, ohne dass eine Form die Materie des Phänomens gestaltet.“424 Mit anderen Worten, ein Phänomen wird nur dann als Gestalt ansichtig, wenn und insofern es qua Denkform oder Begrifflichkeit der Vernunft zugänglich gemacht wird. In philosophischer Perspektive ist es das erkennende Subjekt, das eine solche Form, einer Intuition folgend, an das Objekt heranträgt. Hans Urs von Balthasar stellt nun heraus, dass im Unterschied zu allen weltlichen Phänomenen „die Offenbarung … nicht nur eine phänomenale Materie gibt, sondern ihr auch die sie begleitende Form und Bedeutung entspringt.“425 Wenn Balthasar davon spricht, Gott sei sein eigener Exeget426, so ist genau das gemeint. Die Form, mit der im Glauben die Materie gestaltet wird, kann nicht der menschlichen Intuition entspringen, „weil der Mensch kein Maßstab für Gott ist, und des Menschen Antwort kein Maßstab für das an ihn ergehende Wort.“427 Vielmehr werden Form und Maßstab der Selbstaussage Gottes von dem


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