Die Idee des lebendigen Gottes. Ralph Poirel
Dieringers positive Theologie zu vermitteln, die nicht weitschweifig erörtern, sondern die Lehre der Kirche klar und entschieden darstellen will. Dieringer versteht seinen Laienkatechismus als eine Aktualisierung und Kontextualisierung des römischen Katechismus, da aus diesem trotz seines bleiben Wertes „weder der Priester, noch der gebildete Laien über alle die heutige christliche Welt interessierenden religionswissenschaftlichen und kirchlichen Fragen aus demselben hinreichende Auskunft schöpfen kann.“133 Die Universität zu Wien verleiht ihm die Ehrendoktorwürde für dieses Werk.134 Ebenfalls 1865 wird Dieringer auch für die Nachfolge Geissels als Kandidat des Domkapitels benannt. Infolge der Streitigkeiten im Domkapitel und den intensiven staatlichen Einflussnahmen auf die Bischofswahl wird Bischof Melchers von Osnabrück durch den Papst nach Köln transferiert.135
1.2.4.5 Das Theologische Literaturblatt und die Streitigkeiten um das I. Vatikanische Konzil
Dieringers wissenschaftliche Veröffentlichungen beschränken sich nun auf die Mitarbeit an der dogmatischen Rubrik des Theologischen Literaturblatts, das von Reusch initiiert und redigiert wurde. Dieringer betreute die Rubrik „Dogmatik“ und rezensierte in der Zeit von 1866 bis 1870 zahlreiche dogmatisch-theologische Neuerscheinungen. Im Jahr 1869 nimmt das Blatt eine neue Rubrik mit dem Titel „Das bevorstehende Conzil“ auf, die ebenfalls Erscheinungen zum Konzil und zur Frage der Unfehlbarkeit vorstellt. Dieringer besorgt bis auf die Rezensionen der ersten Ausgabe dieser Rubrik alle Buchbesprechungen. Im Jahr 1868 bespricht er im Bonner Theologischen Literaturblatt136 das von J. Kleutgen geschriebene Buch „Theologie der Vorzeit“137. Diese Aufsätze werden 1868 als eignen kleine Schrift mit einem Vorwort versehen herausgebracht.138 Dieringer will hier in sehr grundsätzlicher Weise den Ansatz der Neu-Scholastik, deren prominenter Vertreter und Begründer der Jesuit Kleutgen ist, behandeln. Diese grundsätzliche Kritik zeigt sich daran, dass Dieringer es für vollkommen ausreichend erachtet, nur den ersten Band in seiner zweiten Auflage, nicht aber die anderen vier Bände zu besprechen.139 Dieringer selbst nennt seine Schrift einen „Beitrag zur Verständigung“ in der Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der Neu-Scholastik und den sogenannten deutschen Theologen. Dieringer selbst sieht sich als „Mittelsperson“ zwischen den beiden Extremen.140 Tatsächlich lehnte Dieringer die rationalistische Deutung des Christentums als auch den Anspruch der Neu-Scholastik als allein gültiger Theologie ab, war aber auch kein Anhänger der deutschen Theologen um Döllinger.141 Die positive Theologie ist in seinem Verständnis jenseits aller theologischen Schulen zuhause, das sie auf Tradition und Schrift rekurrierend die Lehre der Kirche darstellt und durchdringt.
Im selben Jahr wird Dieringer angetragen als Theologe die Vorbereitung des Konzils in Rom im Winter 1868/1869 zu begleiten, was er aus gesundheitlichen Gründen ablehnt.142 Dieringers Verhalten im Zusammenhang des I. Vatikanischen Konzils und der Verabschiedung des Dogmas von der Unfehlbarkeit ist nicht unumstritten. Dieringer äußert sich in den bereist erwähnten Rezensionen mehrfach kritisch zur persönlichen Unfehlbarkeit des Papstes, viele seine kritischen Rezension sind aber auch eine Kritik an der schlechten theologischen Argumentation der Befürworter der Unfehlbarkeit.143 So nimmt Dieringer nach der Verkündigung des Dogmas am 18. Juli 1870 an einer Versammlung am 14. August 1870 in Königswinter teil und beteiligt sich engagiert an der Formulierung eines Protestschreibens, das dem Konzil die Ökumenizität abspricht und dem Dogma den Widerspruch zur Tradition der Kirche attestiert.144 Den Protest selbst unterschreibt er aber nicht, da es sich um eine Laienveranstaltung handelt, an der er nur als Berater beteiligt ist. Das Pendant zu diesem Laienprotest, die von Döllinger vorangetriebene Nürnberger Erklärung zahlreicher deutscher Theologieprofessoren, hingegen wird von ihm nachträglich unterschrieben, da er an der Versammlung in Nürnberg selbst nicht teilnimmt. Aber schon im September 1870 widerruft er seine Unterschrift, als ihn Erzbischof Melchers, der zwischenzeitlich Dieringers Passagen zur Unfehlbarkeit des Papstes in dessen Laienkatechismus zur Grundlage für die Unterweisung des neuen Dogmas allen Geistlichen empfohlen hat, um eine Begründung seiner Verweigerung der Unterwerfung unter das Dogma bietet. In dieser Begründung erläutert Dieringer, dass man ihn zur Unterwerfung nicht zwingen könne, solange die Minoritätsbischöfe sich noch nicht alle in der Sache eindeutig geäußert hätten. Dieringer argumentiert somit seinen eigenen Lehren folgend, dass eine unfehlbare Lehre dann zustande kommt, wenn der Gesamtepiskopat der Lehre des Papstes hinzutritt.145 Folgerichtig unterwirft sich Dieringer am 3. Januar 1871 der päpstlichen Konstitution über Primat und Unfehlbarkeit des Kirchenoberhauptes ohne Vorbehalt.146 Erzbischof Melchers hat Dieringer dabei deutlich mehr umworben als seine Kollegen; Drohungen hat er keine gegen ihn ausgesprochen.147 In der Folge wird Dieringer in Bonn von seinen Kollegen isoliert und ignoriert, in der Öffentlichkeit stark angegriffen.148 Im April 1871 beantragt Dieringer seine Entlassung, die ihm durch das Ministerium noch im selben Monat genehmigt wird.149 Am 8. Mai 1871 schließlich verlässt Dieringer ohne jegliche Verabschiedung durch Stadt oder Universität nach 28 Jahren Bonn, um nach Veringendorf in seiner Heimat Hohenzollern überzusiedeln, wo er Pfarrer wird. Zugleich legt er auch sein Amt als Domkapitular sowie alle weiteren Ämter, die er noch inne hatte, nieder.150 Überlegungen eines Rückzugs aus Bonn und von der Lehrtätigkeit hatte Dieringer wohl schon länger.151
1.2.5 Pfarrer in Veringendorf
Nachweislich bemüht sich Dieringer schon im Oktober 1870 um die Präsentation auf die begehrte und gut dotierte Pfarrstelle beim Fürsten von Hohenzollern, der ihm diese umgehend ausfertigt.152 Seine Unterwerfung geschieht somit völlig freiwillig und aus innerer Überzeugung, da er die Suspendierung vom Lehramt nicht befürchten musste. Dieringer möchte aber den Bruch mit seiner Kirche vermeiden, um so Pfarrer werden zu können. In Veringendorf wird er am 6. Juni 1871 in sein Pfarramt eingeführt und durch die Gemeinde auf das Herzlichste willkommen geheißen, die ihn alsbald insbesondere aufgrund seiner Predigten hoch schätzt.153 Seine Berichte in der von ihm eingeführten Pfarrchronik von Veringendorf zeigen, dass Dieringer in keinerlei Zwist mit seiner Kirche stand oder Groll hegte, sondern vielmehr fest in seiner strengkirchlichen Grundhaltung beheimatet blieb.154 Im Jahr 1874 schließlich ist Dieringer nun zum vierten Mal ein Kandidat des Domkapitels für einen Bischofsstuhl. Er wird vorgeschlagen für sein Heimatbistum Freiburg.155 Doch auch diesmal wird er seitens der badischen Regierung abgelehnt, da er sich – wie auch alle weiteren Kandidaten – weigert einen vorbehaltlosen Eid auf die badischen Gesetze zu leisten. Am 8. September 1876 verstirbt Franz Xaver Dieringer in Veringendorf im Alter von 65 Jahren nach zweijähriger schwerer Krankheit.156
Sein Tod wird in Veringendorf betrauert, an seinen alten Wirkungsstätten jedoch kaum mehr wahrgenommen.157 Seitens seiner direkten Kollegen wird er gleichsam mit einer damnatio memoriae belegt und erst die akademische Folgegeneration, die Dieringer noch als Lehrer erfahren hatte, findet wieder Anerkennung für ihn.158 „Dieringer lebt fort als einer der verdientesten deutschen Katholiken, groß als Gelehrter zwar nicht durch tiefe und erschöpfende Studien, aber wohl durch geniale Klarheit und großartige Begeisterung für die Kirche“, so schreibt sein Schüler Franz Philipp Kaulen.159 Wissenschaftlich haben Dieringers Werke eher indirekt nachgewirkt, indem sie wesentlich mit dazu beigetragen haben, die Lehren Günthers und Hermes’ zu verdrängen. Eine eigene Schule aber seiner positiven Theologie hat sich nicht gebildet,160 was angesichts der Verhältnisse in der Bonner Fakultät infolge der Gründung der altkatholischen Kirche auch kaum erwartet werden kann und wohl auch nicht durch Dieringer angestrebt wurde. Seine Lehrbücher bleiben zwar noch viele Jahre über seinen Tod hinaus in Gebrauch und haben während seiner fast 30-jährigen Lehrtätigkeit den Nachwuchs des Kölner Diözesanklerus geprägt. Dennoch: „Die Wirkungsgeschichte Dieringers muss als gering eingeschätzt werden.“161
1.3 Dieringers theologisches Konzept – die positive Theologie
Bevor man sich aber den theologischen Arbeiten Dieringers im einzelnen widmet, erscheint es sinnvoll, sich nicht nur der biographischen Rahmenbedingungen