Die Idee des lebendigen Gottes. Ralph Poirel

Die Idee des lebendigen Gottes - Ralph Poirel


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Reiches auf Erden ins Werk zu setzen.“30 Die Aufgabe(-n) der Dogmatik soll so gerade in ihrer dreischrittigen Methode den Glauben stärken und erbauen, keineswegs aber zerstören. In diesem Zusammenhang steht auch Dieringers Anweisung, „Resultate der Speculation, welche mit dem Sinn des kirchlichen Dogma’s in seinem Gesammtcomplex im Widerstreite liegen“31 aufzugeben. Dieringers Formulierung bringt dabei sowohl zum Ausdruck, dass für ihn, wie er weiter unten formuliert, die Tradition der Kirche und insbesondere die Kirchenväter letzter Maßstab und Kriterium der dogmatischen Forschung sind, dennoch verweist sie zugleich auf eine gewisse Weite. Denn nur, was mit dem Sinn des Dogmas in seinem Gesamtzusammen-hang (!) nicht einhergeht, also nur das, was der offenkundigen Aussageintention des Dogmas im Kontext des christlichen Glaubens widerspricht, muss fallen gelassen werden. Diese scheinbare Forschungseinschränkung ist daher nur auf den ersten Blick eine Selbstzensur. Bei näherer Betrachtung erscheint es gerade zu zwingend für den theologischwissenschaftlichen Vorgang, dass die Ergebnisse dem bisherigen Forschungsstand entsprechen bzw. sich in diesen einfügen, um sich nicht in Selbstwidersprüchen aufzulösen. Dieringers Konzept zeigt somit keine Enge, sondern es lässt, da dies das einzige Ausschlusskriterium ist, viel Raum für den Glauben aufbauende, neue Forschungsergebnisse, wenn sie dem depositum fidei nicht grundsätzlich widersprechen.

      Dieringers theologisches Vorgehen im Sinne einer positiven Theologie, die der „Reconstruction des objectiv Gegebenen“32 verpflichtet ist, zielt somit wesentlich darauf ab, auf der Basis eines soliden dogmatischen und biblischen Quellenstudiums den Glauben der Kirche wissenschaftlich zu durchdringen und auch den Zeitgenossen begreiflich zu machen. Die Dogmatik erhält eine hermeneutische und interpretatorische Aufgabe und ist gleichsam Dolmetscher der Lehre der Kirche für die Gläubigen. Gleich einem Übersetzer, der stets dem vorgegebenen Text verpflichtet ist, arbeitet auch der Dogmatiker gemäß den Vorgaben der Kirche. Ziel ist es, „das Begreifen der Glaubensobjecte zu vermitteln“33, wozu nach Dieringer jedes Moment des Dogmas dem vernünftigen Denken zugänglich gemacht werden muss34. Die Dogmatik erscheint dabei als eine Wissenschaft in der Kirche für die Kirche, die Anfragen und Denkanstöße aus Philosophie und Vernunft aufgreift, diese aber nicht zum ersten Antrieb und oberstem Maßstab ihres Tuns erhebt. Genau dieses systematischtheologische Vorgehen aber kennzeichnet die Positive Theologie spätestens seit dem 17. Jahrhundert. Es geht um den Rückgriff auf den in den Quellen von Schrift und Tradition vorgegebenen positiven Glaubensbestand, der spekulativ und vernünftig durchdrungen werden soll, um ihn mit den Anfragen der jeweiligen Gegenwart in Gespräch zu bringen.35 Diese Ausrichtung an den positiven Quellen der Offenbarung beinhaltet indirekt eine Ablehnung der rein begriffsanalytisch und spekulativ ausgerichteten scholastischen Theologie.

      Dreh- und Angelpunkt des dogmatischen Arbeitens Dieringers aber ist in allen methodischen Schritten das vorgegebene, positive Dogma. Das Dogma definiert Dieringer als „geoffenbarte, von der Kirche promulgierte Wahrheit“36. An anderer Stelle führt Dieringer genauer aus, dass Dogma der begrifflich gefasste Offenbarungsinhalt ist, der auf Gott selbst zurückgeht, in Christus abgeschlossen und den Aposteln anvertraut wurde.37 Deutlich wird aus diesen Definitionen, dass Dieringers Dogmatik und sein gesamter theologischer Ansatz aufs Engste mit seinem Offenbarungsbegriff in Zusammenhang zu sehen ist. Es wird also zunächst darum gehen, zu klären, welches Offenbarungsverständnis Dieringer vertritt. Zugleich aber wird durch diese ersten Ausführungen zu Dieringers Ansatz ebenso deutlich, dass es dem Theologen Dieringer um ein mit der kirchlichen Gemeinschaft verbundenes Verstehen von Offenbarung geht. „Über Religion, Offenbarung und Kirche“ handelt auch Dieringers Laienkatechismus38. Ein nur kursiver Blick über das Inhaltsverzeichnis des Werkes verdeutlicht bereits, dass die beiden wesentlichen Themen Offenbarung und Kirche sind.39 So wird es ebenso von Bedeutung sein, sich seines Kirchenverständnisses, seiner Ekklesiologie anzunehmen.40 Sprachen wir zu Beginn von der positiven Theologie als der Methode Dieringers, so verwundert es nicht, dass die beiden positivhistorischen Größen Kirche und Offenbarung41 als Schlüsselbegriffe der Systematik Dieringers erscheinen. Das Hauptkapitel zur Darstellung des theologischen Profils von Franz Xaver Dieringer wird daher zunächst seinen Ausgang nehmen beim Offenbarungsverständnis, das unweigerlich auf die Selbstoffenbarung Gottes in Christus hinausläuft, um schließlich in einem dritten Kapitel die besondere Stellung und Aufgabe der Kirche zu behandeln.

      1 KZWK, 2. Jh./ 3. Bd. (1845), 326.

      2 So W. Spael, Das Buch im Geisteskampf. 100 Jahre Borromäusverein, Bonn 1950, 81.

      3 So H. J. Pottmeyer in Rückgriff auf A. Franzen, Unfehlbarkeit und Souveränität. Die päpstliche Unfehlbarkeit im System der ultramontanen Ekklesiologie des 19. Jahrhunderts, Mainz 1975, 241.

      1 Kurzartikel zu Dieringer bieten fast alle internationalen theologischen Handbücher und Lexika seit Beginn des 20. Jahrhunderts; Dieringer findet zudem auch einen Eintrag in ADB und NDB. Ausführlicher widmen sich seiner Biographie E. Gatz und A. Franzen in Aufsätzen (Nachweise siehe unten). Eine ausführliche Biographie liegt nicht vor.

      2 Tochter des Bauern Xaver Schenk und der Franziska Gegauf; vgl. dazu R. Koch (Hg.), Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/1849, Kelkheim 1989, 132; dort findet man auch einen Abdruck einer Lithographie Dieringers von A. Hohneck aus dem Jahr 1844. Die Eltern Dieringers hatten am 20.11.1810 in Rangendingen geheiratet, wo beide Eltern geboren wurden und auch verstarben; vgl. J. Wetzel, F. X. Dieringer von Rangendingen, in: Freiburger Diözesan-Archiv (FDA) 72 (1952), 199. Wetzels Angabe des Geburtsjahres der Mutter mit 1798 scheint mir falsch zu sein. Koch nennt die wahrscheinlichere Zahl 1790; Dieringers Mutter wäre sonst erst 13 Jahre alt gewesen bei seiner Geburt!

      3 Vgl. E. Gatz, Franz Xaver Dieringer (1811-1876), in: KThD 3, 60.

      4 Jüngere Forschungen deuten allerdings auch darauf hin, dass die ländliche Region Hohenzollerns dem Bildungsideal der Spätaufklärung durchaus zugewandt war und viele der Pfarrer sogar überdurchschnittliches Interesse an pädagogischen und pastoral-theologischen Themen zeigten. Vgl. dazu Maria E. Gründig, „Zur sittlichen Besserung und Veredlung des Volkes“. Zur Modernisierung katholischer Mentalitäts- und Frömmigkeitsstile im frühen 19. Jahrhundert am Beispiel des Bistums Konstanz unter Ignaz. H. von Wessenberg, Tübingen 1997, 17.

      5 Sie starb erst 1880 (17. April) und überlebte ihren Bruder nur wenige Jahre. Auch sie blieb in Rangendingen und heiratete den Bauern Josef Strobel. In den letzten Lebensjahren Dieringers von 1871 bis 1876 lebten die Geschwister nur unweit voneinander entfernt in Hohenzollern. Vgl. J. Wetzel, FDA 72 (1952), 199.

      6 Vgl. A. Dieringer, Das Geschlecht der Dieringer in Rangendingen, in: Der Zoller (1906), 56.

      7 A. Franzen, Franz Xaver Dieringer, in: 150 Jahre Universität Bonn. Katholische Theologie, Bonn 1968, 39. Ähnlich: Ders., Die Katholisch-Theologische Fakultät Bonn im Streit um das erste Vatikanische Konzil, (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte (BBK), Bd. 6), Köln 1974, 46 f.

      8 Vgl. E. Gatz, a. a. O., 60.

      9 Vgl. A. Franzen, BBK, Bd. 6, 48.

      10 Ebd., 46 sowie F. Reusch, Art. Dieringer, in: ADB, Bd. 5, 140.

      11 Vgl. J. Wetzel, a. a. O., 199.

      12 Vgl. ebd. sowie A. Franzen, Franz Xaver Dieringer, in: 150 Jahre Universität Bonn. Katholische Theologie, Bonn 1968, 39.

      13 Vgl. ebd., 40 sowie E. Gatz, KThD 3, 61.

      14 Vgl. Dieringers Aufsätze und Schriften zu den genannten Personen im Literaturverzeichnis dieser Arbeit.

      15 Vgl. dazu E. Gatz, KThD 3, 62 f. sowie A. Franzen, Franz Xaver Dieringer, in: 150 Jahre Universität Bonn. Katholische Theologie, Bonn 1968, 39 f. Beide sehen insbesondere die von Dieringer betriebene Einheit von Theologie und Pastoral, von Predigt und Wissenschaft im Geiste Wessenbergs grundgelegt. Sicherlich lässt sich auch Dieringers besonderes Interesse an der guten (homiletischen) Ausbildung der Priester (Universitätspredigten in Bonn, Gründung des homiletischen Seminars in Bonn 1845, etc.) und der theologischen Bildung der Laien (Kanzelvorträge für gebildete Katholiken auf alle Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres (2 Bd.), 1846; Das Epistelbuch der katholischen Kirche, theologisch erklärt (3 Bde.), 1863; Gründung des Borromäusvereins


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