Die Idee des lebendigen Gottes. Ralph Poirel
ist auch Dieringers zweites großes theologisch-systematische Werk das „Lehrbuch der katholischen Dogmatik“ gehalten, das 1847 von ihm veröffentlicht wird. Das mehr als 665 Seiten umfassende Werk erfreut sich so großer Resonanz, dass es insgesamt bis 1865 fünf Auflagen erfährt.96 Das Buch versteht Dieringer als Grundlage für „academische Vorträge“ und geeignet für das „übersichtliche Studium der Dogmatik“ und richtet sich damit ganz eindeutig an eine Fachleserschaft, vornehmlich an Studenten der Theologie.97 Es soll ganz in der Methode der positiven Theologie „Construction des kirchlichen Lehrbegriffs sein, wie derselbe von der Kirche selbst festgestellt oder doch aus den Quellen der Kirchenlehre mit Sicherheit zu ermitteln ist“98 Dieringer will sich dabei weder in Dogmengeschichte, noch in Apologetik, noch in spekulativer Philosophie ergehen, sondern zunächst die Lehre der Kirche (positiv) darstellen und die jeweiligen anderen systematischen Disziplinen nur insofern hinzuziehen, als sie einer „wissenschaftlichen Darstellung des kirchlichen Lehrbegriffs“ dienlich sind.99 Im Jahr nach Erscheinen der Dogmatik wird ihm von der Universität Prag die Ehrendoktorwürde für seine Dogmatik verliehen.100
In die zweite Hälfte der 1840er Jahre fällt infolge der revolutionären Ereignisse in Deutschland auch das weitere gesellschaftspolitische Engagement Dieringer. Im Jahr 1846 wird zum Bonner Stadtverordneten gewählt, im Jahr 1848 nimmt er auf Wunsch Geissels das Mandat für den Wahlkreis Neuss im Frankfurter Parlament wahr.101 Dort betätigte er sich in der konservativen Casino-Partei und vertrat dort erneut strengkirchliche Positionen, die sich gegen jede Form der Staatskirchlichkeit richtete.102 Nachhaltiger als dieser Ausflug Dieringers in die Politik bleibt sein Einsatz im Sozialen. Dieringer kann sich in Bonn in die seit 1842 anhaltenden Überlegungen und Auseinandersetzungen um die Einrichtung eines Hospitals, das von Ordensschwestern betreut werden soll, einbringen. Er erreicht, dass auf Vorschlag des Kölner Erzbischofs in Bonn ein Krankenhaus in freier kirchlicher Trägerschaft errichtet werden kann und schafft damit einen Präzedenzfall in Preußen. Das neue „Johannes-Hospital“ kann 1849 seine Tätigkeit aufnehmen und wird von „Barmherzigen Schwestern“ geführt; es ist damals das einzige Krankenhaus in Bonn und wird erst im Jahr 2005 im Zuge von Kooperationsvereinbarungen mit anderen kirchlichen Krankenhäusern geschlossen.103 Dieringers Einsatz und Unterstützung des klösterlichen Lebens wird von Geissel anerkannt und unterstützt mit der Ernennung zum erzbischöflichen Kommissar für die Frauenklöster im im Bonner Umland.104
1849 richtet sich Dieringer in einem „Offenen Sendschreiben über die kirchlichen Zustände der Gegenwart an Professor Hirscher“105, seinen ehemaligen Lehrer in Tübingen. In der relativ kurz gehaltenen Schrift wendet sich Dieringer gegen die Überlegungen Hirschers zur Beibehaltung eines engen Staatskirchverhältnisses in Baden und die Durchführung einer demokratisch-repräsentativ zusammengesetzten Diözesansynode unter Beteiligung von Laien im Erzbistum Freiburg.106 Aus eigener Erfahrung kann Dieringer hier Position zum Staatskirchenverhältnis in Baden beziehen, hatten ihm doch staatliche Stellen das Verbleiben in Freiburg vereitelt. Zudem hatte er sich bereits in seiner Dogmatik und auch in der Borromäus-Biographie zur Zusammensetzung und zu den Aufgaben von Diözesan-Synoden geäußert.107
Nur wenige Jahre später, 1852, verfasst Dieringer erneut eine kurze Schrift die „Dogmatischen Erörterungen mit einem Güntherianer“.108 Dies unterscheidet sich jedoch in mehrfacher Hinsicht vom erwähnten Sendschreiben. Die dogmatischen Erörterungen sind selbst eine Replik auf die „Katholische Dogmatik“ von X. Schmid109, in der Dieringer sich selbst und seine Dogmatik angegriffen fühlt.110 Dieringer greift gleichsam den Federhandschuh auf, den ihm die Güntherianer in Schmidts Werk hingeworfen haben.111 So ist denn auch der Ton nicht von derselben Wertschätzung und Achtung wie bei der Auseinandersetzung mit Hirscher, dem Lehrer Dieringers, geprägt. Es geht aber auch um grundsätzlichere Fragen der Theologie als Offenbarungsreligion und damit um Dieringers theologische Werk überhaupt und nicht nur um die Frage der rechten Gestaltung einer Diözesansynode. Es mag daher sein, dass Dieringer hier aus grundsätzlichen Erwägungen deutliche Worte findet, aber auch weil er in den Theorien Günthers die alten Ideen Hermes’ wiedererkennt.112 Dieringer selbst schreibt, dass er seine Erörterung formuliert habe, „theils um meiner Ehre, noch mehr um der katholischen Wahrheit willen.“113 Auch in dieser theologischen Frage kann er sich der Unterstützung seines Erzbischofs sicher sein, der wenige Jahre später (1857) gemeinsam mit dem Kurienkardinal Reisach erwirkt, dass Günthers Lehre durch Papst Pius IX. verurteilt wird.114 Dieringer steht während der gesamten Amtszeit Geissels als Erzbischof von Köln als theologischer Berater in höchstem Ansehen.115 1853 ernennt er ihn zum (nicht-residierenden) Domkapitular des Kölner Metropolitankapitels und verleiht ihm zugleich als erstem Geistlichen in der Erzdiözese den „Titel eines Geistlichen Rathes“.116 Es wundert daher nicht, dass Dieringer als ein Mann, der solche Förderung erfährt und beste intellektuelle Fähigkeiten besitzt, der zudem durch seine Publikationen auch überregional bekannt ist und die Gabe besaß, Menschen durch seinen Vortrag zu fesseln, auch als Bischofskandidat gehandelt wird. So wird Dieringer im Jahr 1855117 durch das Domkapitel in Paderborn auf die Kandidatenliste für das Bischofsamt gesetzt, durch die Preußische Regierung aber als persona minus grata abgelehnt. Einmal mehr in seinem Leben erweisen sich seine kirchlicherseits sehr geschätzten persönlichen Fähigkeiten und ultramontanen Positionen als hinderlich für eine Position, die der staatlichen Zustimmung bedarf.118 Statt seiner wird der Bonner Kollege Martin gewählt, der sich in der Folgezeit allerdings nicht als weicher Kompromisskandidat herausstellt, sondern vielmehr im Kulturkampf eine sehr deutliche Gegenposition zur Landesregierung einnimmt, inhaftiert wird und schließlich im belgischen Exil stirbt.119
Als Geissels erster theologischer Ratgeber und Domkapitular fällt es Dieringer gleichsam selbstverständlich zu, als „Prosynodalexaminator“120 das Kölner Provinzialkonzil von 1860 dogmatisch-theologisch zu beeinflussen, was auch in den stark von dogmatischen Fragestellungen beeinflussten Themenkatalog zum Tragen kommt.121 In der Folgezeit wird es um Dieringer in den frühen 1860er Jahren etwas ruhiger. 1862 gibt er sein Amt als Universitätsprediger ab, um nur ein Jahr später gleichsam die Ergebnisse dieser langjährigen homiletischen Arbeit zu veröffentlichen. „Das Epistelbuch der katholischen Kirche. Theologisch erklärt“122 ist ein dreibändiges Werk, in dem er seine homiletischen Vorlesungen zusammenstellt und damit „die Frucht einer mehr denn zwölfjährigen Lieblingsbeschäftigung“ einer breiteren Öffentlichkeit vorstellt.123 Das Konzept des Werkes ist dabei, wie schon bei den Kanzelvorträgen, ausgerichtet zum einen an den kirchlichen Fest- und Feiertagen und denen für diese Tage von der Kirche vorgesehenen Lesungstexte, es verwendet zudem als Textgrundlage die Vulgata und versucht ferner eine theologische Erklärung, wie im Titel gesagt wird, was für Dieringer bedeutet, wissenschaftliche und praktische Aspekte zusammenzuführen.124 Das Werk will also eine Synthese von Exegese und Homiletik erreichen. Dazu geht Dieringer stets vom Literalsinn des Werkes aus, um den eigentlichen Lehrgehalt der jeweiligen Bibelstelle zu erheben.125
Schon im Folgejahr wird Dieringer erneut als Kandidat für ein Bischofsamt gehandelt. Diesmal setzt ihn 1864 das Trierer Domkapitel auf die Kandidatenliste für die Nachfolge des verstorbenen Bischofs Arnoldi. Wiederum scheitert Dieringers Kandidatur am Veto der preußischen Regierung, die ihn als persona minus grata einstuft.126 1864 aber ist auch das Todesjahr von Erzbischof Johannes Kardinal Geissel von Köln, was Dieringer weit mehr getroffen haben wird als die erneute Ablehnung durch die Regierung.127 Mit Geissel verliert Dieringer nicht nur einen väterlichen Freund und Förderer, sondern auch eine wesentliche Stütze in den Auseinandersetzungen in der Fakultät.128 Die 1860er Jahre bringen einige Neuberufung an die Katholisch-Theologische Fakultät129, unter denen Reusch Dieringers Führungsposition übernimmt und Floß das bessere Verhältnis zum neuen Kölner Erzbischof Melchers unterhält.130
Im Jahr 1865 erscheint mit dem „Laienkatechismus über Religion, Offenbarung und Kirche“131 in Mainz Dieringers letztes größeres theologisches Werk, das von Zeitzeugen als Buch beschrieben wird, in dem Dieringers „geistige Regsamkeit und Frische“ noch einmal aufleuchtete.132 Es findet eine so gute Aufnahme, dass es im Jahr 1868 eine zweite Auflage