Die Idee des lebendigen Gottes. Ralph Poirel

Die Idee des lebendigen Gottes - Ralph Poirel


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damit bereits vorab eine Art hermeneutischen Schlüssel zu seinem Werk zu haben. Das theologische Konzept Franz Xaver Dieringers bzw. sein systematischer Ansatz wird meist mit „positiver Theologie“1 umschrieben und greift damit Formulierungen auf, die Dieringer selbst in der Einleitung seiner Dogmatik verwendet zur Beschreibung seiner Methode. Auch im Vorwort seines „Lehrbuch der katholischen Dogmatik“2 spricht er von der Dogmatik als positiver theologischer Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, die kirchliche Lehre so widerzugeben, dass die Aussageintention und die Bedeutungsbreite, die Mitte und die Fülle eines Dogmas erkannt werden können. Wörtlich spricht er in diesem Zusammenhang von der Dogmatik als „Reconstruction des objektiv Gegebenen“3 und bezieht sich damit auf das von der Kirche vorgegebene Glaubensgut. Dogmatik darf sich weder in Dogmengeschichte, noch in Apologetik, noch in spekulativer Philosophie erschöpfen4, auch wenn all diese Aspekte Teil der dogmatischen Methode sind. Die „rechte Theologie, ist daher keine Construction a priori, sondern ein Eingehen in die Gedanken und Thaten Gottes“5. Theologie insgesamt reagiert auf Gottes Vorgaben, auf dessen Offenbarung und handelt somit stets a posteriori. Dogmatik als theologische Disziplin ist somit ebenfalls Rekonstruktion.

      1.3.1 Dogmatik als Rekonstruktion des kirchlichen Offenbarungsbegriffs

      Die „Reconstruction“ des Dogmas beinhaltet näherhin ein intensives Quellenstudium sowohl der lehramtlichen wie auch der biblischen Quellen6. Die Kenntnis der lehramtlichen Texte aber ist der Ausgangspunkt der Dogmatik, nicht ihr einziger Inhalt. Eine reine Widergabe der Konzilientexte oder die Auflistung einzelner päpstlicher Bullen kommt für Dieringer nicht in Frage. Der Sinn der formellen und vielmehr noch der materiellen Dogmen kann nur durch den biblischen Befund und die apostolische Überlieferung erhellt werden, aus dem das Dogma gleichsam neu zusammengestellt wird7.

      So ergibt sich nach Dieringer ein zweifacher Rekonstruktionsschritt: die dogmatischen Lehraussagen der Kirche werden zunächst schlicht gekannt und seitens der Dogmatik bekannt gemacht. Dieses Ermitteln der lehramtlichen Quellen wird von Dieringer die kirchliche Aufgabe der Dogmatik genannt, da sie der Kirche ihr eigenes Glaubensgut vor Augen führt8. Dieser Schritt ermöglicht das reine „Kennen“ eines Dogmas. Der zweite Rekonstruktionsschritt ist sodann die „Ermittlung des biblischen“ und des „traditionellen Lehrbegriffs“9 als sogenannter gelehrter Aufgabe. Sie ergibt sich gleichsam aus der kirchlichen Aufgabe, da sie den Ursprung und den Kontext des kirchlichen Dogmas aus den Quellen der Schrift und der Tradition erhebt.10 In diesem zweiten Schritt wird über das bloße Kennen hinaus ein Verstehen des Dogmas ermöglicht, indem der Sinn des einzelnen Glaubenssatzes im Gesamtgefüge des Glaubensgutes verdeutlicht wird.

      Interessant ist in diesem Zusammenhang Dieringers kurze Abhandlung darüber, welchen Stellenwert der Schriftauslegung bei der Rekonstruktion des Dogmas zukommt.11 Er nennt die Vulgata die Bibel des Dogmatikers. Gleichwohl anerkennt er den Stellenwert der griechischen und hebräischen Grundtexte12, gibt aber in allen exegetischen Zweifelsfällen der Vulgata den Vorrang. Deutlich hebt Dieringer zudem hervor, dass die Schrift nicht insgesamt als Quelle zur Rekonstruktion des einzelnen Dogmas zur Verfügung steht, sondern der Dogmatiker vornehmlich auf die vom Lehramt traditionell in Anspruch genommenen Schriftstellen zurückgreifen soll13. Deutlich wird hier, dass Dieringer dem Magisterium der Kirche und der Tradition eine wesentliche Auswahl- und Interpretationskompetenz zuspricht, die sich auf die ganze Dogmenhermeneutik ausdehnt.14 Der Dogmatiker hat somit bei Dieringer die Aufgabe die Lehre der Kirche aus den Stellen der Schrift zu rekonstruieren, die ihm die Kirche vorgibt. Und er hat sie so zu deuten, wie die Kirche sie deutet und nach der Art der Kirche, d. h. nach der approbierten exegetischen Methode zu arbeiten. Ähnlich entwickelt Dieringer für den Umgang mit den Quellentexten der Tradition klare Vorgaben.15 Die Urkunden der kirchlichen Literatur sind Zeugen der kirchlichen Überlieferung und ergänzen so den biblischen Lehrbegriff. Den Dogmatiker interessiert dabei weniger die Meinung eines einzelnen Autors als vielmehr das Bewusstsein der Gesamtkirche, das sich in den Texten wiederfindet. Entscheidend ist daher auch der Kern der Aussage, nicht seine Formulierung und äußere Form; obschon nach Einschätzung Dieringers gerade bei materiellen Dogmen mancher Kirchenvater die beste Formulierung mangels eines formellen Dogmas bietet.

      Deutlich wird bei diesen ersten beiden Rekonstruktionsschritten, dass die Hebung der Quellen - seien sie biblisch oder traditionell - ein Vorgehen des Dogmatikers in enger Bindung an den bestehenden, kirchlichen Lehrbegriff ist. Es geht nicht um Neu- , sondern um Reformulierung. Der oft an Dieringer herangetragenen Vorwurf, kein kreativer Theologe gewesen zu sein, mag hier bereits seine Erklärung finden.16 Deutlich wird in dieser Methode aber zudem auch seine Abgrenzung zur Neu-Scholastik und deren dogmatischem Ansatz.17 Diese Abgrenzung tritt vielleicht noch deutlicher bei Dieringers drittem Arbeitsschritt hervor, die er die philosophische Aufgabe der Dogmatik nennt. Als theologische Wissenschaft nämlich muss die Dogmatik nach Dieringer eine „Systematisierung“ und eine „spekulative Begründung“ der Dogmen leisten18. Systematisierung heißt für Dieringer die Einordnung des einzelnen Lehrsatzes der Dogmatik in den Gesamtzusammenhang der Offenbarung. Der Offenbarungsbegriff ist dabei sowohl der äußere Rahmen dessen, was der Dogmatik zugehörig ist, da diese nur von Geoffenbartem handelt19, er ist aber auch zugleich das einende Element, das eine gemeinsame aller Dogmen, und die Ordnungsstruktur der Dogmatik, der auch die Gliederung seines Lehrbuches folgt. Der zentrale christliche Offenbarungsinhalt nämlich ist der Glaube an den einen, dreifaltigen Gott, der in der Geschichte frei handelnd erfahren wird.20 Folglich strukturiert sich Dieringers Dogmatik in Gottes- und Heilslehre.

      1.3.2 Die Stellung der Spekulation in der positiven Theologie – Spekulation als Durchdringung des Rekonstruierten

      Das spekulative Durchdringen der Dogmen ist die letzte genannte Pflicht der Dogmatik innerhalb der philosophischen Aufgabe21 und setzt die genannten Schritte des Quellenstudiums (kirchliche und gelehrte Aufgabe) und der Systematisierung voraus. Die kirchliche und die gelehrte Aufgabe sind gleichsam ein Teil und die Voraussetzung der philosophischen Aufgabe, die das weiter oben bereits erwähnte Kennen und Verstehen der dogmatischen Lehrbegriffe durch das Begreifen derselben überschreiten soll. Nur was gekannt und verstanden wird, kann nach Dieringer auch begriffen werden.22 Dem Begreifen kommt nach Dieringer dabei ein sehr hoher, auch sittlicher Wert zu, da er ein schlichtes Glauben aufgrund der Autorität der Kirche als „eine Art religiöser Trägheit“23 bezeichnet. Die Dogmatik hingegen will den Glauben erforschen und im Forschen bis hin zum Wissen im Glauben gelangen. Ein solches Erforschen des Glaubens beinhaltet, dass jedes Dogma dem vernünftigen Denken zugänglich gemacht werden muss24 und nicht die Vernunft zur Gefangenen des Glaubens werden darf25. Dieringer sieht in diesem Vernunfthandeln des Menschen, das dem natürlichen Streben des Geistes entspringt, die Wahrheit stets glaubend oder forschend annehmen zu können26, eine Stärkung des Glaubens, der durch die wissenschaftlich-vernünftige Auseinandersetzung mit dem dogmatischen Lehrinhalt der göttlichen Wahrheit näher tritt und folglich diese noch entschiedener vertreten kann. Dieringers Ansatz verfällt dabei an keiner Stelle einer Vernunftgläubigkeit. Vielmehr zeugt seine Reglementierung der Methode von der Überzeugung, dass Vernunft und Glaube in einer Wechselbeziehung stehen müssen. Der Glaube gibt Rahmenbedingungen des theologischen Forschens vor, die ihrerseits vernünftig begründet sind, aber primär dem Glaubensgut bzw. der –tradition entspringen27. In diesem Sinne interpretiert Dieringer auch den bekannten Ausspruch Anselms von Canterbury „Credo ut intelligam“; und stellt ihm ein „Credo quia revelatum“ voran.28 Dieringers Ausgangspunkt sind daher stets der objektiv gegebene Glauben der Kirche. „...; je tiefer das geglaubte Wort in den menschlichen Geist eingeht, umso mehr gelingt auch ihm ein Verständnis desselben, umso näher tritt er einer speculativen Erfassung des Dogmas.“29 Nicht das, was ein Dogma sein sollte oder könnte, wird bearbeitet, sondern das positive Dogma der Kirche wird durch den Dogmatiker erhellt und somit der Vernunft als Wahrheit einsichtig gemacht. Denn nach Dieringer ist es wenig sinnvoll, „den verschiedenen Möglichkeiten nachzusinnen, da uns schon eine Wirklichkeit gegeben ist und von dieser Alle


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