Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens

Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens


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und die hat dieses Ergebnis ausgespuckt. Beautiful Robert war definitiv noch mindestens einmal in den Bergen.«

      Bester Laune bestellte sich die Archivarin einen Apfelstrudel, hob ihr Glas und sagte: »Prost, lasst uns Wochenende machen.«

      Oliver Arends saß in Katharinas Küche und rieb sich die Schläfen. Es war kurz nach 10 Uhr, Svenja befand sich nach einem flirtreichen Tag am Chiemsee im Bett, Birgit, Katharina und Oliver saßen vor der zweiten Flasche Rotwein. Aufs Abendessen hatten sie nach dem übermäßigen Bratenkonsum zu Mittag verzichtet.

      »Wie macht sich eigentlich ein Aneurysma bemerkbar?«, fragte Oliver recht unvermittelt nach seiner sachlichen Zusammenfassung des aktuellen Recherchestandes im Fall Adelhofer.

      Katharina stöhnte leise auf. Birgit, die Olivers hypochondrische Seite nicht gut kannte, fing sofort an, medizinisches Wissen auszupacken: »Na ja, das kann unterschiedlich sein. Viele merken nichts, manchen wird schwindlig, andere haben Kopfschmerzen.«

      »Kopfschmerzen«, stieß Oliver erschreckt hervor. »Ich habe ständig Kopfschmerzen. Im Moment klopft es an den Schläfen.«

      Er sah Katharinas entnervtes Gesicht und schob nach: »Sind sicher nur Verspannungen, der Physiotherapeut langt meist zu fest zu, danach ist mir oft schwindlig. Wo waren wir? Katharina, du glaubst, dass an dem Adelhofer und seiner Geschichte irgendwas faul ist. Warum? Weil ihm nicht gefallen hat, dass Leute über ihn erzählen, sie hätten ihn in den Bergen gesehen. Hm, bisschen dünn, finde ich.«

      Katharina staunte, dass Oliver von selbst das Thema wechselte, ließ sich aber nur zu gerne darauf ein. »Na ja, fassen wir zusammen: Er behauptet in seiner ersten Sendung, er sei nie mehr in den Bergen gewesen. Sieht danach aus, dass das nicht stimmt. Könnte also sein, dass das Trauma des Bergwinters nicht so groß ist. Und ansonsten sagt mein Bauchgefühl mir, dass irgendwas nicht stimmt. Du hast recht, seine Reaktion auf die Bergfotos reicht nicht, aber ich bin erst am Anfang. Lass mich nur mal recherchieren, also Birgit und mich«, sagte sie und streckte ihrer Freundin den erhobenen Daumen entgegen.

      Breitbrunn am Chiemsee

      Achim Wedel wurde langsam unruhig. Okay, Robert hatte heute seinen Bruder beerdigt. Es gab lustigere Termine. Aber eigentlich konnte er froh sein, dass er Lukas loshatte. Er war in den letzten Jahren nur noch ein Klotz am Bein gewesen. Neidisch, ständig besoffen, pleite. Keine gute PR für beautiful Robert.

      Jetzt lag Lukas unter der Erde. Eigentlich besser fürs Business.

      Robert schien das anders zu sehen. Er saß wie erstarrt neben ihm, seitdem sie vom Adelhofer-Hof weggefahren waren. Hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt. Und sprach kein Wort. Seit einer halben Stunde.

      Dabei mussten sie dringend die Sendung planen. Wedel beschloss zu handeln:

      »Robert, ist irgendwas?« Wedel nahm eine Hand vom Lenkrad und klopfte unbeholfen auf Roberts Oberschenkel.

      Robert fuhr auf, als würde ihm gerade erst klar, dass jemand neben ihm saß. Er schaute Achim mit starrem Blick an und sagte: »Mein Bruder ist heute beerdigt worden, schon vergessen?«

      »Nein, nein, Robert, klar, tut mir leid. Ich dachte nur …«

      »Du dachtest nur, das wäre mir egal. Nein, du dachtest, das wäre mir sogar recht. Endlich ist der Lukas weg. Gell, Achim? Bloß so einfach ist das nicht, verstehst du? Nein, das verstehst du natürlich nicht. Familie ist dir ja fremd. Gibt’s nicht bei Herrn Wedel. Sondern nur Geld und Macht und Macht und Geld, ich weiß. Aber ich habe eine Familie. Verstehst du? Eine Mutter, die fast stirbt vor Kummer über den Tod ihres Sohnes, und einen Vater, der die Welt nicht mehr versteht.« Jetzt brüllte Robert. »Und du fragst mich, ob irgendetwas ist? Du Vollidiot!«

      Achim Wedel hätte gute Lust gehabt zurückzubrüllen. Wahrscheinlich war es mit der Tussi von »Fakten« nicht gut gelaufen. Deshalb machte er hier einen auf betroffen.

      Ausrasten würde Achim erst, wenn Robert die Sendung platzen ließe. Sie musste stattfinden. Traumquoten waren garantiert. Und ein deutlich höheres Honorar für alle auch.

      »Tut mir leid, Robert. Ich bin ein Gefühlstrampel. Ich war nur den ganzen Nachmittag in Kontakt mit der Redaktion wegen der Sendung und es gäbe einiges zu besprechen.« Dramatische Kunstpause. »Aber ich bin der Letzte, der dich zu der Sendung zwingt. Wenn es dir nicht gut geht, fällt ›Krise‹ mit Robert Adelhofer nächste Woche eben aus. Das wird jeder verstehen. Norma kann dich bestimmt vertreten.«

      Jetzt würde sich rausstellen, wie sehr Robert litt. Wenn er freiwillig zuließ, dass Norma Andall ihm den Sendeplatz abnahm – und sei es nur für einen Abend –, müsste man ernsthaft anfangen, sich Sorgen zu machen.

      Dass Norma seine Urlaubsvertretung war, hatte Robert am Anfang akzeptiert. Sie machte ihre Sache allerdings so gut, dass der Programmchef bereits geäußert hatte, es seien zwei Moderatoren für »Krise« denkbar. Das passte Robert gar nicht.

      Seine Urlaube in diesem Jahr hatten deshalb maximal sechs Tage gedauert, jede Sendung hatte er moderiert.

      Wedel trat zufrieden aufs Gaspedal, schaltete im Radio auf Bayern zwei und sagte entschuldigend zu Robert: »Sorry, dass ich die ganze Zeit das Popgedudel laufen hatte. Danach ist dir wahrscheinlich nicht.«

      Robert fuhr sich durch die Haare, holte fahrig sein iPhone aus der Hosentasche. Als er die eingegangenen Nachrichten gecheckt hatte, fragte er: »Silke Heinrich kommt also nicht?«

      Wedel musste sich ein Grinsen verkneifen. Er starrte – ganz der konzentrierte Autofahrer – auf die Fahrbahn und gab in bedauerndem Tonfall zurück: »Nein, sie haben wirklich alles versucht. Aber die Frau schirmt sich komplett ab. Ihre Eltern kriegt man nicht, Heinrichs Eltern auch nicht. Die Freunde blocken, ihr jetziger Mann sowieso. Keine Chance. Verstehe ich zwar nicht, ist inzwischen eine Weile her und sie könnte gut Geld verdienen mit einem Auftritt bei uns, aber wer nicht will, der hat schon.« Er schaute vorsichtig zu Adelhofer rüber, um zu checken, ob er zu weit gegangen war. Robert saß neben ihm, als hätte er überhaupt nicht zugehört.

      »Wir haben also die Frau, deren Baby im Krankenhaus durch die infizierte Spritze gestorben ist, den alten Mann, dessen Frau sich neben ihm im Bett mit Schlaftabletten umgebracht hat, und den Siebzehnjährigen, dessen Freundin vergewaltigt und umgebracht wurde an dem Abend, als er keine Lust hatte, sie nach Hause zu bringen. Sonst noch jemand?«

      »Nein, Robert, das sind bisher alle, die wir kriegen konnten. Ich weiß, es ist ein Gast zu wenig …«

      »Und mein Vater.«

      »Bitte?«

      »Mein Vater kommt. Ich habe ihn vorhin gefragt. Er hat zugesagt.«

      Jetzt nichts Unüberlegtes sagen. Robert durfte nicht merken, dass Achim Wedel am liebsten laut »Juhu« gebrüllt hätte.

      »Willst du ihm das wirklich zumuten, Robert?«

      »Er schafft das. Und er will das. Ich habe ihn nicht gedrängt. Er hat es angeboten.«

      »Gut.«

      Klappe halten, nicht gleich weiter planen. Sonst würde er vielleicht wieder durchdrehen. Wedel kannte seinen Robert.

      »Du, Robert, super, wir haben alle Gäste, lass uns für heute Schluss machen. Was meinst du? Ich fahr dich heim, du ruhst dich aus und morgen um zehn bestell ich die ganze Truppe in die Redaktion?«

      »Gute Idee, Achim.«

      Adelhofer stellte den Autositz in Schlafposition und schloss die Augen. Die Unruhe über die Andeutungen der Langenfels ließ ihn nicht los.

      Die widerspenstige Welle fiel über das rechte Auge. Das durfte sie nicht. Alles musste akkurat sein auf ihrem Kopf. Aber wofür gab es Haarspray. Sie hielt die Locke in der richtigen Position und sprühte. Na


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