Madame Nina weiß alles. Nina Janousek

Madame Nina weiß alles - Nina Janousek


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aus New York, nicht wahr?«

      Er nickte. Zugleich spürte ich seine leichte Verwunderung über meine Frage. Vielleicht war es seine kurz in die Höhe gezogene Augenbraue, die mir dieses Gefühl vermittelte. War er so prominent, dass er davon ausging, jeder müsse ihn kennen? Fieberhaft dachte ich nach, wer er sein könnte. Zu gern hätte ich Julia zugeflüstert, dass sie mir mit dem Namen aushelfen soll, denn offensichtlich wusste sie ganz genau, um wen es sich da handelte. Doch Julia hatte nur Augen für den amerikanischen Herrn, sie war intensiv damit beschäftigt, ihn ehrfürchtig anzuschauen.

      Eines wurde mir dadurch aber immerhin klar, der Mann musste aus dem Showgeschäft sein. Denn obwohl Julia, ein zwanzigjähriges Mädchen aus Oberösterreich, erst seit einigen Monaten bei mir in der Bar arbeitete, wusste ich bereits, dass sie ein eher begrenztes Wissen über Unternehmer und Politiker hatte.

      Nun gut, dachte ich. Wenn der Herr aus der Showbranche kommt, dann ist er sicher kein Produzent oder Regisseur. Denn würde er hinter den Kulissen arbeiten, hätte Julia vermutlich keine Ahnung, dass der Mann berühmt ist. Da sie ihn aber ebenso intensiv wie offensichtlich anhimmelte, musste der Amerikaner als Musiker auf der Bühne stehen oder in Filmen zu sehen sein. Ein Popstar also? Oder ein Schauspieler? Ein Name fiel mir aber noch immer nicht ein.

      »Machen Sie es sich bitte gemütlich«, sagte ich stattdessen zu dem Fremden und wies auf einen der freien Plätze an der Theke.

      Es war für mich immer erfrischend, Englisch zu sprechen. Ich verband damit stets Erinnerungen an meine Zeit in Amerika. Obwohl diese Phase in den USA für mich ziemlich schwierig gewesen ist. Von meiner Heimat Kroatien kommend war ich damals zunächst in New York gelandet. Und wenn ein Wort als Überbegriff für meine Amerika-Zeit steht, dann ist es »Chaos«. Mit Chaos hatte alles begonnen und im Chaos hatte der USA-Aufenthalt geendet. Doch trotz aller Widrigkeiten habe ich aus dieser Zeit, von der ich Ihnen später noch ausführlich erzählen werde, etwas Wunderbares mitgenommen. Meine große Liebe für die offene, wenngleich auch ein wenig unverbindliche und oberflächliche Art der Amerikaner.

      Abermals versuchte ich Blickkontakt mit Julia aufzunehmen. Ich wollte endlich das Rätsel um diesen Herrn lösen. Doch Julia war dermaßen hingerissen von unserem Gast, dass sie mich überhaupt nicht wahrnahm. Ihre grünen Augen blitzten ihn aufgeregt an, sie setzte ihre üppigen Rundungen in Szene, umschwirrte den Amerikaner wie ein aufgeregt flatternder draller Engel. Man konnte ahnen, dass sie so rasch wie möglich auf seinem Schoß landen wollte.

      Die Vorstellung, die Julia da lieferte, war zwar sehenswert und schmeichelte dem Herrn sicher. Aber ich war nach wie vor in der Bredouille. Wie sollte ich mit jemandem gelöst plaudern, der davon ausging, dass ich genau wusste, wer er war und was ihn nach Wien geführt hatte? Der es vielleicht als Beleidigung empfand, wenn er erkannte, dass ich keine Ahnung hatte? Ich zog mich vorübergehend mit einer harmlosen Frage aus der Affäre.

      »Wie gefällt Ihnen die Stadt?«, wollte ich von ihm wissen.

      »Schön ist es hier«, antwortete er freundlich. »Aber ich habe bisher nicht viel von Wien gesehen. Wir drehen den ganzen Tag. Da bleibt nicht viel Zeit.«

      Ein Schauspieler also. Immerhin ein Hinweis, der meinem Gedächtnis vielleicht doch noch auf die Sprünge helfen konnte. Mit dieser neuen Information im Hinterkopf betrachtete ich den amerikanischen Gast genauer. Ja, ich kannte dieses markant geschnittene Gesicht tatsächlich. Vielleicht trug er die Haare gewöhnlich anders? Die lange Mähne gehörte eventuell zu seiner Rolle. Ich versuchte, ihn mir mit einer anderen Frisur vorzustellen. Doch mein Erinnerungsvermögen versagte hartnäckig. Ich hatte noch immer keine Ahnung, wer da neben mir saß.

      Das Gedränge um unseren prominenten Gast verschärfte sich zusehends. Jetzt buhlten neben Julia auch Emilija und Bianca um seine Aufmerksamkeit. Die zielstrebige Emilija, eine Rumänin, die ihr Image gern aufpolierte, indem sie sich als Mazedonierin ausgab, und die österreichische Jus- Studentin Bianca, die eine konservative Pagenfrisur trug, versuchten mit dem Schauspieler auf Tuchfühlung zu gehen.

      Auch alle anderen Mädchen in der Bar schienen nur noch Augen für diesen einen Gast zu haben, jede schaute fasziniert in seine Richtung. In der Luft lag eine fast magische Spannung. Die ein wenig verrückte und überdrehte Bianca, die aber auch das klügste Mädchen war, erfasste die Situation instinktiv und brachte sie doppeldeutig auf den Punkt. »Einer für alle, alle für einen!«, rief sie den Schlachtruf der drei Musketiere und prostete unserem prominenten Gast mit ihrer Sektflöte zu.

      Sie erntete lautes Gelächter. Die Atmosphäre entspannte sich in der allgemeinen Heiterkeit. Und auch ich konnte endlich aufatmen. Denn die scharfsinnige Bianca hatte mir das richtige Stichwort geliefert. Das letzte Puzzleteil fiel auf seinen Platz, ich hatte die Identität des Herrn gelüftet. Jetzt wusste ich, dass die langen Haare tatsächlich zu seiner Rolle gehörten. Der Mann, der neben mir an der Theke saß und meinen Mädchen den Kopf verdrehte, war Charlie Sheen, ein achtundzwanzigjähriger Hollywoodstar. Er war mir so bekannt vorgekommen, weil ich in der Zeitung gelesen hatte, dass er in und um Wien für das dreißig Millionen Dollar teure Remake des Alexandre-Dumas-Klassikers »Die drei Musketiere« vor der Kamera stand. Der Mantel-und-Degen-Film wartete mit Starbesetzung auf. Kiefer Sutherland spielte Athos, Chris O’Donnell D’Artagnan – und Charlie Sheen gab mit Aramis den Dritten im Bunde.

      Langsam wurde mir das Aufsehen, das die Mädchen um unseren berühmten Gast aus Hollywood machten, zu viel. Ich hob die Hand und forderte sie mit einem Wink auf, zur Normalität zurückzukehren. Sie verstanden sofort, und rasch hatte sich die Betriebsamkeit wieder auf normalem Niveau eingependelt. So gehörte sich das. Schließlich besuchte uns nicht zum ersten Mal ein prominenter Gast. Meine Bar, »Ninas Bar«, war immerhin der nobelste Nachtclub der Stadt. Im Zentrum von Wien gelegen, in der Innenstadt nahe dem Stephansplatz, am Bauernmarkt. Und wenn anspruchsvollen Herren der Sinn nach einem ebenso diskreten wie niveauvollen Zeitvertreib stand, stießen sie rasch auf uns. Meine Bar, zu der auch ein kleines Restaurant gehörte, war ein beliebter Treffpunkt für Opernsänger, Schauspieler, Geschäftsmänner und Adelige. Und wenn internationale Stars nach Wien kamen, schauten einige von ihnen ebenfalls gerne bei uns vorbei.

      Ich hatte die Mädchen ausreichend instruiert, wie solch hochkarätige Gäste zu behandeln sind – genauso wie jeder andere Herr, der zu uns in die Bar kam. Das war ein ungeschriebenes Gesetz, das in meinem Etablissement galt. Der Grund für meine strikte diesbezügliche Anweisung war simpel: Stars wie Charlie Sheen sollten hier in eine Atmosphäre der Privatheit eintauchen und nicht das Gefühl haben, wie auf dem roten Teppich bei einer Oscar-Verleihung im Rampenlicht zu stehen und die Rolle des glamourösen Stars spielen zu müssen. Ich hatte stets vermutet, dass dieser Teil des Prominentenlebens einigermaßen anstrengend für sie ist. In der Öffentlichkeit durften sie sich nie einen Fehler erlauben, weil die Lupe des Interesses ständig auf sie gerichtet war. Immer standen sie unter Beobachtung, verfolgt von den Medien und den begeisterten Fans. Deshalb war es mir wichtig, dass sie sich in meiner Bar wie zu Hause fühlten, weit weg von der Schattenseite ihrer Berühmtheit, abseits von den Strapazen ihrer Auftritte vor einem großen Publikum. Bei mir in der Bar sollten sie einfach nur Männer sein können, Herren, die erfolgreich waren und sich ein bisschen Genuss und Entspannung verdient hatten.

      »Was hat Sie denn hierher zu uns geführt?«, fragte ich Charlie Sheen. Da war ich ganz Geschäftsfrau, ich interessierte mich trotz des hohen Ansehens, das meine Bar in Wien genoss, immer dafür, warum Gäste zu uns kamen. Ich wollte wissen, wer ihnen den Anstoß gegeben hatte, »Ninas Bar« zu besuchen.

      »Ich wohne im Hotel Sacher«, erklärte mir Charlie Sheen. »Dort habe ich an der Rezeption gefragt, wohin ich in Wien gehen kann.«

      Ich nickte. Schön zu hören, dachte ich. Wieder einmal hatte sich mein Konzept der Perfektion bezahlt gemacht. Ich achtete mit Argusaugen darauf, dass sich bei mir alle Gäste wohlfühlten und darauf, dass meine Mädchen ein erstklassiges Service boten. Denn ein zufriedener Gast war die beste Werbung. Schließlich lebten wir von Mundpropaganda. Und die machte vor den Pforten der Luxushotels nicht Halt. Die Portiers der Nobelherbergen kannten »Ninas Bar« aus der Zeitung und aus dem Fernsehen, und sie empfahlen mein Etablissement an ihre Gäste, sobald sie nach einer derartigen Lokalität gefragt wurden. Wenn die Herren dann bei mir in der Bar schöne Stunden erlebt hatten, bedankten


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