Madame Nina weiß alles. Nina Janousek
und Einfühlungsvermögen, um sie zu lenken, damit die Gäste die Kutschfahrt ihres Lebens genießen konnten. Das war »Ninas Bar«.
Manchmal waren nicht nur die Mädchen störrisch, sondern auch die Herren, die zu uns kamen. Ehe ich Ihnen über meinen Schicksalsweg erzähle, der mich von Kroatien über Amerika nach Wien führte, wo ich zur legendären Puffmutter wurde, möchte ich Ihnen eine Geschichte über einen ganz besonderen Gast anvertrauen, auf den dies zutrifft. Damit breche ich mein persönliches Schweigegelübde die Besucher meiner Bar betreffend nicht, denn der Herr, den ich auf ganz spezielle Art und Weise schätzte, ja, liebte, machte nie ein Geheimnis aus seinen Besuchen in meinem Etablissement.
Falco
Ich liebte alle Herren, die zu mir kamen. Allein schon deshalb, weil sie kamen. Meine Gäste genossen also einen großen Sympathievorschuss. Bei näherer Betrachtung gab es allerdings nicht mit allen sofort ein herzliches Verstehen, obwohl die Herren, mit denen ich gleich eine Verbundenheit fühlte, in der Überzahl waren. Bei den anderen dauerte es eine Weile, bis wir uns mochten.
In erster Linie denkt man, dass die Chemie zwischen zwei Menschen stimmen muss, damit sie gut miteinander auskommen. Das mag schon stimmen, aber ich habe in den vielen Jahren in meiner Bar erkannt, dass der Beruf eines Herrn eine große Rolle dabei spielte, ob ich mich gut mit ihm verstand. So gab es nie Sympathieprobleme mit Gästen, die eine Führungsposition innehatten, wie Unternehmer oder Manager. Mit ihnen vertrug ich mich immer auf Anhieb. Weit schwieriger war der Umgang mit Künstlern. Oft fragte ich mich, woran das lag. Vielleicht daran, dass Führungskräfte klar und strukturiert denken, sie planen genau und verfolgen konkrete Ziele. Und so agieren sie auch im Privatleben. Das macht sie leicht einschätzbar, man kann ihre Reaktionen vorhersehen.
Künstler dagegen sind immer ein bisschen chaotisch, auch im Denken. Sie folgen ihrer Intuition, sie sind emotioneller und sprunghafter. Das macht sie kompliziert. Falco war einer der kompliziertesten.
Eines Abends kam er in die Bar. Nein, er kam nicht, sondern er erschien. Mit einer ganzen Entourage im Schlepptau. Mit hoch erhobenem Kopf, provokant- arrogantem Blick und kerzengeradem Rücken schob er sein Ego vor sich her. Er setzte sich hemmungslos in Szene, jede seiner übertriebenen Gesten schien zu rufen: »Schaut her, da bin ich! Der Größte! Der Beste!« Es war dieser inszenierte Auftritt, der ihn mir, wie soll ich sagen, ja, auf Anhieb unsympathisch machte.
Dabei hatte er natürlich guten Grund, stolz zu sein. Falco, der Wiener Popstar, der eigentlich Hans Hölzel hieß, hatte Hochsaison, er war am Zenit seines Erfolges. Es war noch nicht lange her, dass er es mit seinem Song »Rock Me Amadeus« als erster deutschsprachiger Musiker an die Spitze der amerikanischen und der englischen Charts geschafft hatte. Dieser Hit und andere seiner Lieder wie »Vienna Calling« liefen unentwegt im Radio, und meine Mädchen tanzten dazu, wenn einer der Songs bei mir in der Bar gespielt wurde.
Als nun Falco höchstpersönlich eines Nachts bei uns erschien, legten sie sich ordentlich ins Zeug, um ihm zu imponieren. Schnell wurde sein Hit »America« in die Musikanlage geschoben, und die Mädchen sangen aus Leibeskräften mit, um Falcos Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Das Typische an mir
I bin untypisch ganz und gar
Einmal hoch und einmal tief
Einmal gspritzt, dann wieder klar
Die Mädchen bemühten sich vergeblich. Falco würdigte sie keines Blickes.
Es war tief in der Nacht. Er wankte schon ein bisschen. Ob der genossene Alkohol oder etwas anderes der Grund dafür war, dass er nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand, weiß ich nicht. Sein Gleichgewichtssinn war jedenfalls nicht mehr der beste, doch von seiner arroganten Attitüde hatte er keinen Funken eingebüßt. Umgeben von seinem Gefolge lehnte Falco an der Theke und unterhielt sich mit nasaler Stimme mit seiner Entourage. Blasiert, hochnäsig, überheblich und selbstherrlich sind die Attribute, die mir heute einfallen, wenn ich an den Falco von damals zurückdenke.
Von meinen Mädchen, die sich immer wieder zu ihm drängten, nahm er keine Notiz. Erst Tanja schaffte es, mit Falco ins Gespräch zu kommen. Tanja war ein schlankes, blasses Mädchen. Sie sah so unschuldig aus, als hätte sie sich von der Betstunde kommend in die Bar verirrt. Doch das täuschte. Tanja war intelligent und schlagfertig. Manchmal übertrieb sie es auch und wurde richtig frech.
Es dauerte nicht lange, und sie setzte sich zu Falco an die Bar, begleitet von den neidvollen Blicken der anderen Mädchen. Ich kannte Tanja gut genug, um zu wissen, dass sie zu ihm passte. Denn auf seine herablassenden, snobistischen Sprüche würde sie mit stoischer Gelassenheit antworten.
Genau das tat sie auch. Sie hielt dagegen, aber nicht zu viel. Sie provozierte ihn, aber wohldosiert. Am Ende zogen sich die beiden in mein exklusivstes Séparée zurück, in den Roten Salon.
Falco kam immer öfter in die Bar. Ich hatte das intensive Gefühl, dass ihn mehr herzog, als die Lust aufs Nachtleben, auf schöne Mädchen und auf die Möglichkeit, sich hemmungslos zu inszenieren. Da war etwas, das über diese Dinge hinausging, etwas, das ihn an meiner Bar faszinierte. Doch was genau ihn hier so in den Bann zog, konnte ich nicht erklären.
Ich beobachtete ihn, wie ich alle Gäste beobachtete, um sicherstellen zu können, dass er sich wohlfühlte. Gleichzeitig hoffte ich, dadurch irgendeinen Anhaltspunkt zu bekommen, was ihn an meiner Bar so begeisterte.
Falco bestellte immer Jack-Daniel’s-Whiskey für sich, und für die Mädchen Champagner. An seiner herablassenden Art änderte sich nichts. Einige Nächte widmete er sich demselben Mädchen, um es dann ganz plötzlich links liegen zu lassen und nicht mehr zu beachten und sich ausschließlich mit einem anderen zu beschäftigen. Doch selbst dieses unverschämte, flegelhafte Verhalten verhinderte nicht, dass ein Mädchen nach dem anderen sein Herz an ihn verlor.
Wie kann man sich nur in einen Mann mit solchen Manieren verlieben, dachte ich. Ich verstand das zwar nicht, aber ich akzeptierte es. Der Gast war zufrieden, und die Mädchen waren selber schuld, wenn sie nicht professionell die Grenze zogen. Trotzdem konnte ich mir eines Abends ein Kopfschütteln nicht verkneifen, als er sich den Mädchen gegenüber wieder besonders rüpelhaft benahm.
Falco bemerkte meinen Unwillen. Er bat mich zu seinem Tisch. Ich wusste, warum. Trotzdem gab ich die Unwissende. Ich lächelte ihn an. »Was ist denn, Hans?«, fragte ich. »Ist bei dir alles in Ordnung?«
Er nahm einen kräftigen Schluck Jack Daniel’s, direkt aus der Flasche. Es war, wie zumeist, bereits die zweite an diesem Abend.
»Warum schüttelst du den Kopf?«, fragte er. »Was mache ich falsch?«
»Du solltest die Mädchen nicht so von oben herab behandeln«, hielt ich ihm entgegen. »Du lebst doch auch in gewisser Weise von ihnen. Sie kaufen alle deine Platten.«
Er nahm noch einen Schluck Whiskey. Es schien, als würde er sich meine Worte zu Herzen nehmen. »Du hast recht«, sagte er dann auch. »Könntest du bitte die Musik etwas leiser machen? Ich möchte dazu etwas sagen.«
Obwohl es mir seltsam vorkam, dass sich Falco, der in meiner Bar sonst eher unter seinen Freunden blieb, an alle Gäste wenden wollte, erfüllte ich ihm seinen Wunsch und machte die Musik leiser. Die Bar war voll, jeder Tisch besetzt. Alle Augen richteten sich auf ihn, als er sich erhob. Er stellte die Whiskeyflasche ab und ging zu unserer kleinen Bühne.
Die Bühne in meiner Bar war ein kleines Podest in einer Nische. Dort wurde oft und gern getanzt. Die Mädchen drehten sich allein zur Musik oder sie tanzten mit den Herren. Besonders am Donnerstagabend, dem traditionellen »Herrenabend«, an dem immer Boogie-Musik auf dem Programm stand, wurde die Bühne stark frequentiert.
Eines Abends war auf der Bühne der Teufel los. Eines meiner Mädchen tanzte mit einem Gast zu den Liedern des Musicals »Das Phantom der Oper«. Die beiden machten das wirklich gut. An einem der Tische saß ein Herr allein bei einem Glas Champagner und beobachtete die Darbietung. Ich ging auf ihn zu. »Sie sitzen so allein hier, mein Herr«, sagte ich. »Darf ich Ihnen eine Dame schicken, die Ihnen Gesellschaft leistet?«
»Nein, danke«, antwortete der nette Gast. »Ich