Madame Nina weiß alles. Nina Janousek
mit ihrem Mann, einem Manager aus Salzburg, eine Familie. Jetzt erinnert, abgesehen davon, dass sie noch immer schön ist, nichts mehr an die Evelyn von damals. Ihre Haare sind zwar noch immer kurz, aber jetzt wieder dunkel, sie kleidet sich gut, aber unauffällig, und sie wirkt sehr natürlich.
Für Falco endete die Sache nicht so gut, wie jeder weiß. Als mein Mann und ich 1998 aus dem Fernsehen erfuhren, dass sein Geländewagen auf der Straße zwischen den Städten Villa Montellano und Puerto Plata in der Dominikanischen Republik von einem Bus gerammt worden war und Falco noch an der Unfallstelle starb, wussten wir, dass dieser Unfall kein schrecklicher Zufall war.
Ehe Falco zum letzten Mal in die Dominkanische Republik aufbrach, besuchte er mich in der Bar, um sich zu verabschieden. »Hast du einen Fotoapparat, Nina?«, wollte er wissen.
»Warum brauchst du einen, Hans?«, fragte ich ihn überrascht.
»Ich möchte, dass es ein Bild von uns beiden gibt, und ich will, dass du es in die Auslage stellst. Alle sollen sehen, dass ich gern bei dir bin.«
Ein Mädchen machte das Foto von uns beiden. Danach fragte er nach meinem Mann, der aber an diesem Tag nicht in die Bar kam. Das machte Falco unglücklich. »Nina« sagte er, »ich wollte mich aber auch von deinem lieben Mann verabschieden.«
»Du kommst ja wieder, Hans«, hielt ich ihm entgegen.
»Wer weiß, ob wir uns in diesem Leben noch einmal sehen werden«, sagte er mit einem Lächeln, während er mich umarmte. Mit diesem Lächeln im Gesicht verließ er meine Bar. Ich sah ihn nie wieder. Das Foto, das ihn mit mir zeigte, stellte ich nach seinen Wünschen in die Auslage.
Warum ich sicher bin, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat? In seiner Welt, in der sich Illusion und Realität vermischten, hatte Falco keine Chance gehabt, je zu gewinnen, je ein normales, zumindest einigermaßen zufriedenes Leben führen zu können. Als dann noch sein Ruhm als Musiker, der sein Ego gestützt hatte, zu zerbröckeln begann, war ihm nur noch der Alkohol geblieben.
Eine Frau steigt aus einem Auto
Gestatten Sie mir dieses Bild: Ich stelle mir vor, dass Sie hinter der Theke stehen. Natürlich ohne Ihnen nahetreten zu wollen. Denn ich bin sicher, dass Sie es für sich ausschließen, hinter der Theke einer Bar wie meiner zu arbeiten. Ich vermute, dass sie es am Ende dieses Buches ein bisschen weniger oder auch ein bisschen mehr ausschließen werden. Aber es muss ja nicht unbedingt die Theke eines Nachtlokals sein. Es kann jede Theke sein. Es geht mir nur darum, dass Sie auf der Seite stehen, auf der ich so oft gestanden bin. Ich sitze Ihnen gegenüber auf der anderen Seite und erzähle Ihnen meine Lebensgeschichte, zu der auch die Geschichte meiner Bar gehört, die ich vor wenigen Wochen zugesperrt habe. Nicht, dass Sie denken, ich hätte mein Etablissement freiwillig geschlossen, um mich in den Ruhestand zurückzuziehen. Nein, ich hätte noch so gern weitergemacht. Aber es gab schreckliche Querelen mit dem Hausbesitzer, die in einem Rechtsstreit mündeten, und letztendlich musste ich leider das Handtuch werfen und zusperren.
Ich selbst mag Geschichten. Ich habe schon immer gern zugehört. Ich verstand es stets als Vertrauensbeweis, wenn mir ein Herr Episoden aus seinem Leben anvertraute, oder wenn ein Mädchen das tat. Ich verstand den Herrn dann besser, wusste, was ihn bewegte, wie er reagierte, was er sich erhoffte. Das half mir dabei, ihm das zu bieten, was er erwartete. Auch die Geschichten der Mädchen waren mir dienlich, ich konnte etwa nachvollziehen, warum sie sich in gewissen Situationen auf ganz spezielle Weise verhielten. Es half mir auch bei meinen Versuchen, ihr Leben in eine vernünftige Bahn zu lenken, was mir zugegebenermaßen nicht immer gelang. Der Erfolg meiner Bar war also zu einem guten Teil auf den Geschichten der Menschen, die dort ein und aus gingen, begründet.
Mein Selbstbewusstsein schwankt wie bei wahrscheinlich jeder Frau. Manchmal fühle ich mich wie die Königin der Nacht, als die mich so viele Herren gefeiert haben, manchmal wie eine Frau, deren Wert davon abhängt, wie hart sie arbeitet, und manchmal fühle ich mich wie ein schüchternes kleines Mädchen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich mich, seit ich über dieses Buch nachzudenken begonnen habe, frage: Würden Sie sich die Geschichte, die ich Ihnen auf meinem Barhocker sitzend und an Champagner nippend erzähle, während Sie hinter der Theke stehen, anhören wollen?
Ich denke schon, und es hätte vermutlich auch etwas mit meinem Aussehen zu tun. Würde ich zum ersten Mal Platz an der Theke nehmen, bliebe es nicht aus, dass Sie mich unauffällig von der Seite mustern, während Sie die anderen Gäste bedienen. Sie würden sich fragen: Wer ist diese Frau? Vielleicht würden Sie sich auch fragen: Wer um Gottes Willen ist denn diese Frau? Denn ich muss schon sagen, ich bin eine Erscheinung, die Ihnen ganz bestimmt auffiele. Machen Sie sich also bitte ein Bild von mir, ehe ich damit beginne, Ihnen meine Lebensgeschichte zu erzählen.
Stellen Sie sich vor, ich komme irgendwo an. Jetzt steige ich aus einer schwarzen Limousine. Meistens ist es ein schwerer Mercedes in einer etwas verlängerten Version, damit ich genug Platz für meine Beine habe. Sobald der Wagen hält, sehen Sie einen unauffälligen Herrn mit grauen Haaren aussteigen, er geht um den Wagen herum und öffnet die Tür, hinter der ich sitze.
Wenn Sie mich zum ersten Mal sehen, fällt Ihnen sicher sofort mein Strahlen auf, das ich wie teuren Schmuck im Gesicht trage. Ich strahle den Mann an, der mir die Tür öffnet. Dieses Strahlen habe ich mir bewahrt, auch über die Zeit meiner Bar hinaus. Es ist etwas Schönes. Es verändert die Menschen um mich. Es macht sie mir geneigt und großzügig. Es verändert auch mich. Wenn die Tage trüb sind, kann ich im Nu meine Stimmung verbessern, indem ich mein Strahlen aufsetze. Es hält mich glücklich. Es hält mich am Leben. Es stellt einen Wert für mich dar. Ich würde sagen, es ist so etwas wie mein Markenzeichen. Probieren Sie es einmal. Üben Sie, zu strahlen. Es ist gar nicht so schwer, und irgendwann haben nicht nur Sie dieses Strahlen, sondern es hat auch Sie. Es verändert Ihr Leben.
Wenn Sie mich beim Ankommen beobachten, werden Sie feststellen, dass ich eine Weile brauche, bis ich meine Füße auf die Straße gestellt habe. Betrachten Sie mich genauer, dann kennen Sie den Grund. Ich bin korpulent. Ich würde sogar sagen, ich bin ausgesprochen korpulent. Irgendwann einmal, so viel kann ich Ihnen schon jetzt verraten, war ich ein zierliches junges Ding. Als ich geheiratet habe, wog ich fünfzig Kilo. Jetzt mustere ich mich manchmal und frage mich, wohin dieses zierliche junge Ding verschwunden ist. Ich schaue meine Handgelenke an und denke, dass die Knochen darin noch immer so leicht und zerbrechlich sein müssen, wie sie es damals waren. Doch jetzt sind sie in Armen verborgen, die, so empfinde ich es jedenfalls, so viel wiegen, wie früher das ganze zierliche junge Ding.
Wenn ich bei meinem Arzt bin, rügt er mich oft wegen meines Gewichtes. Er hat natürlich recht, ich sollte abnehmen. Ich gebe zu, dass in der schwarzen Limousine immer öfter eine Krankenschwester mitfährt, in Zivilkleidung natürlich, damit nicht so auffällt, dass ich Betreuung brauche. Sie hilft mir in den Rollstuhl, der zusammengeklappt im Kofferraum liegt. Nicht nur mein Übergewicht drückt auf die Gelenke, ich habe seit einer Knieverletzung Probleme beim Gehen.
Das Essen ist schuld an meiner Korpulenz, ich weiß es. Ich esse gern, und ich esse viel, zu viel. »Herr Doktor«, sage ich zu meinem Arzt, wenn er mir wegen meines Gewichtes wieder einmal die Leviten liest, »früher einmal musste ich um jeden Bissen kämpfen, da ging es ums Überleben. Das habe ich verinnerlicht. Ich bewundere Menschen, die sich beherrschen können, aber ich kann es nicht.«
»Madame Nina«, antwortet er dann, »vielleicht gab es Zeiten, in denen es ihren Tod bedeutet hätte, wenn sie nicht gegessen hätten. Doch jetzt bedeutet es ihren Tod, wenn sie essen.«
Was soll ich machen, ich esse aber so gerne. Dabei war ich als Kind, als sechs- oder siebenjähriges Mädchen unterernährt, spindeldürr, ein Skelett. Aus irgendeinem absonderlichen Grund wollte ich damals nicht essen, obwohl wir wirklich reichlich hatten. Meine Eltern machten sich große Sorgen um mich, weil ich so dünn war, sie schickten mich wiederholt zur Kur in die Berge und ans Meer, damit ich dort ein bisschen zunehme.
Zu Hause saß ich dann bei Tisch, kaute mit leerem Mund und fütterte heimlich den Hund mit meinem Essen. Irgendwann waren meine Eltern wieder dermaßen beunruhigt wegen meiner Klapprigkeit, dass sie mich zum Arzt brachten. »Nina«, sagte er zu mir, »wenn du nicht essen willst, wirst du