Madame Nina weiß alles. Nina Janousek
der Bühne eine professionelle Show bieten.
In meiner Bar ging es ja auch um Unterhaltung. Es war nicht so, dass die Gäste sofort mit einem Mädchen im Séparée verschwanden. Es gab Herren, die sich davor stundenlang in der Bar amüsierten, die tanzten und sangen. Manchmal dachte ich, dass diese Männer ein recht unglückliches Leben haben mussten, wenn sie nur hier bei mir richtig Spaß haben konnten.
Nun stellte sich Falco auf die Bühne und ich nahm an, dass er nach meinen mahnenden Worten etwas Verbindliches sagen würde, vielleicht etwas Selbstkritisches, etwas in der Art, dass es ihm hier gefiel, dass er allen dankbar für das gute Service und die freundliche Behandlung war, und dass er sich bessern wolle. Doch Falco war ein Mann der Überraschungen.
Da stand er nun, alle schauten zu ihm und jeder wartete auf seine Rede. Doch es kam anders. Langsam knöpfte Falco den Hosenschlitz seiner Jeans auf. Dann holte er sein bestes Stück hervor, das, wie mir die Mädchen schon berichtet hatten, von ansehnlicher Größe war. Ja, und dann pinkelte Falco auf die Bühne.
Alle waren fassungslos. Ich auch. Doch im Gegensatz zu den anderen musste ich etwas tun. Schließlich war ich die Chefin. »Hans«, sagte ich, während er noch pinkelte, »was machst du da?«
Er schnauzte mich an. »Halt den Mund«, rief er. »Du kannst dir deine Huren in den Arsch schieben. Ich brauche euch alle nicht.«
Das war zu viel. Ich erteilte ihm Lokalverbot, was auch sonst. Eine so strikte Maßnahme war ungewöhnlich, denn ich hatte ein großes Herz und sah über Verfehlungen der Gäste eher hinweg, zumal dann, wenn sich ein Herr entschuldigte. Falco dachte aber nicht daran, um Verzeihung zu bitten. Und so blieb ich hart, auch wenn es sich bei ihm um einen international erfolgreichen Popstar handelte.
Mir war schon damals klar, dass Falco große Probleme hatte. Ich bin empathisch, ich fühle mich leicht in Menschen ein, deshalb ahnte ich, dass sich hinter seiner arroganten Maske eine verletzte Seele verbarg. Heilung suchte er nicht im Hellen und Positiven, ihn zogen das Dunkle, die Abgründe und die Exzesse an. Dazu gehörte Alkohol, der seine Schwierigkeiten noch verstärkte.
Bereits zwei Nächte später konnte sich Falco nicht mehr an seinen skandalösen Auftritt und dessen Konsequenz erinnern. Er klopfte wieder am Portal meiner Bar. Die schwere Eingangstüre, außen in dunklem Schönbrunner-Grün lackiert und innen rot tapeziert, war stets verschlossen. Erst nach einem Blick durchs Guckloch entschieden die Mädchen oder ich, ob ein Herr eingelassen wurde. Als Falco draußen stand, schickte ich ihn weg. Er gebärdete sich wie ein abgewiesener Liebhaber, raunzte und bettelte, war beleidigt und verletzt. Das war Falco in einer völlig neuen Rolle. Und zum ersten Mal war er mir sympathisch. Ich fühlte mit ihm, und ich war sicher, dass ich mit meiner schon lange gehegten Vermutung recht hatte. Er war nicht wie die anderen Gäste, die in meine Bar kamen, um Spaß zu haben, sich wohlzufühlen und sich mit den Mädchen zu vergnügen. Falco zog noch etwas anderes hierher.
Aber ich konnte ihn nicht hereinlassen. Er hatte Lokalverbot. Aus gutem Grund, er hatte auf meine Bühne gepinkelt. Es musste Grenzen geben, vor allem im Nachtleben, und die Einhaltung dieser Grenzen musste kontrolliert werden. In meiner Bar sorgte ich dafür. Hätte ich Falco seine Entgleisung durchgehen lassen, wären vielleicht andere Gäste auf die Idee gekommen, sich auch so schlecht zu benehmen. Wer weiß, welche Gespenster ich da geweckt hätte.
Ein halbes Jahr später, als Falcos empörender Bühnenauftritt einigermaßen in Vergessenheit geraten war, stand er wieder in meinem Etablissement. Ein neues Mädchen, das nichts von dem Vorfall wusste, hatte ihn eingelassen. Er war also wieder da, und das war in Ordnung. Ich hob das Lokalverbot für ihn auf, und von nun an zeigte er bessere Manieren.
Zwar schien er auf den ersten Blick immer noch sehr arrogant, doch es schwang jetzt auch ein Hauch von Demut in seinem Verhalten mit, Dankbarkeit dafür, dass er hier sein konnte, dass wir ihn in unsere Show aufnahmen, dass wir ihn liebevoll umsorgten. Vielleicht spielte auch mit, dass Falco dabei war, sich in eines meiner Mädchen zu verlieben. Sie hieß Evelyn und hatte kurze, platinblonde Haare.
Evelyn hatte eine schwierige Kindheit und Jugend. Sie lebte mit ihrer Mutter eine Zeit lang im Ausland und hatte dort viel Leid erlebt, bittere Armut und Vernachlässigung. Daran war sie fast zerbrochen, sie hatte jeden Respekt vor sich selbst verloren. Als sich Evelyn bei mir bewarb, zeigte sie keine Spur von Selbstsicherheit. Ich hatte schon immer ein gutes Händchen für derart vom Leben gebeutelte Mädchen. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst keine Kinder habe, vielleicht konnte ich bei ihnen meine Muttergefühle ausleben. Auf jeden Fall bin ich stolz, dass ich es zumeist schaffte, diesen Mädchen zu helfen, ihren Selbstwert zu stärken, damit sie wieder zu sich selbst finden konnten. Bei Evelyn war das auch so.
Sie war einer von den rohen Edelsteinen, das war mir klar, als ich sie zum ersten Mal sah. Groß, schlank und sportlich, mit wunderschönen langen schwarzen Haaren. Perfekt, müsste man eigentlich denken. Aber es gab viele schöne Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Ich musste Evelyn zu einem anderen Typ machen, dann wäre sie ein Brillant.
Damals war die Dänin Brigitte Nielsen mit ihrer platinblonden Kurzhaarfrisur der Traum vieler Männer. Nielsen, groß, durchtrainiert und immer ein wenig von der Aura der Unnahbarkeit umgeben, war Model für Giorgio Armani, Gianni Versace und Gianfranco Ferré, und der italienische Produzent Dino De Laurentis hatte sie für den Film »Red Sonja« mit Arnold Schwarzenegger unter Vertrag genommen.
Frauen, die aussahen wie Brigitte Nielsen, waren damals im Nachtleben selten. Und ich dachte mir, dass Evelyn genau dieser Typ sein könnte, dass ihr die Frisur von Brigitte Nielsen stehen würde. »Du hast so ein hübsches Gesicht und so einen schönen Körper«, sagte ich zu ihr. »Ich habe eine Idee. Lass deine Haare schneiden und platinblond färben.«
Danach sah Evelyn fantastisch aus. Sie strahlte eine große Kühle aus, während ihre Augen von Toleranz, von Geduld, Verständnis und Nachsicht sprachen. Tugenden, die sie in den Jahren ihrer Kindheit und Jugend beim stetigen Blick in die Abgründe des Lebens erworben hatte. Evelyn umgab etwas Rätselhaftes, und die Männer liebten sie.
Sie war es auch, die mir erklärte, was Falco wirklich bei mir in der Bar suchte. Er wollte sich in der Fantasiewelt, die wir alle unter meiner Regie Nacht für Nacht schufen, nicht bloß bedienen, um sich zu belohnen und sich etwas zu gönnen, er wollte ein Bestandteil von ihr sein. Kein Außenstehender, nicht bloß ein Gast, sondern ein Mitglied der Familie, er wollte die Seiten wechseln. Falco suchte nach Geborgenheit und hielt dieses inszenierte Märchen des Barbetriebes für das reale Leben, er konnte offenbar nicht zwischen Illusion und Wirklichkeit unterscheiden.
Zuerst verlor Evelyn ihr Herz an ihn. Sie kokettierte mit ihm. Wenn ich die beiden zusammen sah, ahnte ich immer, dass Liebe zwischen diesen beiden nicht ausgeschlossen war. Denn in gewisser Weise konnten sie auf Augenhöhe miteinander umgehen. Im realen Leben trennten Falco und Evelyn zwar Lichtjahre, er war ein Weltstar, sie eine Prostituierte, aber im Inneren waren sie beide verletzte Kinder, sensibel genug, um ein Leben lang darunter zu leiden, und mutig genug, um ein Leben lang gegen ihren Schmerz zu kämpfen. Falcos Verwundung kam vielleicht daher, weil sein Vater die Familie verlassen hatte. Die Ursache von Evelyns Verletzung waren vermutlich die Erfahrungen, die sie in ihrer Kindheit und Jugend machte. Aber ich weiß es nicht, und es steht mir auch nicht zu, darüber Vermutungen anzustellen. Denn obwohl manche in mir eine Psychotherapeutin sahen, hatte ich gar keine diesbezüglichen Qualitäten. Ich war eher gut darin, zu zeigen, wie man trotz seelischer Verletzungen lebt und das möglichst gut.
Wie die anderen Mädchen auch servierte Evelyn die Getränke, schenkte Champagner aus und arbeitete ab und zu hinter der Theke. Das tat sie besonders gern, wenn Falco da war. Denn Barfrauen haben im Nachtleben den Status der Unberührbarkeit und sind deshalb für die Jäger unter den Herren, zu denen Falco gehörte, besonders interessant.
Der Popstar war zu dieser Zeit bereits auf gewisse Weise ein Teil von uns. Er war zwar noch immer ein Gast, der die Show, die wir inszenierten, konsumierte, aber als besonders geschätzter Besucher zählte er gleichsam zur Familie. Meinem Mann, der mir während der gesamten dreißig Jahre, in denen ich die Bar betrieb, sowie davor und danach immer zur Seite stand und steht, und der vom Hintergrund aus viele Dinge lenkte, vertraute Falco besonders. Falcos Vater hatte, wie ich schon