Fast Food Diät. Harald Sükar
in Österreich sind besonders gut. Gerade waren wir in Bezug auf den »Return on Investment« die Nummer zwei der Welt. Nur Singapur hatte noch bessere Kennzahlen.
Am Heimweg nehme ich wie immer einen Umweg und schaue in einem unserer Restaurants vorbei. Präsenz zeigen. Stichprobenkontrolle. Abendessen mitnehmen. Wir wachsen und wir alle essen das gleiche Zeug. Lächeln.
Ich werde wie ein Baby schlafen und morgen mit dem Läuten des Weckers wie ein Cyborg hochfahren, den jemand eingeschaltet hat. Mit glänzenden Augen. I’m loving it.
10 JAHRE SPÄTER
Ich arbeite nicht mehr bei McDonald’s, esse aber noch immer Fast Food und wiege 96 Kilo. Es sind besonders zähe 96 Kilo. Sie haben sich allen meinen Diäten erfolgreich widersetzt.
Ich fing erst nach meinem Wechsel weg von McDonald’s an nachzudenken. Wir haben Generationen geprägt, aber wie? Mit welchen Folgen? Ich konnte das an mir selbst ermessen. Ich war bei McDonald’s fast schon so etwas wie ein Fast-Food-Heavy-User geworden und geblieben. Inzwischen wog ich 96 Kilo, und ich war bei weitem keine 2,30 Meter groß, die das gerechtfertigt hätten. Ein Leben am Schreibtisch, im Auto und in McDonald’s-Restaurants hinterließ seine Spuren.
Ich hatte mich als McDonald’s-Manager gewissermaßen auch selbst geprägt. Da ein Hamburger, dort einige Pommes oder Chicken McNuggets. So ging das die ganze Zeit und es endete nicht nach der Auflösung meines Dienstvertrages. Ich hatte mich beruflich von dem Unternehmen befreit, saß aber weiterhin in der McDonald’s-Falle. Mir ging es wie den Wirten, die sich irgendwann die Selbstdiagnose »Trinker« stellen müssen. I didn’t love it.
Ich wusste, dass ich etwas ändern musste. Ich wollte nicht noch mehr in die Breite gehen und beim Stiegensteigen irgendwann nach zehn Stufen außer Atem sein. Der naheliegende Ausweg lautete: Verzicht auf Fast Food. Das kann ja nicht so schwer sein, dachte ich. Gerade ich hätte es besser wissen müssen.
IN DER FALLE
Fast Food macht einfach Spaß, aber in der Version der Fast-Food-Industrie eben auch süchtig. Ein Bekannter, der nach seiner Hochzeit sein Konsumverhalten gründlich änderte, erzählte mir, dass diszipliniert essen zu lernen für ihn viel schwerer war, als mit dem Rauchen und Trinken aufzuhören. Ich kann nur sagen: Mit Fast Food wieder aufzuhören ist das Allerschwerste.
Wie hätte es auch anders sein können? Milliardenschwere Fast-Food-Konzerne stecken wahrscheinlich mehr Geld in die Erforschung des Suchtfaktors ihrer Nahrungsmittel als die NASA in die Raumfahrt und das zeigt Wirkung. Umso mehr, als sie sich dabei nicht der natürlichen Ressourcen am Nahrungsmittelsektor bedienen müssen.
Sie entwickeln ihre Nahrungsmittel vielmehr in Labors mit Forscherteams, die das gesamte Wissen über anorganische und organische Chemie, den menschlichen Körper und den menschlichen Geist anwenden, um möglichst viele Menschen nach Burgern, Pommes und Nuggets süchtig zu machen. Was kann dem ein kleines Individuum, das in ihrer Maschinerie gefangen ist, entgegensetzen? In die Erforschung von Fast-Food-Entziehungskuren fließt jedenfalls kein Geld.
PERFEKTE SUCHT-MASCHINE
Wie diese Maschinerie funktioniert, wird jedes Jahr deutlicher. Es geht um standardisiertes Essen für standardisierte Kunden. Immer gleich, immer berechenbar, schnell erreichbar, schnell zubereitet und noch schneller serviert. Sogar die Kommunikation ist standardisiert. Die Worte, die Mitarbeiter der Restaurants zu uns sagen, kommen aus Chicago.
Die Digitalisierung perfektioniert das Ganze. Wir bestellen an Terminals und warten wie die Lemminge, bis unsere Abholnummer auf einem Bildschirm aufleuchtet. So spart McDonald’s Personalkosten, aber darum geht es eigentlich gar nicht. Die Terminals können an der Art unserer Bestelleingabe unser Konsumverhalten ablesen und perfekt darauf abgestimmte Zusatzangebote zeigen.
Besonders erfreut ist Chicago, wenn wir mit unserer Kundenkarte bestellen. Damit werden wir endgültig zu gläsernen Konsumenten und McDonald’s kann uns mit weiteren Forscherteams, die das gesamte Wissen der Welt über Psychologie anwenden, nach Lust und Laune manipulieren.
Klingt wie eine Bedrohung? Das wäre ein Trugschluss. Denn Fast Food ist auch deshalb so populär, weil wir unser Gehirn bei unseren Ess-Entscheidungen nicht mehr einschalten müssen. McDonald’s erledigt alles für uns, und das besonders effizient über die Terminals, die noch dazu ein lustiges Spielzeug sind. So können wir uns auch besonders gut in der Konformität der Masse verstecken und uns unauffällig unserer Fast-Food-Sucht hingeben.
EINSTIEGSDROGE SPASSFAKTOR
Dass das alles Spaß macht, soll auch das Design der Filialen vermitteln. Schon die Farbwahl der Logos der meisten Fast-Food-Restaurants ist psychologisch ausgeklügelt. Rot und gelb ziehen Aufmerksamkeit auf sich, was kein Geheimnis ist. Aber das ist nicht alles. Besonders das warme McDonald’s-Rot stimuliert auch die Geschmacksnerven und regt den Appetit an. Gelb wiederum wirkt positiv und einladend. Diese Farbkombination ist effektiv, genau wie alle anderen Zahnräder der Maschinerie, in der nichts dem Zufall geschuldet ist.
Überall gibt es Bildschirme, auf denen Kinder mit ihren Fettfingern herumtippen können. Für die Erwachsenen gibt es meist Zeitungen und wer seine Kinder nicht mehr aushält, kann sie in einem der »Spielparadiese« parken. Einen Luftballon gibt’s für den Weg nach Hause auch noch, für Papa einen Becher Kaffee und Mama gönnt sich noch schnell eine Himbeerrote. Inzwischen finden sogar erste Dates in McDonald’s-Restaurants statt. Einfach, weil wir sie inzwischen mit Emotionen verbinden.
ESSEN MIT DEN HÄNDEN
Dazu kommt, dass Essen mit den Händen etwas Sinnliches hat. Die Lust darauf ist uns allen in die Wiege gelegt. Denn während des allergrößten Teils der Menschheitsgeschichte saßen wir als Jäger und Sammler um unsere Lagerfeuer und aßen nicht etwa mit geschnitzten Holzstöckchen, an deren Spitzen wir die Zähne von Säbelzahntigern befestigt hatten, sondern mit den Händen.
Essen zu haben war in all den tausenden Jahren viel weniger selbstverständlich als heute. Umso schöner muss es für unsere Ahnen gewesen sein, wenn sie unter dem Sternenhimmel oder in ihren Höhlen im orangen Schein der Flammen saßen und nach dem griffen, was sie tagsüber erjagt oder gefunden hatten. Essen mit den Händen liegt uns also wie eine tiefe Wahrheit im Blut.
Die Geschichte der Gabel hingegen ist kurz. Noch im 11. Jahrhundert bezeichneten sie die Italiener, nachdem sie ihnen eine griechische Prinzessin aus Byzanz gebracht hatte, als »Attribut des Teufels«. Auch Jahrhunderte später hinterfragten unsere Vorfahren noch ihre Nützlichkeit: »Warum eine Gabel, wenn auf dem Weg vom Teller zum Mund sowieso die Hälfte in den Teller zurückfällt?«, fragten sich die heute ja eher als manierlich bekannten Franzosen im 16. Jahrhundert.
Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts setzte sich die Gabel und mit ihr das Messer allmählich durch. »Gabeln sind ohne Zweifel eine spätere Erfindung als Finger«, schrieben die Verfasser eines Londoner Benimmbuches aus dem Jahre 1859, »aber da wir keine Kannibalen sind, neige ich zu der Auffassung, dass sie wirklich eine gute Idee waren!«
Waren sie das wirklich? Kulturhistorisch betrachtet bot die Gabel den Europäern jedenfalls die Möglichkeit, sich von den »Wilden« in ihren Kolonien abzugrenzen.
Wo sonst dürfen wir jetzt noch so ungeniert und in aller Öffentlichkeit unserem Ur-Instinkt folgen und mit den Fingern essen wie bei Burger King und Co.? Dort dürfen wir es nicht nur, wir sollen es sogar, und es geht immer mit einem Hauch von Leichtigkeit einher.
Egal wer wir sind, dort sind wir alle gleich und wir essen alle so, wie wir wollen. Wie wir auch als kleine Kinder gegessen haben. Wer könnte in einem Hauben-Restaurant oder in einem normalen Dorfwirtshaus ein Eis mit Smarties bestellen? Bei McDonald’s ist das ganz normal. Dort sind wir unter uns in unseren basalen Bedürfnissen. McDonald’s-Restaurants sind kleine Disneylands für jedermann, die immer gleich vor der Haustür liegen.