Original Linzer Tortur. Erich Wimmer
sagte Anita, während sie wild auf ihrer Tastatur herumhackte. »Ich weiß doch, an dir ist ein Nachrichtensprecher verloren gegangen.«
»Bloß nicht«, wehrte Korab ab, »das ist einer der gefährlichsten Berufe der Welt. Denk an das Schicksal vom alten Belcredi. Das geht mir heute noch nahe. Der hat vor Urzeiten im ORF das Wetter angesagt. Und immer wenn es nicht ganz so schön geworden ist, wie von ihm verkündet, dann haben ihm die alten Frauen im Supermarkt aufgelauert.«
Anita sah kurz und skeptisch auf von ihrer Tabulatur.
»Großes Hundianereherenwort«, beschwor Korab seine Behauptung, »das ist eine Tatsache, das hat er selber erzählt. Und wenn er mit seinem Einkaufswagen um die Ecke gebogen ist, dann haben ihm die Omas als Strafe für die falsche Vorhersage ihre Regenschirme auf den Rücken gewuchtet. Der Mann hat Striemen wie ein alter Galeerensträfling.«
»Und das hat er von seiner eigenen Leber weg erzählt?«, fragte Anita.
»Aber frisch und froh«, sagte Korab, »anlässlich eines Interviews kurz vor seiner Pensionierung.«
»Jaja, unterschätze nie die alten Frauen«, schmunzelte Anita, »und was ist mit den jungen? Was tut sich bei dir und Julia Hofer?«
»Pattstellung.«
»Hui«, frohlockte Anita, »die kenn ich ja noch gar nicht. Wie muss man sich die vorstellen?«
»Ich war mit Julia im Kino bei einem Tolkien-Revival«, überging Korab den kamasutrischen Hintergrund der Anspielung und trat ein paar Schritte vom Schreibtisch zurück, wo Anita thronte wie Leutnant Uhura im Raumschiff Enterprise.
»… wir sitzen also in der Mitte, so zehnte Reihe von zwanzig und um uns gut und gerne zweihundert Leute. Und auf der Leinwand werden Orks abgeschlachtet, so ratzfatz, weil die ja aussehen wie Atommutanten und deshalb überhaupt kein Mitleid verdienen, aber irgendwann zwischendurch kommt auch einer von den Guten dran … also ein Zwergenkönig, ein Guter aus dem zweiten Glied sozusagen … und alle anderen Zwerge scharen sich um den Sterbenden und knien nieder, und nach und nach knien auch die großen Hauptdarsteller nieder, und wie dann irgendwann alle knien und erhaben blicken, also da wird es mir zu bunt und ich rutsche aus dem Sitz und knie mitten im Kino auch nieder, so ungefähr …«
Vor Anitas interessierten Augen sank Korab inmitten des menschenleeren Museumsfoyers auf den Teppich, ließ den linken Arm sinken, legte den rechten auf die Brust und begann mit ein paar ausladenden, weihevoll grüßenden Gesten.
»Und wie ich da so knie und dem sterbenden Königszwerg meine Referenz erweise, drehen sich ungefähr hundert Kinobesucherhälse in meine Richtung, vor allem die, die hinter uns sitzen. Und alle schauen mich mit großen Augen und irgendwie ratlos an, weil ihnen die Aktion nicht geheuer ist. Aber egal. Was dann kommt, ist noch viel trauriger. Statt mit mir zu knien oder wenigstens zu schmunzeln, bleibt Julia mental irgendwie bei den anderen … sie sinkt immer tiefer in ihren Sitz, so nach dem Motto: Ich kenne den Typen eigentlich nicht wirklich, ich sitz’ nur zufällig in seiner Nähe …«
In diesem Moment sah Korab die drei Schatten. Als er schärfer stellte, erkannte er Ughde, unseren geliebten Herrn Direktor Ebner, den Chef des LinzMuseums, der plötzlich in einer Nische stand und zusammen mit zwei anderen, sehr ernst gekleideten und noch ernster blickenden Männern zu ihm herübersah. Ughde fragte nicht: »Was tun Sie hier?!« Dann hätte Korab sich erklären und von einer theatralischen Demonstration für Frau Ligula sprechen können. Diese Chance ergab sich aber nicht. Ughde stand stumm wie ein mittelalterliches Katapult und schleuderte mindestens zwei von seinen berühmten vielsagenden Blicken, die wie zehn Tonnen schwere Geschoße durch die Luft sausen und den Selbstwert des Betreffenden zu Fall bringen, sodass dieser die atomare Struktur ändert und zu Staub zerbröselt. Schließlich setzte sich Ughde kommentarlos in Bewegung. Die beiden Totengräber folgten ihm ebenso wortleer, und das frostige Grüppchen verschwand im Aufzug.
»Scheibe«, jammerte Korab, »jetzt bin ich mit der Aktion zum zweiten Mal eingefahren.«
Anstatt sich aufzurappeln, gab er sich nun ganz der Schwerkraft hin. Er sank auf den Foyerteppich, der trotz neulich erfolgter Reinigung die unauslöschlichen Spuren von Menschengrüppchen trug, die bei Regen und Matsch ins LiMu marschiert waren, nicht um sich eine Ausstellung anzusehen, sondern um hier vor dem Wetter Zuflucht zu finden.
»Vielleicht solltest du diese Nummer noch ein wenig überarbeiten«, schlug Anita vor.
»Heraklit hat gesagt, du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen«, sinnierte Korab und starrte dabei auf die Foyerdecke, die sich wie ein trost- und sternenloses Himmelsgewölbe über ihm aufspannte, »aber es gibt Menschen, die können zweimal in denselben Fettnapf steigen. Und wenn du erkennst, dass du zu diesen Menschen gehörst, dann ist das ein denkwürdiger Moment … wer waren übrigens die Spaßvögel an Ughdes Seite?«
»Rechnungsprüfer«, sagte Anita.
»Und welche Rechnungen prüfen die?«
»Meine«, antwortete Anita, »mein Ex-Mann Günther hat mich angezeigt und behauptet, ich unterschlage Eintrittsgelder.«
»Wie bitte? Er hat was getan?«, rief Korab. »Aber der Ughde kann dem Günther so etwas doch nicht geglaubt haben? Sogar der Ughde muss nach zwei Sätzen erkennen, dass der Günther ein besonders durchgeknallter, dummdreister und fieser Stalker ist.«
»Darum geht’s nicht, Pius. Der Ughde muss jedem Hinweis nachgehen … irgendwie funktioniert das Anpatzen anderer immer … Du hast doch bestimmt auch die Nacktfotos von mir bekommen, oder?«
Korab wandte seinen Blick von Anita ab und zögerte. Schließlich hatte er eine Antwort gefunden. »Ja, schon … aber ich hab sie sofort verbrannt.«
»Siehst du, es nützt nichts. Er wird mir wieder und wieder und wieder schaden, solange bis ich nicht mehr kann …«, sagte Anita und fing an zu weinen. Dieses große starke Muttertier, das eine ganze Herde sicher und behütet auf die steilste Alm führen konnte, sank plötzlich in sich zusammen.
Korab sprang sofort hinter das Kassenpult, umarmte seine Assistentin und sagte dabei: »Nein, das wird er nicht mehr. Ich kümmere mich darum, glaub mir.«
»Das ist aussichtslos, Pius«, schniefte Anita. Sie löste sich aus seiner Umarmung, rollte an eine Schublade heran, öffnete sie, zog ein Taschentuch heraus und schnäuzte sich.
»Hast du ein Foto von ihm?«, fragte Korab.
»Von wem?«
»Von Günther.«
»Sicher …«
»Kann ich es haben?«
»Ja … aber, warum?«
»Ich habe gerade einen Mediator kennengelernt«, sagte Korab. »Der ist wirklich gut und kann vielleicht vermitteln.«
»Und was würde das kosten?«, erkundigte sich Anita.
»Gar nichts«, sagte Korab, »weil ich noch was gut habe bei ihm.«
Mit diesem Satz waren Korab zwei Dinge klar geworden. Erstens: Er hatte keine Wahl mehr. Er musste den Schiele des Kraken unter diesen neuen Umständen auf jeden Fall im Museum deponieren, auch wenn, was wenig wahrscheinlich war, sein Freund und Archivar Hinrich Mayr alias Hinrichtung Nein sagen sollte. Und zweitens: Er musste – ebenfalls unter allen Umständen – vermeiden, dass Anita von der Anwesenheit des Bildes erfuhr. Sie steckte schon in mehr als genug Nervenklemmen, die ihr unermüdlich Lebensenergie absaugten. Jede zusätzliche Belastung war unbedingt zu vermeiden.
Zum Glück stellte Anita keine weiteren Fragen, tippte etwas herum und druckte schließlich ein Porträtfoto von Günther aus. Als er das Blatt in Empfang nahm und sich den Porträtierten ansah, musste sich Korab erneut zurückhalten. Der Typ sah aus wie eine Mischung aus Dschingis Khan, Frankensteins Monster und einem Bombenkrater. Dabei war das noch eine gute Aufnahme Günthers, in einem Stadium, wo er noch halbwegs bei Sinnen war. Korab fragte sich einmal mehr, was an diesem Typen so anziehend gewesen war, dass eine derart feinfühlige, witzige und herbfrische Frau wie Anita etwas an ihm finden konnte. Einfach unfassbar.