Original Linzer Tortur. Erich Wimmer

Original Linzer Tortur - Erich Wimmer


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willst du Günthers Adresse auf deinem Arsch?«

      »Uff«, atmete Korab auf. »Anita Ligula Major zurück im Ring.«

      Die Angesprochene lächelte wieder ein wenig, verschmitzt sowie verschmutzt durch einen langsam verblassenden Tränenschleier. Korab hätte seine große Wahlschwester am liebsten ein zweites Mal umarmt, enthielt sich aber, weil die meisten Leute bei zweiten Umarmungen dazu neigten, sie falsch auszulegen.

      Hinrichtung, der eigentlich Hinrich Mayr hieß und seinen martialischen Spitznamen einem besonders pfiffigen Museums-Praktikanten verdankte, kaute an einem winzigen Kaugummiklümpchen und erschien Korab vom Coolheitsgrad auf einer Höhe mit Lucky Luke. Beide konnten schneller ziehen als ihr Schatten. Lucky Luke seinen Colt und Hinrichtung seine selbstgewuzelten Zigaretten, die mit dem Begriff Lungenkiller noch unterbestimmt waren.

      »Wann bringst du es denn?«, fragte Hinrichtung lapidar, nachdem Korab seine Grundsituation bild- und gestenreich dargestellt hatte. Es ging um die Kritik der reinen Möglichkeit, sozusagen neokantianisch, hier das Depot, da das Bild einer noch lose befreundeten Künstlerin. Sehr persönliche Sache sozusagen, geschenkmäßig irgendwie. Im Wohnwagen klarerweise noch kein Platz zum Aufhängen. Daher LiMu, Depot und dessen Meister als letzte Rettung. Aber Kürzestdauer. Quasi lidschlagmäßig. Platzbeschaffung voll angelaufen. Hängungsprobleme theoretisch gelöst. Praktisch eine Sache einiger weniger Halbtage.

      »Wann immer du da bist«, antwortete Korab unscharf und devot angesichts der ihn plagenden Furcht, sein Gegenüber könnte vielleicht zum gegebenen Zeitpunkt doch schwach werden und rein interessehalber den Deckel der Klimakiste öffnen und das ganze Ausmaß der Bescherung erkennen.

      »Passt«, sagte Hinrichtung, »noch einmal von vorne. Das Bild und du, Pius. Wann kommt ihr zwei Hübschen zu mir?«

      »Gleich morgen in der Früh, wenn’s dir passt?«

      »Mir passt’s immer.«

      »Gut. Dann kommen wir morgen.«

      »… bin da.«

      »Acht Uhr?«

      »Okay.«

      »Könnte auch eine Minute später sein. Oder sogar früher.«

      »Macht nichts.«

      »Super. Danke.«

      Drei Minuten und siebenunddreißig Sekunden später saß Korab im abhörsichersten Vernehmungszimmer des LiMu, im Männer-WC des ersten Stocks. Auf dem geschlossenen Klodeckel wippend hatte er dem Kraken im Stenostil mitgeteilt, dass für das Bild Platz war im Museumsdepot, und ihn noch im selben Atemzug um seine Fähigkeiten als Mediator gebeten.

      »Kein Problem«, sagte der Krake, »gib mir das Foto und die Adresse und ich schau mal, was sich machen lässt.«

      »Danke«, sagte Korab, »vielen Dank.«

      »Das verkürzt die Zeit in der Warteschleife«, überging der Krake Korabs Danksagung.

      Korab fragte nicht nach, worauf der Krake wartete. Es lag auf der Hand, dass es um ein gewaltiges Lösegeld ging, das der Krake und seine Truppe vom Lentos-Museum für die Rückgabe des Schieles fordern würden. Ein fett glänzender Ledersack voller Golddukaten geisterte durch Korabs Innenwelt. Bis der eintrifft, kam noch ein Begleitton aus dem Off, wachen Hinrichtung, Anita und ich über das Wohlergehen des Bildes. Wir bringen das ganze Museum in Gefahr. Wir sind jetzt eine verdammte Hehlerhöhle, spezialisiert auf die Einverleibung von Kunstwerken, die aus benachbarten Museen gestohlen wurden. Was würde Ughde sagen, wenn er in der Zeitung die Schlagzeile las: Direktor des LinzMuseums versteckt gestohlenen Schiele im Depot? Korab sah sich mit Anita und Hinrichtung aus dem Museum gehen. Geduckt und schlurfend mit Fuß- und Handfesseln und Sträflingsgewändern, während vier bodygebildete Wärter Ughde trugen, der sich in einer Zwangsjacke wand, Korabs Namen wie einen Fluch plärrte und dabei Spucke spie und rasend mit den Augen rollte. Der Krake war ein Teufel, und er, Korab, hatte einen Pakt mit ihm geschlossen. Paktpunkt eins war der schlimmste: dass die Arbeitsplätze seiner Freunde wackelten wie die Zahnstümpfe im Maul einer Mumie, der ein durchgeknallter Archäologe mit dem Eisenhammer hemmungslos auf den Hinterkopf schlug.

      Wenn er seinen freien Dienstvertrag im LiMu verlor, dachte Korab, dann ging nur eine seiner Welten unter. Aber für Hinrichtung und Anita war das LiMu der Hauptarbeitgeber. Und dem, personifiziert durch Ughde, legten der Krake und er ein Drachenei in den Bauch, das, wenn es von unbefugten Augen ausgebrütet wurde, die Bude in die Luft sprengen würde. Wenn das alles gut geht, schwor sich Korab, dann spendiere ich Mooser zwei Packungen Eiswafferl.

      »Wie geht’s dir, Hasenfuß?«, fragte eine weibliche Stimme, die so weiblich war wie die Innenseite einer reifen Papaya. Korab kam wieder zu sich und bemerkte, dass er das iPhone noch immer an sein Ohr hielt. Er war ein alter Fernseher mit nur zwei Programmen. Jemand hatte den Kraken ausgeschaltet und den anderen Sender zugeschaltet. Auf dem lief Mollys Lolly, eine Art Dschungeldokumentation mit märchenhaften Elementen. Die Hauptrolle spielte eine junge Frau, die zu schön war, um wahr zu sein, und deshalb virtuell blieb.

      »Stressig«, sagte Korab endlich.

      »Das kommt vom vielen Flüchten und Laufen«, erklärte Molly sanft und ruhig.

      »… und zu viel Kamillenteesaufen«, hörte Korab Isonzo aus dem Hintergrund. Offensichtlich saßen sein Freund, Molly, der Krake und Seinfreund noch immer in der Jurte.

      »Deine Schwester ist sehr besorgt um dich und lässt schon wieder nachfragen«, fuhr Molly milde fort, »wann du zum Essen kommst.«

      Als seine Schwester hatte Isonzo noch niemand bezeichnet. Blutsbruder wäre richtig gewesen. Wahrscheinlich waren in Mollys Kosmos alle Wesen weiblich.

      »Morgen«, antwortete Korab ausweichend, »allerfrühestens im Lauf des Tages irgendwann. Heute geht leider nicht mehr. Ich muss Anita helfen. Wir haben einen neuen, sehr komplexen Fall und müssen jetzt recherchieren. So wie du bei den Papuas.«

      »Was weißt du von mir und den Papuas?«, erkundigte sich Doktor Müller belustigt, ohne dass sich die Frequenz ihres Herzschlags auch nur um ein Millimolly erhöht hätte.

      »Nichts Genaueres«, gab Korab zu, »aber Isonzo hat da was angedeutet.«

      »Was denn?«

      Dass der Ozean dein Fruchtwasser ist, dachte Korab und sagte: »Allgemeines … dass du dort deine Dissertation geschrieben hast. Aber nichts Konkretes.«

      »Würdest du denn gerne was Näheres erfahren?«

      »Na ja … schon … wenn das ginge.«

      »Das ginge echt easy«, bestätigte Molly, »aber nicht am Hallofon.«

      »Wir sehen uns ja hoffentlich wieder einmal.«

      »Sehr hoffentlich sogar«, zog Molly die Schraube an, »da freu ich mich drauf.«

      Nachdem er aufgelegt hatte, war sich Korab nicht sicher, ob diese Freude auch seinerseits war. Ganz bestimmt wusste er nur, dass die Geilheit mit ihm war. Aber der Preis, um diese auszuleben, erschien ihm relativ hoch. Molly war ein Eingeborenentempel. Als Gegengabe für die Himmelfahrt würde sie sein Herz aus der Brusthöhle reißen und es irgendeinem Xeptocotltschebotl in den Rachen werfen. Molly Müller war kein Fels in der Brandung, sie war die Erde selbst, auf der Felsen und Brandungen aufeinanderschlugen. Molly war der Acker und er ein Distelsamen, kurz davor hinunterzufallen in die Furche. Wilde Bilder frästen tiefe Schnitte in sein Hirnholz. Steh auf und geh hinunter zu Anita, sagte er sich, und fang an zu recherchieren.

      6

      Unter den gegebenen Umständen war Dorothea Porofsky mit den bisherigen Ergebnissen zufrieden. Sie hatte Timo, ihren unsäglichen Enkel, diesen Kretin, schon halbwegs vom Ernst der Lage überzeugt. Und was noch wesentlich wichtiger war: Sie hatte die Spur der irren Wagner wieder aufgenommen. Genau an dem Ort, wo sie es erwartet hatte: in der Kursana-Residenz. Dort saß die einzige noch lebende Mitverschwörerin von damals, Klara Artner, ihren Lebensrest ab. Wie gut, dass Porofsky sie im Auge behalten hatte.

      Die


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