Der Herzenfresser. Josef Scherz
weiß auch nicht, woher das kommt.«
Joseph streckte ihm die Hand entgegen: »Gut! Dann bin ich für dich der Sepp. Und wie heißt du?«
»Johann! Johann Altmanner. Bei uns sagt man dazu einfach …«
»… Hans. Ich weiß. Das sagt man hier auch«, warf Joseph ein, »die Sache bleibt aber unter uns. Meine Mutter sieht es nämlich gar nicht gern, wenn ich mich allzu nah beim Volk herumtreibe. Ich glaube, sie hat einfach nur Angst, dass mir etwas zustoßen könnte, weil ich ein gutes Faustpfand abgeben würde. Aber was soll’s, jetzt bin ich nun mal da.«
Altmanner war angetan von dem jungen Mann und seiner Art zu reden.
»Hans, wie bist du zu uns nach Wien gekommen?«
»Interessiert dich das wirklich?«
»Ja, sehr sogar!«
Altmanner fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Sollte er wirklich von seiner Vertreibung erzählen? Wie würde es der junge Thronfolger wohl aufnehmen? Er musste an die Worte von Ludowitz denken, wonach er niemanden bräuchte, der mit dem Mundwerk arbeitet und unbedachte Äußerungen macht.
»Erzähle! Ich hör dir zu«, sagte Joseph ermunternd, doch Altmanner hegte weiterhin Zweifel, was Joseph zu bemerken schien.
»Mache dir keine Sorgen, Hans, es bleibt unter uns.«
»Unter uns dreien«, korrigierte Altmanner.
»Wer noch?«
»Ludowitz!«
Joseph lachte auf.
»Bestens! Ludowitz und ich sind Freunde. Und alle Freunde von Ludowitz sind auch meine Freunde.«
Altmanner war erleichtert, doch blieb er vorsichtig. Konnte er Joseph wirklich trauen? Nur weil er Thronfolger war, bedeutete das lange nicht, dass sein Wort auch galt.
»Lieber Hans, jetzt hast du mich neugierig gemacht, und du wirst mich nicht eher los, bevor du mir deine Geschichte erzählt hast.«
Altmanner musste einsehen, dass ihm keine Wahl blieb. Sie setzten sich in eine schummrige Ecke, und er begann zu erzählen. Joseph hörte aufmerksam zu und schüttelte zwischendurch immer wieder den Kopf.
»Vielen Dank für deine offenen Worte. Wirklich unglaublich«, sagte Joseph am Ende, »ich werde alles für mich behalten. Behalte aber auch für dich, was ich dir zu sagen habe.«
Altmanner hob eine Hand zum feierlichen Schwur und war gespannt, was ihm ein junger Thronfolger wohl so Geheimes zu berichten hatte.
»Der kaiserliche Hof ist eine Schlangengrube. Viele Menschen hier sagen nicht das, was sie denken. Ich bin aber daran interessiert, Leute wie dich und Ludowitz als Freunde zu haben. Leute, die mit mir offen reden, die mir sagen, was das Volk denkt, was das Volk wirklich will!«
Altmanner musterte aufmerksam das Gesicht des Thronfolgers, und ihm wurde klar, dass er einen ungewöhnlichen Menschen vor sich hatte, der sich nach selbstbestimmter, wahrer Freundschaft sehnte.
Ein Knarren der Stalltür ließ die beiden aufhorchen. Jemand trat ein und lief umher.
Es blieb ihnen keine Zeit, sich zu verkriechen, weshalb sie regungslos in ihrer Ecke verharrten. Die Schritte kamen immer näher. Dann ein Schatten.
»Oh, ich hoffe doch, ich störe die beiden Herren nicht?«
Ludowitz wirkte erstaunt, dass er ausgerechnet auf Altmanner mit dem Thronfolger traf.
»Naja, ein wenig schon. Wir waren gerade mitten in einer spannenden Geschichte«, antwortete Joseph mit einem Augenzwinkern.
»Spannende Geschichte?«, wiederholte Ludowitz und warf Altmanner verstohlen einen Blick zu.
»Ja, spannende Geschichte«, betonte Joseph abermals. »Warum hast du mir Hans und sein unglaubliches Schicksal vorenthalten? Ich hätte schon erwartet, dass wir unter Freunden offen miteinander reden!«
Ludowitz rieb sich verlegen die Nase.
»Naja, ich dachte …«
»Ist schon recht!«, sagte Joseph, »aber so gut müsstest du mich schon kennen, dass du mir vertrauen kannst.«
Ludowitz schien es peinlich zu sein.
»Verstehe mich bitte nicht falsch, aber ich war mir nicht sicher, wie der Hof auf einen Vertriebenen reagiert. So etwas könnte Unruhe stiften oder gar einen Skandal auslösen.«
Joseph nickte.
»Das stimmt allerdings. Aber von mir wird niemand etwas erfahren.«
Doch Ludowitz’ Sorgenfalten verschwanden nicht von seiner Stirn, und Altmanner verstand warum. Die Geschichte könnte auf unglaublichen Wegen, vielleicht auch nur durch einen dummen Zufall, an die falsche Adresse gelangen. Endlich hätte es dann einen Grund gegeben, Ludowitz in Frage zu stellen und seine begehrte Position durch irgendeinen Günstling neu zu besetzen. Joseph war noch zu jung, um das verhindern zu können.
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