Der Herzenfresser. Josef Scherz
Handbewegung an das genussvolle Kneten der Brüste.
Pfarrer Johannes ergriff einen Becher, füllte ihn mit Wein und trank ihn in einem Zug aus. Er rülpste herzhaft und schenkte sich noch ein paar Mal nach.
»Wenn alles vorbei ist, lieber Reininger, darfst auch einen Schluck von meinem Messwein trinken. Aber erst danach, denn sonst wirst du mir noch übermütig.«
Jetzt wurde ihm der Becher lästig. Er stellte ihn zur Seite und trank direkt aus der Flasche.
»Heute bin ich ganz trocken im Mund.«
Schon drang der wuchtige Klang der Orgel in die Sakristei.
»So, Reininger, es ist soweit! Du musst jetzt hineingehen«, befahl Pfarrer Johannes, »und denke daran, was ich dir gesagt habe.«
Dem Bräutigam wurde unerträglich heiß, und er begann zu schwitzen. Bald roch er trotz des vielen Rosenwassers seinen eigenen Schweiß und schämte sich erstmals in seinem Leben dafür. Unsicheren Schrittes schlurfte er vor den Altar. Schneidende, dicke Luft. Gelegentliches Husten und Räuspern. Er vermied es, sich zum Kirchenschiff umzudrehen. Er spürte jedoch die vielen bohrenden Blicke im Nacken. Er, der einsam auf einer abgelegenen Alm lebte und bislang von niemandem beachtet worden war, stand plötzlich im Mittelpunkt des Dorfs. Doch er hatte sich nichts vorzuwerfen. Schließlich war es ja kein Geringerer als der Herr Pfarrer höchstpersönlich, der ihn zu dieser Eheschließung angehalten hatte, und damit war ihm der Segen Gottes gewiss.
Pfarrer Johannes folgte betend aus der Sakristei, kniete feierlich vor dem Altar nieder und bekreuzigte sich. Dann wandte er sich um, baute sich mächtig vor Reininger auf und lächelte verzückt.
Ein schwacher Luftzug verriet, dass das Kirchentor geöffnet und die Braut vom Messdiener unter der dröhnenden Orgelmusik hereingeführt wurde. Neugierig wagte Reininger jetzt einen Blick nach hinten, doch Marias schönes Gesicht zeigte keine Regung. In einem bäuerlichen Festtagsgewand schritt sie würdevoll auf ihn zu, mied dabei jeglichen Augenkontakt, schaute nur starr geradeaus. Als sie vor dem Altar angekommen war, ließ der Messdiener ihre Hand los und trat zur Seite. Die Orgel verstummte. Kein Räuspern mehr. Kein Schnäuzen. Kein Husten. Es war absolut still.
Nun streckte Pfarrer Johannes beide Hände nach oben und verkündete mit lauter Stimme und ernstem Gesichtsausdruck: »Der Herr sei mit euch!«
»Und mit deinem Geiste!«, kam es wie aus einem Munde zurück.
†††
Der Graf zu Mürze saß mit seiner Familie beim Mittagessen, als ein Diener eintrat und ihm diskret etwas ins Ohr flüsterte. Es fiel nicht weiter auf, weil die Kinder für hinreichend Lärm und Aufmerksamkeit sorgten und des Grafen Gemahlin Agnes ihr Augenmerk den Kindern schenkte. Außerdem war es nicht ungewöhnlich, dass ihr Gatte beim Essen gestört wurde und in der Folge irgendwelche Pflichten zu erfüllen hatte. Agnes hatte es längst aufgegeben, dagegen zu protestieren. Er hatte ihr bei einem früheren Anlass klarmachen können, dass es eben zu den Aufgaben ihres Standes gehörte, dem Volk Halt und Ordnung zu geben. Und das erforderte manchmal eben Opfer.
Der Diener war kaum gegangen, als sich der Graf mit gespielter Gelassenheit vom Tisch erhob und sich den Mund abtupfte. »Wenn ihr mich bitte entschuldigt. Ich habe mit Lafer etwas zu besprechen.«
Darauf eilte er von dannen. Er lief durch die hohen Flure seines Schlosses ins Freie und überquerte im Laufschritt den weitläufigen Hof. Gleich dahinter gelangte er zum Gutshof, wo ihn Lafer bereits ungeduldig erwartete.
»Ich bitte um Verzeihung, Herr Graf, aber mir ist eine Nachricht von höchstem Interesse zugetragen worden.«
»Worum geht es?«, fragte der Graf.
»Maria hat gestern einen gewissen Rudolf Reininger geheiratet«, antwortete Lafer.
Den Grafen durchfuhr ein kalter Schauer.
»Geheiratet? Rudolf Reininger? Wer soll das sein?«
»Er ist Hirte auf der Turnauer Alm. Unbedeutend. Soll ein ziemlicher Eigenbrötler sein. Niemand im Dorf kann sich so recht vorstellen, wie und wann die beiden ein Paar geworden sind. Nur Pfarrer Johannes tut so, als wäre alles den üblichen Weg gegangen.«
Der Graf seufzte. Er liebte Maria wirklich – noch immer. Manchmal quälte ihn die Sehnsucht nach ihr. Seit der Trennung hatte es Tage gegeben, da wäre er am liebsten unter irgendeinem Vorwand nach Turnau geritten, um sie zu sehen. Und nun konnte und wollte er nicht glauben, dass sie ihn schon vergessen hatte. Die Trennung war zwar auf sein Betreiben hin erfolgt, dennoch fühlte er sich nun in seinem Stolz verletzt.
»Ein eigenbrötlerischer Hirte«, murmelte er vor sich hin und versuchte, sich das bildlich vorzustellen.
»Was hat das alles zu bedeuten? Wir müssen nach Turnau. Ich muss zu ihr! Ich muss wissen, ob sie diesen Hirten wirklich liebt. Ich will wissen, was da dahintersteckt.«
Lafer schüttelte verneinend den Kopf.
»Herr Graf, ich weiß, was Sie empfinden, doch was erwarten Sie sich von einem Treffen? Sie hat geheiratet. Dieser Bund der Ehe wurde vor Gott geschlossen. Sie ist nun die Frau eines anderen Mannes, bis dass der Tod sie scheidet! Ob sie den Hirten liebt oder nicht, ist ohne Bedeutung. Sie haben mit ihr keinen gemeinsamen Weg. Sie haben diesen gemeinsamen Weg nie gehabt. Vergessen Sie diese Frau!«
»Wenn das nur so einfach wäre, mein Lieber«, erwiderte er und kehrte grübelnd zu seiner Familie zurück.
†††
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr erschreckt«, sagte der schmächtige Mann in schwarzen Reitstiefeln, weißer Reithose und grauem Rock. Seine braunen Haare hatte er hinter dem Kopf zu einem modischen Schwanz zusammengebunden. Altmanner musste kräftig durchatmen.
»Oh doch! Ich hab dich gar nicht kommen gehört. Ich war so sehr in meine Arbeit vertieft.«
Der Besucher verbeugte sich höflich: »Dann bitte ich vielmals um Verzeihung!«
»Schon gut. Kann ich dir irgendwie helfen?«
Der junge Mann überlegte. »Helfen? Nein! Aber vielen Dank für das Angebot. Ich wollte nur ein wenig allein sein.«
»Die kaiserlichen Hofställe sind aber dafür kein guter Ort, noch dazu jetzt am Abend. Es ist nämlich strengstens untersagt, hier ohne Begleitung herumzuschleichen.«
Der junge Mann schmunzelte und sagte: »Dann begleiten Sie mich doch beim Herumschleichen.«
Altmanner gefiel diese Schlagfertigkeit.
»Zuerst musst du mir aber sagen, wer du bist und woher du kommst.«
»Mein Name ist Joseph und ich komme von dort drüben«, sagte er und zeigte dabei auf Schloss Schönbrunn.
Altmanner wurde verlegen.
»Joseph? Der Joseph?«
»Ja genau, der Joseph!«, entgegnete der junge Mann und lachte spitzbübisch.
Altmanner war darauf überhaupt nicht vorbereitet und merkte, wie er feuchte Hände bekam. Er wusste nicht recht, wie er sich nun verhalten sollte und entschied sich schließlich für einen ziemlich uneleganten Hofknicks, bei dem er fast gestolpert wäre.
»Wie muss ich jetzt zu dir … äh … zu Ihnen sagen? Von dort, wo ich herkomme, haben wir keine Erfahrung im Umgang mit kaiserlichen Hoheiten. Die lassen sich dort nämlich nicht blicken.«
Joseph schien amüsiert und fragte: »Woher kommen Sie denn?«
»Aus der Steiermark.«
»Die Steiermark ist groß.«
»Turnau heißt das Dorf am Fuß des Hochschwab-Gebirges.«
Joseph kratzte sich an der Stirn.
»Ich glaube, ich habe davon schon mal gehört. Schließlich und endlich werde ich von meinem strengen Hauslehrer jeden Tag in Heimatkunde unterrichtet – oder vielmehr gequält. Er pflegt immer zu sagen: ›Wer einmal ein Land regieren will, soll es zumindest