Der Herzenfresser. Josef Scherz

Der Herzenfresser - Josef Scherz


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fünfundzwanzig. Aber ich hatte den Hof schon vor Jahren von meinen Eltern geerbt. Zu früh. Sie verbrannten hilflos, als während eines Unwetters der Blitz eingeschlagen war. Ich konnte mich gerade noch retten. Viele Leute vom Dorf sind zum Löschen herbeigeeilt, doch alles half nichts. Wir fanden unter den Trümmern nur mehr die verkohlten Leichen. Sie hatten sich im Todeskampf aneinandergeklammert. Mögen sie in Frieden ruhen.«

      »Es muss sehr schlimm für Sie gewesen sein«, sagte Ludowitz mitfühlend.

      Dieses unerträgliche Gefühl der Trauer von damals kam hoch, das Altmanner unendlich gequält und beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte.

      »Ich stand vor dem Nichts, doch die benachbarten Bauersleute haben mir Gott sei Dank geholfen, alles nach und nach wieder aufzubauen. Ich habe dann meine Frau Rosa kennengelernt und schon bald danach geheiratet. Seitdem haben wir gemeinsam den Hof geführt.«

      Er warf Rosa einen liebevollen Blick zu.

      Ludowitz nickte beeindruckt.

      »Und die viele Arbeit? Nur ihr beide alleine?«

      »Ja, zunächst, aber irgendwann stand eine verzweifelte junge Frau vor der Tür und suchte Obhut als Magd. Die hat uns Gott geschickt, meinte Rosa, und wir nahmen Maria bei uns auf.«

      Altmanner schob sich ein Stück Kuchen in den Mund und schluckte hastig hinunter.

      »Ein paar Jahre später lernten Rosa und ich den zugereisten Andreas Bräuer kennen. Er hat sich als Lehrer vorgestellt, der erste in unserem Dorf überhaupt!«

      Ludowitz lächelte: »Jetzt wird es spannend. Freigeist Bräuer trifft auf gottesfürchtige Bauersleut! War es sehr schlimm mit ihm?«

      »Er hatte keinen Respekt vor der Kirche und zweifelte sogar an Gott. Nur die Natur selbst sei die wahre Allmacht, erzählte er überall. Wir dachten zuerst, der Leibhaftige sei in ihn gefahren. Er tauchte dann sogar bei uns am Hof auf und redete auf uns ein. Wir haben ihn erst weggeschickt, doch er kam wieder und bot uns an, uns das Lesen und Schreiben beizubringen. Und damit er endlich Ruhe gab, haben wir zugestimmt, aber nur um die Bibel lesen zu können.«

      »Und was war mit dieser Maria?«

      »Sie wollte mit alldem nichts zu tun haben. Sie war der Meinung, es reicht, wenn unser Hochwürden, Pfarrer Johannes, lesen kann. Wir vom Volk sind dazu geboren, Gott und dem Adel zu dienen, meinte sie.«

      Ludowitz räusperte sich lautstark. Altmanner wusste diese Geste gleich richtig zu deuten. »So war Maria eben. Aber am Ende hat sie es dieser Einstellung verdankt, dass sie nicht vertrieben worden ist, so wie wir!«

      »Wie ist es dazu gekommen?«

      »Rosa und ich haben immer öfter mit Bräuer beisammengesessen und über Gott und die Welt geredet, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben immer mehr unsere kirchlichen Pflichten vernachlässigt, immer seltener den Gottesdienst besucht. Bräuer hat uns mit seinen Gedanken verführt.«

      »Was der Pfarrer im Dorf natürlich nicht goutierte!«, warf Ludowitz ein.

      »Richtig! Er hatte Angst, auch andere im Ort könnten von diesem gottlosen Verhalten angesteckt werden. Und eines Tages hat er mich zu sich ins Pfarrhaus gerufen.«

      Ludowitz zog die Augenbrauen hoch: »Was wollte er?«

      Altmanner nickte, als ihm Tee nachgeschenkt wurde, nahm die feine Porzellantasse nun beherzter in die Hand und trank den Tee in einem Zug aus. »Er warf mir vor, dass er mich und meine Frau schon lange nicht mehr in der Kirche gesehen hätte, nur unsere Magd Maria. Angeblich machte er sich Sorgen, ob wir vielleicht krank wären?«

      Ludowitz rieb sich die Hände: »Was haben Sie ihm geantwortet?«

      »Ich verneinte und verwies auf die viele Arbeit. Er meinte, auch andere hätten viel Arbeit, vergessen dabei aber nicht ihre frommen Pflichten. Wie sonst sollten wir das Wort Gottes aus der Bibel vernehmen? Ich sagte dann, wir bräuchten es nicht zu vernehmen, wir könnten es auch selber lesen! Da war er ziemlich verblüfft und schrie mich an, selber lesen würde nicht den Gottesdienst ersetzen. Wir würden doch hoffentlich keine von diesen Lutherischen geworden sein?! Oder Naturgläubige?! Egal was, allesamt ganz üble Ketzer!«

      Ludowitz schien nun amüsiert: »Schwere Vorwürfe, mein Herr! Auf alle Fälle reif für den Scheiterhaufen. Hat dieser Pfarrer Johannes nicht gefragt, wer euch das beigebracht hat?«

      »Natürlich, aber ich habe es ihm nicht gesagt. Er war deshalb so zornig, dass er mich vom Pfarrhof gejagt hat. Es würde mir noch leidtun, vor Gott Geheimnisse zu haben! Aber er hätte ohnehin einen Verdacht.«

      »Geheimnisse vor Gott?!«, rief Ludowitz aus, »da fehlen einem ja die Worte!«

      »Aber damit nicht genug. Er hat dann in all seinen Predigten die Dorfbewohner vor uns gewarnt: Gott würde Ketzer und Frevler nicht dulden. Katastrophen würden hereinbrechen, Unwetter, Ernten würden zerstört, Krankheiten würden über alle kommen.

      Die Turnauer haben allmählich einen weiten Bogen um uns gemacht. Wir sind sogar beschimpft und mit dem Tod bedroht worden. Dann hat der Pfarrer mich wieder zu sich gerufen und mir alte Schuldscheine vorgelegt.«

      Ludowitz schüttelte den Kopf: »Schuldscheine? Welche Schuldscheine?«

      Altmanner spürte, wie sein Hals trocken wurde vor Zorn. Er musste ein paar Mal heftig schlucken, damit ihm die Stimme nicht versagte.

      »Das dachte ich auch! Angeblich hätten meine Eltern vor ihrem tragischen Tod eine beträchtliche Menge Geld von der Kirche für bestellte, aber nicht gelieferte Waren bekommen.«

      »Welche Waren?«

      »Das habe ich ihn auch gefragt. Er ist wieder wütend geworden und hat geschrien ›hör auf, hör auf, Gott zu hinterfragen! Das ist frevelhaft!‹ Das Einzige, was er mir zugestanden hat, war, dass alles wahrscheinlich nicht auf Unredlichkeit, sondern auf den unerwarteten und tragischen Tod meiner Eltern zurückzuführen ist und ich deshalb davon nichts weiß. Die Kirche hat aus Respekt ohnehin lange zugewartet, hat er gesagt. Doch auch die Kirche hat die eine oder andere weltliche Pflicht zu erfüllen und kann deshalb nicht auf etwas verzichten, was ihr zusteht. Da sie diese Waren aber nach so langer Zeit nicht mehr brauchen kann, soll ich einfach nur das Geld zurückgeben. Das ist der Wille Gottes, meinte er.«

      »Sie hatten das Geld natürlich nicht?«, hielt Ludowitz fest.

      »Natürlich nicht! Der Pfarrer hat nur gemeint, Gott ist barmherzig. Die Schulden werden mir im Tausch gegen den Hof gnädig erlassen.«

      Altmanner traten Tränen in die Augen, und er fuhr sich mit dem staubigen Ärmel seines Hemds ins Gesicht.

      »Ich habe dem Pfarrer geantwortet, dass der Hof mit allem, was dazugehört, doch viel mehr wert sein muss. Da hat er gesagt, dass ich mit Gott nicht verhandeln kann. ›Auch das ist schon wieder ein Frevel‹.«

      »Und eure Magd?«

      »Sie war für ihn von Anfang an unschuldig. Damit sie keine Nachteile erleiden muss, soll sie als Magd auf seinem Pfarrhof arbeiten.«

      »Und da haben Sie Bräuer um Hilfe ersucht.«

      »Ja! Er war schließlich der Einzige, der verstanden hat, was vor sich ging. Er meinte, die Kirche gibt ohnehin keine Ruhe und setzt alles daran, uns zu vertreiben. Mit dem Vorwurf, Lutherische zu sein, findet sie viel Gehör, hat er gesagt. Spätestens nach dem nächsten Unwetter wären wir unseres Lebens nicht mehr sicher. Er hat uns deshalb geraten, irgendwo neu anzufangen. Dann hat er uns Ihre Adresse und dieses Schreiben gegeben.«

      Altmanner bemerkte, wie Ludowitz seiner Gemahlin einen fragenden Blick zuwarf und sie ihm darauf wohlwollend zuzwinkerte.

      »Sehr schlimm, was euch beiden widerfahren ist«, sagte er dann. »Ich will mich dazu vorläufig nicht weiter äußern, aber ich werde euch helfen. Schon meinem Freund Andreas Bräuer zuliebe. In den kaiserlichen Hofställen brauche ich jemanden mit Kraft und Verstand! Jemanden, der es versteht, mit Tieren umzugehen, und der es versteht, zu arbeiten.«

      Er hob mahnend


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