Der Herzenfresser. Josef Scherz

Der Herzenfresser - Josef Scherz


Скачать книгу
Maria trat vor das Pfarrhaus, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Sie betrachtete ringsum die Berggipfel, von denen mittlerweile schon der erste Schnee herabblinzelte. Alle Jahre wieder. Manchmal ein wenig früher, manchmal ein wenig später. Sie genoss diesen Anblick. Auch genoss sie es, dass Pfarrer Johannes gemeinsam mit Edeltraud an diesem Nachmittag in den Nachbarort aufgebrochen war, um Besorgungen zu machen.

      Es tat ihr einfach gut, einmal alleine zu sein, nur mit sich selbst und ihren Gedanken. Und derlei schwirrten viele in ihrem Kopf herum, war es doch der letzte Tag vor ihrer befohlenen Hochzeit.

      Was wird wohl der Herr Graf dazu sagen? Oder Altmanner, sofern er jemals davon erfährt?

      Sie zog sich wieder vor den Kamin der Pfarrstube zurück, schob ihren Stuhl näher an das knisternde Feuer und schloss die Augen. Sie versuchte, sich ihr zukünftiges Leben vorzustellen, als sie plötzlich auf ein leises Knarren aufmerksam wurde. In diesem Hause knarzte und knarrte es andauernd irgendwo. Das lag am vielen Lärchenholz im Gebälk. Doch dieses Knarren war anders. Unnatürlich.

      Es knarrte schon wieder. Sie bekam ein mulmiges Gefühl. Schritte. Die Türklinke senkte sich. Ganz langsam wie von Geisterhand. Gänsehaut. Ohne weiter zu überlegen, huschte sie ängstlich hinter die Tür. Dort, so hoffte sie, würde sie nicht bemerkt werden und könnte in einem geeigneten Augenblick fliehen.

      Zaghaft öffnete sich die Tür einen Spalt weit, verharrte und ging dann weiter auf. Ganz langsam. Eine Gestalt mit dunklem Umhang und schlapprigem Hut schlich herein. Sofort kroch Maria ein verräterischer Geruch in die Nase.

      »Reininger!«, schrie sie auf. »Was willst du hier?«

      Die Gestalt fuhr herum.

      »Kannst es wohl nicht mehr erwarten, mich zu holen? Bis zur Hochzeit morgen musst du dich schon noch gedulden!«, schimpfte sie.

      Reininger hatte Augen und Mund weit aufgerissen und brachte keinen Ton heraus. Sie konnte erkennen, dass er irgendetwas unter seinem Umhang verborgen hielt.

      »Was hast du da?«

      Er zögerte.

      »Hast du nicht gehört? Heraus damit!«

      Langsam holte er einen kunstvoll verzierten Stab aus Holz hervor und bot ihn ihr mit zitternden Händen an. Er schluckte ein paar Mal.

      »Bitte, nimm diesen Hirtenstab als Geschenk«, stammelte er, »mehr kann ich meiner zukünftigen Frau nicht geben. Es ist alles, was ich hab.«

      Er wischte sich Tränen aus den Augen.

      Der Auftritt rührte sie.

      »Rudolf, ich kann das nicht annehmen.«

      Er senkte seine Augen traurig zu Boden und rang nach Worten.

      »Ich … ich bin kein schlechter Mensch. Ich will dir ja nichts tun!«

      Sie spürte, dass er es ernst meinte und hatte Mitleid mit diesem vereinsamten Menschen, von den anderen wenig geachtet und bei jeder Gelegenheit verhöhnt. Deshalb streckte sie nun doch ihre Hand nach dem Geschenk aus. Er begriff und lächelte überglücklich. Dann machte er sich sofort wieder auf den Weg hinaus.

      »Rudolf!«, rief sie ihm nach, »warte!«

      Sie trat nah an ihn heran und sah ihm tief in die Augen.

      »Durch die Vermählung werde ich zu deiner Frau. Ich werde für dich da sein, aber ich werde dich nicht lieben.«

      Er nahm es ohne eine Regung zur Kenntnis und verschwand.

      †††

      Niemand wusste, wo Reininger steckte. Auch nicht Pfarrer Johannes. Und das ausgerechnet an diesem Tag. Umso peinlicher als Pfarrer Johannes die Vermählung ganz bewusst gleich nach dem allgemeinen Gottesdienst eingefädelt hatte. Alle Turnauer sollten schließlich Zeugen dieses Ehebunds werden. Er kannte seine Schäfchen ganz genau und wusste, dass sie sich dieses einmalige Ereignis nicht entgehen lassen würden.

      Nervös blickte er zwischen den Gebeten immer wieder in Richtung Sakristei zu seinem Messdiener, der ihm von dort ein Zeichen geben sollte, wenn Reininger endlich eintraf. Der Messdiener zuckte nur mit der Schulter. Pfarrer Johannes wurde wütend. Innerlich.

      Wenn dieser Eigenbrötler nicht kommt, schicke ich ihn persönlich zur Hölle!

      Aber irgendwann gegen Ende des Gottesdienstes kam dann doch das erlösende Zeichen, worauf Pfarrer Johannes erleichtert seine Augen nach oben zu Gott richtete und ihm dabei mitten im Vaterunser ein lautes ›Halleluja!‹ entfuhr. Ungewollt störte er damit den monotonen Gebetsfluss der Leute – der schließlich stockte. Alle Augen waren nun nicht mehr auf das große Kreuz am Altar gerichtet, sondern erwartungsvoll auf ihn, den Pfarrer.

      »Fürchtet euch nicht!«, verkündete er. »Mir hat soeben Gott eine Frohbotschaft übermittelt!« Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen, aber es wirkte, denn die Leute lächelten verzückt.

      †††

      Reininger hatte sich ordentlich gewaschen, die Haare geschnitten und den Bart sorgfältig gestutzt. Seinen ganzen Körper hatte er über und über mit frischem Rosenwasser eingerieben. Irgendwo in seiner Hütte war er ausgerechnet an diesem Tag auf dieses Fläschchen gestoßen. Weiß der Teufel, von wem er es einmal bekommen hatte. Überdies hatte er sich eine dunkle Festtracht mit einem weißen Hemd und ziemlich steifen Lederschuhen angezogen, die bei jedem Schritt klapperten und seine Füße blutig rieben. Doch er biss die Zähne zusammen. Es waren natürlich nicht seine eigenen Sachen. Woher auch? Er musste dafür einen Bauern beknien und ihm hoch und heilig versprechen, nicht hineinzufurzen und alles gleich am nächsten Tag sauber wieder zurückzubringen. Aber Reininger hätte es sich so oder so nicht unter den Nagel gerissen, denn die Sachen waren ihm viel zu groß. In die Jacke hätte er ohne Probleme ein weiteres Mal hineingepasst, und die Hose musste er am Bund wie einen Sack zusammenschnüren, damit sie ihm nicht hinunterrutschte.

      »Hast dich fein rausgeputzt!«, sagte der Messdiener und nickte ihm anerkennend zu.

      Reininger verzog keine Miene.

      »Wenn die heilige Messe gleich vorbei ist, wird der Herr Pfarrer in die Sakristei kommen und dir den Ablauf deiner Hochzeit erklären!«

      Reininger atmete aufgeregt durch.

      »Na, na, so schlimm ist es nicht«, beruhigte ihn der Messdiener und grinste schelmisch. Dann trat er näher an Reininger und flüsterte ihm ins Ohr: »Denk einfach an die Hochzeitsnacht! Da kannst du deine Alte so richtig rannehmen und ihr dabei auf die Tutteln greifen! Naja, allzu große Tutteln hat die Maria ja nicht, was man so sieht. Aber macht nichts. Für dich wird’s schon reichen. Glaub mir, das tut gut! Naja, vielleicht nicht gleich beim ersten Mal, aber mit der Zeit wird’s dann. War bei mir und meiner Alten auch so. Jedenfalls viel besser als Selbermachen oder mit deinen Viechern auf der Alm! Hahaha!«

      Reininger schob den Messdiener von sich weg, schaute verärgert und beschämt auf ein großes Gemälde an der Wand, das Jesus Christus mit riesigem Heiligenschein zeigte.

      Ob der Heiland das wohl auch gehört hat? Noch dazu aus dem Mund eines Messdieners und ausgerechnet hier an diesem geweihten Ort?

      Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Pfarrer Johannes schnellen Schrittes hereinpolterte und sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischte.

      »Grüß Gott, mein lieber Reininger! Wo warst eigentlich so lange? Egal. Hauptsache, du bist da. Aufgeregt?«

      Er nickte.

      »Brauchst nicht zu sein! Mache einfach nur, was ich dir jetzt sage. Also: Zuerst gehst du von hier aus vor den Altar, machst eine Verbeugung und bekreuzigst dich. Dann trittst du ein paar Schritte zurück und wartest. In der Eile habe ich den Messdiener zum Brautvater auserkoren, und er wird Maria vom Haupteingang herein bis zu dir vor den Altar geleiten. Die Orgel wird spielen, und wenn sie verstummt, rede nur mehr ich. Du brauchst dann auf meine Aufforderung hin nur mit einem ›Ja‹ zu antworten. Ist doch nicht so schwer, oder?«

      Pfarrer Johannes bedeutete dem Messdiener hektisch, endlich die Braut zu holen,


Скачать книгу