Berufsbildung in der Schweiz - Gesichter und Geschichten. Christoph Gassmann
klingt recht distanziert. Was macht denn die Attraktivität Ihres Berufs aus?
Dass ich anhand der Reaktionen meiner Studierenden eine recht schnelle Bestätigung bekomme, wie gut ich meine Sache gemacht habe. Und die Arbeitszeiten sind interessant, ich habe kein Wochensoll, sondern Jahresarbeitszeit; zuweilen ist das natürlich auch problematisch, weil es Spitzenbelastungen gibt.
Spass macht mir vor allem die Arbeit mit jungen Leuten, mit Erwachsenen, es gibt manchmal auch Studierende von vierzig und älter, schon relativ geformte Persönlichkeiten. Die Zusammenarbeit, dass man gemeinsam einer Frage auf der Spur bleiben kann. Die Freiheit, über die wir in unserer Position verfügen.
Was steht denn für Sie eher im Vordergrund: das Fachliche, das Vermitteln? Oder etwas anderes?
In erster Linie die «Wissensvermittlung», weil es ja bei mir um prüfungsrelevanten Stoff geht. Um Erziehung geht es bei uns weniger, weil ja unsere Studierenden schon erwachsen sind; eher um Haltungsaspekte, Fragen des Umgangs. Solche Dinge sind in unserem Beruf zentral.
Wichtig ist mir, dass ich die Lernenden dazu bringen kann, selber zu erkennen, weshalb sie etwas lernen – und was dieses Etwas ist, das sie lernen wollen – und dass sie dran bleiben. Wenn sie nachher im Beruf stehen – die drei Ausbildungsjahre sind schnell vorbei –, müssen sie grosse Verantwortung übernehmen. Es ist mir wichtig, ihnen diese Verantwortung schon früher zu übergeben, dann, wenn sie noch in der «Obhut» einer Ausbildungsinstitution sind.
Woran merken Sie, dass Ihr Unterricht «angekommen» ist? Nach «konstruktivistischem» Verständnis, das in unseren Kreisen ja verbreitet ist, machen die Lernenden ja letztlich alles selbst: Sie lernen, sie konstruieren ihr Wissen, sie bauen Kompetenzen auf. Und die Lehrperson macht eigentlich «nichts». Wie können Sie also eine Wirkung «messen», für die Sie gar nicht verantwortlich sind?
Im Tutorat ist es zum Teil tatsächlich recht extrem mit diesem «Nichts-Tun», zumindest sieht es so aus, von aussen betrachtet. Im Skills-Training zeige ich immerhin vor und weiss, ob ich richtig vorzeige oder fehlerhaft – ich sehe auch, wie die Studierenden es umsetzen. Deshalb ist es so wichtig, dass ich «richtig vorzeige», es wird dann ja übernommen.
Oder ich höre, wie die Studierenden diskutieren. Ich sehe, ob sie vielleicht teilnahmslos in der Bank hängen, nehme andere nonverbale Signale wahr ... Das sind alles Feedbacks auf mein eigenes Handeln, die ich wahrnehme und reflektiere. Manchmal gibt es auch direktes Feedback.
Zum andern gibt es nach zwei oder drei Tagen immer eine Lernergebnissicherung, da wird das Gelernte vorgezeigt. Anhand dessen sehe ich, ob geübt wurde, aber auch, ob der Unterricht gut war oder nicht. Wenn ich etwas demonstriert habe, benützen die Studierenden anschliessend beim Üben dieselben Begriffe wie ich beim Vorzeigen, das heisst ja, sie haben zugehört. Manchmal ist das fast beängstigend, wie exakt sie mich «kopieren» ...
Je jünger die Studierenden sind, desto wichtiger ist übrigens die Instruktion. Erst später sollte man loslassen, sie selber konstruieren lassen. Wo sie genau stehen, lässt sich nicht immer leicht beurteilen. Das ist für mich aber eine wichtige Frage: was die Studierenden im Augenblick brauchen. Im Skills-Training arbeiten wir stark nach dem Modell der kognitiven Meisterlehre, der Cognitive Apprenticeship.
Dass die Ausbildung nach drei Jahren nicht abgeschlossen ist, ist in unserem Beruf hingegen völlig klar. In der Pflege merkt jeder bald, dass es mit Lernen und Selbstständigsein erst nach der Ausbildung richtig losgeht. Feedbacks kommen im Pflegealltag sehr schnell. Man arbeitet ja im Team im Dreischichtenbetrieb, jeder Fehler kommt deshalb zurück. In dieser Hinsicht ist der Pflegeberuf ziemlich hart, die Kollegen müssen unsere Fehler ausbügeln und werden sie deshalb auch zurückmelden.
Bei den Lehrpersonen ist das ja in einem gewissen Sinne ähnlich. Im Studium erwerben sie auch nur eine Grundlage, die ihnen den Einstieg erlaubt – aber fertig ist die Ausbildung dann längst nicht ...
Das fand ich als junge Lehrerin recht schwierig. Man hat von mir als Einsteigerin nicht weniger erwartet als von gestandenen Lehrkräften – zumindest hatte ich diesen Eindruck. Im Kanton St. Gallen ist es auch so, dass man als Einsteigerin ohne Abschluss als Berufsfachschul-Lehrperson mehr Lektionen übernehmen muss als jemand, der ausgelernt ist, hundert Lektionen mehr pro Jahr, auf hundert Prozent gerechnet. – Das hat mir am Anfang zu denken gegeben.
In der Pflege ist das anders. Man weiss, jemand kommt frisch aus der Ausbildung, da wird nicht dasselbe verlangt wie von erfahrenen Pflegekräften. Das gilt auch für die, die neu in einer anderen Abteilung mit anderen fachspezifischen Anforderungen anfangen.
Wie ist es denn mit dem Nachwuchs in Ihrem Beruf?
Variabel, wir haben eher zu wenig Platz, zu viele Lernende ... Dabei gibt es einen gewissen Mangel an Pflegepersonal, vor allem an qualifiziertem Personal, viele arbeiten, aufgrund der strengen Arbeitsbedingungen wie Schichtarbeit usw., nicht zu hundert Prozent, etliche steigen auch wieder aus. Inzwischen gibt es bei uns viel Personal aus Deutschland, die Grenze ist ja nicht weit. Das führt manchmal zu Problemen, weil die Deutschen eine andere Ausbildung haben. Sie verfügen teilweise nicht über dieselben Kompetenzen wie Personen, die ihre Ausbildung in der Schweiz absolviert haben. Es stellt sich dann die Frage, wo man diese Leute einsetzt, welche Weiterbildung sie brauchen, um sich auf denselben Stand zu bringen.
Leiden Sie manchmal an Ihrem Beruf?
Manchmal – zum Beispiel bei den zeitlichen Spitzenbelastungen. Und generell, weil es streng ist, auch an Wochenenden muss ich mich vorbereiten. Es ist nie zu Ende, man muss sich ständig vorbereiten, reflektieren, sich weiterbilden. Das ist mit viel Stress verbunden.
Wie schützen Sie sich?
Nicht sehr gut. Der Druck ist gross, der von innen, aber auch der von aussen. Unser Lehrerteam hat hohe Ansprüche, finde ich, wobei man sich auch immer selber misst. Am effektivsten ist, wenn ich versuche, mich vor mir selbst zu schützen.
Gibt es so etwas wie Coaching?
Es gibt kollegiale Unterrichtshospitationen, im Sinne von Wissensmanagement, da besteht auch die Möglichkeit, sich auszutauschen. Ich kann Kolleginnen fragen. Ansonsten rede ich gerne mit älteren Freunden, von denen ich weiss, dass sie Erfahrung haben. Das mag ich lieber als Coaching durch eine Fremdperson. Das wäre der letzte Ausweg vor dem Burn-out. Das will ich möglichst vermeiden.
Ausserdem treibe ich Sport, pflege Hobbys und Freundschaften – Sport fast schon exzessiv ... joggen, Fitness, Ausdauersport. Auch Reisen, mich mit Freunden treffen und nicht über den Beruf reden, das gibt mir den Ausgleich.
Aber ich bewege mich oft am Limit – bin Burn-out-gefährdet, das ist mir bewusst. Man hat mir das auch schon oft gesagt, dass ich mit meinem Leistungsdenken früher oder später in die Gefahrenzone geraten könnte.
Mein Vater war ganz ähnlich und ist es immer noch: sehr leistungsorientiert, immer dabei, sich weiterzubilden, vielseitig interessiert – er ist nicht das beste Vorbild im Sinne der Burn-out-Prophylaxe. Und trotzdem stelle ich bei ihm keine Symptome eines Burn-outs fest.
Was ist das denn aus Ihrer Sicht, dieses Burn-out?
Das ist nicht so klar ... Depressionen, chronische Müdigkeit ... Für mich ist es ein Burn-out, wenn ich nicht mehr weiss, wie ich die Zahnbürste halten muss, wenn ich so ausgebrannt bin, dass ich nicht mehr ohne Nachdenken funktionieren kann.
Es ist mir schon passiert, dass ich kaum mehr Schule geben mochte. Dass ich nicht mehr mochte, nicht mehr konnte. Alles war mir zu streng. Da habe ich mich mit der Abteilungsleiterin ausgesprochen – Veränderungen erreicht. Bin auch ins Wellness gegangen. Habe mich dann relativ schnell erholt, weil ich den richtigen Moment erwischt hatte. Trotzdem war das eine Grenzerfahrung, ich weiss, so weit darf ich es nicht mehr kommen lassen. Das ist mir bis jetzt auch ganz gut gelungen. Ich habe etwas gelernt. Und ich weiss ja, ich bin am richtigen Ort, die Arbeit macht mir Spass.
Wie ist es denn mit der Kreativität, die Ihnen in der Jugend so wichtig war?
Die habe ich jetzt ja. Zum Beispiel bei der Unterrichtsgestaltung, aber auch im Privaten, wenn