Berufsbildung in der Schweiz - Gesichter und Geschichten. Christoph Gassmann

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bearbeitet werden. Das Selbststudium hat dabei einen hohen Anteil, was natürlich eine gewisse Eigenmotivation voraussetzt. Es sagt niemand: «Du musst, du solltest.» Sie müssen selber wollen. Am Ende steht eine Prüfung, die zählt.

      Ich selbst bin vor allem im Skills-Bereich tätig und übernehme gewisse Tutorate, da geht es zunächst um Theoriewissen, das allerdings in einem speziellen Rahmen erarbeitet wird, nicht primär mit Vorträgen oder Gruppenarbeiten. Ich unterrichte nicht im üblichen Sinne, es geht immer um einen Handlungsablauf, Handlungsschritte, «Tätigkeiten». Ich bereite deshalb auch nicht herkömmlichen Unterricht vor, sondern muss mir vor allem überlegen, wie die Lernenden bestimmte Handlungen und Tätigkeiten möglichst schnell lernen können.

      Die ganze Ausbildung dauert drei Jahre, wenn jemand eine Vorbildung als Fachfrau Gesundheit (FaGe) mitbringt, zweieinhalb (bald nur noch zwei); ungefähr fünfzig Prozent davon ist Praxis, fünfzig Prozent Schule; zu Beginn ist der schulische Anteil höher, im dritten Jahr neutralisiert sich das Verhältnis.

      Ich selbst habe noch vier Jahre gelernt. Das war aber damals noch eine Ausbildung auf Sekundarstufe II, heute ist es eine Ausbildung auf Tertiärstufe. Zulassungsvoraussetzung ist jetzt eine berufliche Grundbildung oder eine Matura.

      Es gibt bei uns keine Klassen, sondern «Kurse» mit sehr unterschiedlicher Teilnehmerinnenzahl, zwischen dreissig und hundertzwanzig, meist achtzig bis hundert. Diese «Kurse» werden in Kleingruppen mit rund zwölf Teilnehmenden unterrichtet. Der ganze Kurs ist also kaum je beieinander, dafür würden bei uns der Platz und das Material gar nicht reichen. Es wäre auch vom Lerneffekt her nicht sehr sinnvoll, bei den Skills-Trainings ohnehin nicht.

      Weil es keine Klassen gibt, haben wir auch keine Klassen-Lehrpersonen, sondern Kursverantwortliche, Blockverantwortliche und Spezialistinnen, zum Beispiel für Kind, Jugendliche, Frau, Familie (KJFF), für allgemeine Pflege, Psychiatrie – und demnächst auch für Gerontologie.

      In den ersten vier Blöcken, also etwa im ersten halben Jahr, haben alle Lernenden dasselbe Programm, dann wird nach Schwerpunkten aufgeteilt.

      Ihre Funktionsbezeichnung lautet: Skills-Trainerin und Simulationsverantwortliche. In der Pflege hat man es ja nun immer mit Menschen zu tun. Reichen dann Skills, reicht «Handwerkszeug»? Das Kommunikative, die Beziehung ist in eurem Bereich doch ganz entscheidend, nicht?

      Im Skills-Training geht es um Fertigkeiten und Fähigkeiten. Eine Fertigkeit, etwa eine Blutentnahme, lässt sich am Simulationsarm üben. Aber auch Fähigkeiten – etwa die, ein Gespräch zu führen, egal, welche Art von Gespräch – müssen sich die Studierenden aneignen, soweit sie sich aneignen lässt. Auch das sind Skills.

      Beim «einfühlsamen Gespräch» ist es so, dass die Studierenden zunächst vier Lektionen lang nur dieses eine lernen: wie man ein solches Gespräch führen könnte. Anschliessend wird das dann trainiert, wobei wir das Zwischenmenschliche einzubauen versuchen. Die Gesprächssequenzen werden in der Regel aufgenommen und durch die Studierenden evaluiert.

      Skills-Trainings bestehen immer aus sechs Schritten: Der erste Schritt ist die Vorbereitung, der zweite das Treffen mit der Skills-Trainerin, Vorzeigen, Fragen beantworten – der dritte Schritt besteht im Üben, und der vierte ist die Simulation mit einem Schauspieler, der sich ins Bett legt, die Aufgabe heisst dann zum Beispiel: Verbinden Sie beim Patienten die Wunde am Bein, und dieser Patient hat Schmerzen, vielleicht noch eine Sorge, die er loswerden will, ein Anliegen. Bei Schritt vier muss die Lernende Tätigkeit und «Einfühlsamkeit» bereits kombinieren.

      Nach der Simulation folgt immer eine Reflexion. Dabei kommen dann Fragen wie: Und was, wenn der Patient nun fragt, ob er wirklich sterben muss? Solche Fragen diskutiere ich mit den Studierenden, ich hüte mich, einfach eine Standardantwort zu geben.

      Schritt sechs ist schliesslich der Fähigkeitstest, also die Skills-Prüfung. Erst im Anschluss folgt dann das Erproben und Weiterentwickeln in der Praxis, die Handlung am realen Patienten. Da muss die Studierende auf Gefühlsreaktionen eingehen können, die echt sind, nicht «simuliert» oder gespielt.

      Die Simulationssituationen selbst werden genau beobachtet, von der Trainerin und von den Mitstudierenden, die ja auch keine völligen Novizen sind, sondern selbst schon über Erfahrung verfügen. Und neben diesem Fremdfeedback ist die Selbstbeobachtung und Selbstreflexion ganz wichtig.

      Simulation löst bei den Studierenden oft unangenehme Gefühle oder Widerstände aus. Sie sagen dann manchmal, es sei ja nicht echt, das sei ja gar kein richtiger Patient. Zumindest am Anfang muss ich erklären, warum wir in der Schule mit gespielten, allerdings durchaus realistischen Situationen arbeiten.

      Dieser Widerstand gegen die Simulation hat nicht selten damit zu tun, dass es schmerzhaft sein kann, sich selbst zu beobachten; in der Simulation zeigen sich Schwächen, Verhaltensweisen oder Reaktionen, die einem peinlich sind. Es ist nicht angenehm, sich mit der eigenen Wahrheit zu konfrontieren. Übrigens nicht nur dann, wenn man etwas falsch macht; zu erkennen, was man gut macht, fällt oft noch schwerer.

      Der Lerneffekt ist aber enorm. Nicht die Trainerin sagt: So und so haben Sie sich verhalten, sie sehen sich selber zu.

      Eine gewisse Distanz bleibt immer. Aber meistens vergessen die Studierenden irgendwann, dass es sich um eine «unechte» Situation handelt; sie lassen sich darauf ein, sodass ein schönes Gespräch zustande kommt und eine realistische Interaktion mit dem Patienten stattfinden kann.

      Allerdings kommt das Gegenteil ebenfalls vor: Einige Studierende können sich bis zum Schluss nicht auf die Situation einlassen und berichten dann als Fazit, dass ja alles «eh nur gespielt» sei. Dass dieses Sicheinlassen nicht gelingt, kann aber auch mit der schauspielerischen Leistung zusammenhängen; es gibt Simulationen, bei denen ich beim Betrachten selber zugeben muss, dass es mir wohl nicht gelungen wäre, mich auf die Situation einzulassen, weil es einfach zu wenig gut gespielt war.

      Und manchmal sagen Studierende, der Schauspieler habe «so echt gespielt», Tränen inbegriffen, dass «der Patient» ihnen «wirklich leidgetan» habe. Einige reagieren dann mit Hilflosigkeit – die wiederum verschiedene Ursachen haben kann: Weil man wirklich nicht mehr weiss, wie man reagieren soll. Oder weil es «ja nur gespielt ist» und weil trotzdem verlangt wird, darauf einzugehen.

      Ich glaube, dass es durchaus Lernende gibt, die in einer solchen Situation Mitgefühl entwickeln, im positiven Sinne. In der Regel bleibt es wohl auf einer eher sachlichen Ebene. Aber auch das kann ja Lernen fördern.

      Kommunikative Kompetenzen sind ohnehin nicht in einer kurzen Kurssequenz zu vermitteln, nehme ich an ...

      Ja, die entwickeln sich über Jahre, in der Praxis. Und inwieweit sie sich entwickeln, hängt auch von den Fähigkeiten ab, die jemand schon in die Ausbildung mitbringt. Schliesslich ist das Theoretische nicht allein entscheidend. Die Studierenden stehen immer in der Praxis, sie bekommen dort Bilder und Situationen mit und können darauf weiter aufbauen. Alles zusammen ist wichtig, Theorie, Training und Praxis. Ich selbst weiss, wie viel ich durch die Praxis, beim Selberausführen gelernt habe, was sich durch eine «Erzählung» oder Instruktion allein nicht lernen liesse. Darin sehe ich übrigens einen der grössten Vorzüge unseres dualen Berufsbildungssystems: in dieser engen Verbindung von Praxis und Theorie, in der Lernortkooperation, die zum Beispiel im Vergleich zu Deutschland sehr viel besser ausgebaut ist.

      Auch in der Praxis haben die Studierenden übrigens Lernbegleitung. Am Morgen erleben sie verschiedene Pflegesituationen, am Nachmittag werden bestimmte Themen mit den Praxisausbildnerinnen aufgearbeitet. Manchmal muss man ja erst in der Praxis über Probleme stolpern und Fehler machen, damit man lernen kann.

      Vorausgesetzt ist aber immer ein gewisses Menschenbild, eine Grundeinstellung, zum Beispiel gegenüber anderen Kulturen oder etwa älteren Menschen – dass ich mich in die Lebenslage der andern einfühlen kann.

      Wenn ich mit Vorurteilen ein Zimmer betrete, kann ich lange lächeln, meine «schiefe» Haltung wird irgendwie zum Ausdruck kommen, in einem verbalen Akt oder bei einer Handlung. An der Haltung zu arbeiten, ist deshalb wichtig; ebenso wichtig ist auch das, was ich in dieser Hinsicht schon mitbringe, wie ich aufgewachsen bin, die eigenen Erfahrungen, wie ich kommuniziert habe und wie mit mir kommuniziert


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