Berufsbildung in der Schweiz - Gesichter und Geschichten. Christoph Gassmann
das würde ich nicht mehr wollen, das wäre mir zu technisch.
Was ist für Sie Erfolg?
Wenn ich das erreicht habe, was ich will. Ohne Wenn und Aber.
Woher weiss man, was man will?
Bei mir ist das ein starkes Bauchgefühl. Nach dem SVEB wusste ich, dass es noch nicht «fertig» war, ich wusste allerdings nicht, was als Nächstes kommen würde. Dann kam der neue MAS, und ich wusste, das war’s. Jetzt ist mein Bauchgefühl: Nach dem MAS ist für mich vorerst «mal gut». Ein paar Jahre lang will ich «einfach mal arbeiten». Dann kommt wieder etwas Neues, aber in den nächsten paar Jahren mal nicht.
Während des Studiums habe ich gemerkt, dass mich das Pädagogische genauso interessiert wie die Pflege. Jetzt kann ich beide Aspekte verbinden, aber vielleicht gehe ich später mal in die pädagogisch-didaktische Richtung weiter.
War die MAS-Ausbildung, die Sie jetzt absolviert haben, Voraussetzung, um weiter zu unterrichten?
An der HF hätte ich mit dem SVEB-Zertifikat bis fünfzig Prozent unterrichten können, mehr nicht. Als ich mich entschied, ganz in die schulische Ausbildung zu wechseln, war dieser MAS, übrigens ein Pilotstudiengang, zwar nicht zwingend, solange ich im Fünfzig-Prozent-Teilpensum unterrichtete, aber ich wollte es, um mehr Sicherheit und neue Impulse zu bekommen. Es war hart, die Ausbildung berufsbegleitend zu machen. Am Anfang konnte ich den Aufwand und meine Kapazitäten auch noch nicht so richtig einschätzen. Mit der Zeit habe ich das aber gut in den Griff bekommen.
Im ersten MAS-Jahr ging es hauptsächlich um die lernpsychologischen Grundlagen und den Transfer vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln, im zweiten Jahr um Schullehrpläne und die Frage, wie ich Unterricht aufbauen muss usw. Im dritten Jahr standen dann die Lernenden im Zentrum, psychologische Aspekte, Adoleszenz. Das war zwar interessant, aber für mich, die 18-Jährige und Ältere unterrichte, nicht immer relevant. Suchtproblematiken zum Beispiel kommen zwar auch bei uns vor, aber seltener als in einer Grundbildung. Bei uns ist ein Thema wie Burn-out wichtiger.
Wir haben uns dann in Gruppen aufgeteilt – HF und Grundbildung –, dort zwar ähnliche Themen bearbeitet, nur vielleicht nicht aufs Rauchen oder Kiffen fokussiert, sondern auf den Umgang mit Stress oder ähnliche Themen.
Man wird in einem solchen Studium halt wieder zum Schüler, obwohl man selber unterrichtet, das ist schon speziell. Ich bin übrigens eine Lernende, wie ich sie als Lehrperson nicht sonderlich schätzen würde. Sobald ich den Eindruck habe, ich kenne etwas schon, beschäftige ich mich mit anderem. Wenn ich denke: Oh, spannend, kenne ich nicht, bin ich hoch aufmerksam. Aber es kann ja nicht sein, dass an einem Schultag alles neu und interessant ist. Und dann denke ich jeweils: Yvonne, du könntest dich zusammenreissen, du würdest sich über solche Studierende aufregen. Aber hmm, ich war schon immer so.
Strafaufgaben habe ich deswegen nicht häufig bekommen, aber Ermahnungen. Die Leistungen stimmten, aber beim Verhalten ... Ich bin wohl etwas unruhig, kann mich nicht so lange auf etwas konzentrieren, bin mit meinen Gedanken immer schon einen oder zwei Schritte weiter. Ich muss ständig aufpassen, dass ich einmal etwas fertig mache. Am Ende wird alles fertig ... Das schon.
Wenn ich aufmerksamer und konzentrierter wäre, könnte ich vielleicht noch etwas mehr herausholen ... Wenn ich allerdings nicht aufmerksam bin, schaut auch etwas dabei heraus, ich folge dann meinen eigenen Gedankengängen, verarbeite, konstruiere für mich.
Und was machen Sie mit Schülerinnen oder Studierenden, die so sind wie Sie?
Ich spreche es an. Ich frage, ob es etwas gibt, was sie der ganzen Klasse mitteilen möchten ... Meist reicht das, sie merken, dass das nicht geht. Auch bei mir reicht es meist, wenn man nachfragt.
Sie haben aber eigentlich etwas anderes beschrieben: Dass Sie nicht aufmerksam sind, wenn Sie etwas schon kennen oder zu kennen glauben oder wenn etwas Sie nicht interessiert. Das ist doch eine normale, auch legitime Reaktion? Natürlich muss man sich fragen, ob es sich auch wirklich so verhält, ob man es tatsächlich schon kennt ...
Ja, und das kann ich ja gar nicht einschätzen, wenn ich nicht zuhöre. – Es kann aber auch sein, dass die Studierenden überfordert sind und deshalb nicht zuhören.
Als Unterrichtende muss ich stets überlegen, wo die Studierenden stehen; wenn ich sie unterfordere, immer mit denselben Themen belästige, dann ist klar, dass sie nicht mehr zuhören mögen. Das ist ein generelles Problem in der Berufsbildung, die mangelnde Individualisierung. Auch als Lehrerin bemühe ich mich zu wenig darum. Alle Lernenden machen im Unterricht dasselbe, egal, welche Voraussetzungen und Vorkenntnisse sie mitbringen. Wir könnten viel mehr mit dem Vorwissen der Studierenden arbeiten. Man kann sie zum Beispiel vorzeigen lassen, schauen, wo es noch Korrekturen braucht und was schon gut ist.
Es ist allerdings schwierig, im Klassenverband auf jeden Einzelnen einzugehen, jedem das zu geben, was er braucht. Das braucht viel Zeit, und weil man immer wieder andere Gruppen hat, ist es noch schwieriger.
Auch Gruppenprozesse in der Ausbildung müsste man besser begleiten. Aber dadurch, dass niemand bei uns für eine Gruppe die Hauptverantwortung hat, ist es immer die einzelne Lehrperson in der konkreten Situation, die auf ein Problem reagieren muss. Aber wer begleitet und betreut den Prozess dann weiter? Das ist ein grosses Problem, für das wir noch keine Lösung haben.
Die Passion für das Andere – Stephan Leiser
Die Passion für das Andere
Stephan Leiser, ehemaliger CEO der Noser Young Professionals (Noser-Gruppe), seit 2014 selbstständiger Berater und Coach für Bildungsprojekte
Obwohl sich in der Informatikausbildung in den letzten beiden Jahrzehnten vieles auf «normale Bahnen» eingespurt hat, sind Informatiker immer noch oft Quereinsteiger. In dieser Hinsicht ist Stephan Leisers Werdegang nicht untypisch. Alles andere an Leiser mutet eher aussergewöhnlich an, auch die Firma, die er aufgebaut und drei Jahre lang geleitet hat: Die Noser Young Professionals (NYP) in Worblaufen bei Bern, wo das Gespräch im Juni 2012 stattfand, ist eine Aktiengesellschaft, die durchaus nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen funktioniert. Allerdings sind unter den neunzehn Personen, die das Unternehmen beschäftigt, nur drei Ausgelernte, die andern sind Lernende, die sich hier ihren Beruf in der Praxis aneignen.
Leiser selbst hat einst im bernischen Oberaargau eine Lehre als Elektromonteur absolviert. Nach dem HTL-Abschluss als Elektroingenieur stieg er erst als Softwareentwickler beim Druckmaschinenhersteller WIFAG in Bern ein – ohne über tiefere Kenntnisse im Programmieren zu verfügen; die eignete er sich erst im Laufe der Zeit durch Erfahrung und Studium an. Inzwischen war er allerdings längst zum Reisenden geworden, für den die Menschen und «das ganz Andere» mindestens so viel Anziehungskraft hatten wie Technologie, Maschinen und die beharrliche Entwicklung neuer Programmcodes. So stieg er nach einem längeren Auslandaufenthalt in die Lehrlingsausbildung ein und hat u. a. auch ein Psychologiestudium an einer Fachhochschule abgeschlossen. Seit 2012 ist die Noser Young Professionals um einen weiteren Standort in Zürich gewachsen und beschäftigt inzwischen sechs Ausgelernte und über vierzig Lernende. Leiser ist allerdings seit Juli 2013 wieder auf Reisen und engagiert sich in Berufsbildungsprojekten in Albanien und Kolumbien.
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