Neubayern. Florian F. Scherzer
gesehen, die Haare wie schwarzes Stroh. Statt Augen hatten sie runzelige Löcher. Aber so zwergenhaft klein, wie ich sie mir als Kind immer vorgestellt hatte, waren sie nicht. Sie haben gekreischt und gezischt im Feuer. Ich glaube, das war das schrecklichste an den Perchtln. Ihr fürchterliches Geschrei. Es heißt, die haben Worte, mit denen sie töten können. Zaubergeschrei. Wie Untote. Seitdem hat es im Dorf in meiner Lebenszeit noch zweimal ein Andreasfeuer gegeben. Aber nie mehr so groß. Es soll plötzlich wieder mehr Perchtln in den Bergen über unserem Tal gegeben haben, haben die Älteren gesagt. Oder frechere.
Der Perchtllauf war danach nie wieder so schön wie vorher. Vielleicht war ich auch einfach zu erwachsen dafür geworden.
In den auf meinen ersten Einfall folgenden Jahren hatten wir Kinder und Halbwüchsige viel Angst vor den Perchtln und konnten nicht einschlafen in unseren Stuben. Obwohl wir immer viele waren. Den Eltern konnten wir nichts sagen, denen war das gleich. Da haben wir uns gegenseitig die Geschichte vom heiligen Andreas von Rieding erzählt. Das hat uns beruhigt und geholfen. Es nahm uns die Angst vor der ganzen Grausligkeit der Perchtln. Einer von uns, stärker als alle Perchtln der Welt zusammen.
Die Geschichte vom heiligen Andreas ging so: Andreas Gumpner, so hieß er, bevor er zum Heiligen wurde, lebte vor vielen Jahren. Wahrscheinlich mehr als tausend. So erzählte es mir die Großmutter und ich den Geschwistern in der dunklen Schlafstube. Er war einer der ersten, der das Pfaffltal bewohnbar gemacht, die Wiesen trockengelegt, das Ackerland gepflügt und die Straßen angelegt hat. Die Legende sagt, dass Andreas und seine Leute das Land im Pfaffltal aber auch das im Tal der Reisach vom Grafen Bartholomäus zugesprochen bekommen haben sollen, um dort zu siedeln. Zuvor waren er und seine Leute in seiner alten Heimat durch Ernteausfälle und Kriege landlos und mittellos geworden. Der Baron schenkte ihnen die leeren Täler aus Mitleid und Menschlichkeit, damit Andreas sie rodet und besiedelt. Bartholomäus unterwarf sich der Wittelsbacher Krone und nahm für das Land an der Pfaffl und an der Reisach den bayerischen König als Lehnsherrn an. Doch Andreas fand, entgegen aller Versprechungen, kein leeres Land vor. Er traf auf das Zwergenvolk der Perchtln, das in den Tälern hauste und dort unter den Siedlern Angst und Schrecken verbreitete. Wenn sie die neuen Menschen nicht töteten, so verhexten sie sie und machten deren Vieh und deren Kinder krank. So krank, dass das Vieh auf der Weide tot umfiel und die Kinder nur noch dumm geworden in den Betten liegen konnten. Doch Andreas war ein sehr mutiger Mann. Trotz der Übermacht der Zwergenwesen, stellte er sich ihnen im Kampf und besiegte sie immer wieder und immer öfter. So dass nach nur wenigen Monaten ein gewisser Frieden in den Orten in den Tälern einkehrte, weil sich die Perchtln immer weiter in die Berge zurückzogen und bald auf der anderen Wachtenseite verschwanden.
Eine der Geschichten, die es über Andreas gab und die ihn in den Augen der Pfaffltalbewohner zum Heiligen machte, war die Folgende. Wahrscheinlich war sie der Grund für die großen Perchtlläufe in unserer Gegend. Das Ganze soll sich in Russlach zugetragen haben. Es gab aber auch fast die gleiche Geschichte aus Irchenbrunn:
Nach Jahren der Ruhe läuteten eines Tages die Kirchenglocken von St. Bartholomä zur Unzeit. Das Dorf war noch nicht fertig gebaut und viele der Menschen in Russlach lebten in Holzhütten neben den unfertigen Mauern ihrer Höfe. Die Menschen liefen in Angst auf dem Anger zusammen. Die Älteren wussten genau, was das Geläut um diese Zeit zu bedeuten hatte. Einige junge Frauen sammelten die Kinder ein und wollten sie in den schon fertigen Gumpnerhof bringen. Auf der anderen Pfafflseite. Dazu mussten sie über den Steg, der einige hundert Fuß entfernt war, denn die eigentliche Holzbrücke war vom Hochwasser weggespült worden. Die Kinder gingen brav über den Steg, während die Männer und die erwachsenen Frauen auf den Sturm der Perchtln auf der großen Wiese warteten. Bewaffnet mit Mistgabeln und Spaten und großen Prügeln. Doch die Perchtln waren raffiniert und schlichen sich damals von der anderen Seite an. Einige der Perchtln waren sogar zum Steg geschlichen und hatten ihn niederträchtig in die reißende Pfaffl gestoßen. Es gab kein Zurück für die jungen Frauen und die Kinder. Sie saßen in der Falle. Die Perchtln stürmten auf sie zu und fingen in einer wilden Jagd ein Kind nach dem anderen ein, steckten sie in große Säcke und banden diese zu. Die Männer und Frauen standen am anderen Ufer und konnten dem Treiben nur zusehen. Die Kinder schrien und die Eltern waren verzweifelt. Die Perchtln fletschten ihre Zähne und drohten den Männern und Frauen am anderen Ufer mit ihren großen Messern. Sie vollführten einen wilden unheimlichen Tanz. Da fasste sich der schon alte Andreas Gumpner ein Herz, riss einem der Männer seinen Spieß aus der Hand, lief auf die wild strömende Pfaffl zu, stach den Spieß in den Bachgrund und flog über das Wasser hinweg. Auf der anderen Seite waren die Perchtln so erschrocken, dass sie sich erst zu wehren begannen, als Andreas bereits drei von ihnen auf einmal mit dem Spieß durchbohrt hatte. Mit übermenschlichen Kräften rammte der den Stab mit den durchbohrten Perchtln in den Boden. Dann nahm er die umstehenden Perchtln, einen nach dem anderen und brach ihnen das Genick. Alles war voller Perchtlblut. Andreas riss sich das Hemd vom Leib und stand mit nacktem Oberkörper im Regen. Als alle Perchtln tot in einem Kreis um den Spieß lagen, befreite Andreas die gefangenen Kinder.
Ein Mann, schon alt, hatte nur mit der Kraft des Zorns ein Wunder vollbracht und alle Kinder des Dorfes gerettet. Langsam kamen die anderen Männer und die Frauen über die Pfaffl herüber und bejubelten die Tat. Andreas ging in seinen Hof und brachte Holz, Brennalkohol und Feuer. Das zuletzt gefangene Kind, das den Perchtln am längsten Widerstand geleistet hatte, ließ er ein riesiges Feuer entfachen, das alle Perchtln verbrannte. Alle Russlacher ließ Andreas beim Blut der Perchtln den Schwur leisten, dass sie sich stets gegen die Perchtln wehren sollten und ihren Kindern immer Schutz vor den Zwergenungeheuern bieten wollten.
Die Himmelskreuzler
Bericht von Joseph Kiener. Fortsetzung
In der Messe direkt nach unserem Goaßweg-Ausflug war die ganze Saillerbagage von Benno da. Der Alois, die Lisi, die Mimi, die Mutter und der Vater. Alle Knechte und Mägde waren da. Nur die Oma fehlte, aber die lag schon lange in der Sterbekammer. Und der Benno selbst war natürlich auch nicht dabei.
Nach der Kirche ging ich mit den anderen Männern zum Frühschoppen. Ich setzte mich neben den Saillerbauern und fragte ihn nach seinem Sohn.
»Jetzt kommt noch so ein Depp und scheißt sich wegen dem Viechfieber ein. Keiner von uns hat es! Und jetzt schleich dich. Wallermaul. Und nimm deine Bratzen von den Buben!«
Wallermaul. Das riss ein paar Wunden auf. »Wer ist schiacher als ein Gaul? Der Wallermaul, der Wallermaul«, »Du bist noch greisliger als deine Karpfen« oder »Da hat deine Mutter dich als Kleinkind in den Weiher fallen lassen und statt dir einen Waller raus geholt und aufgezogen.«
In der Schulzeit war ich wegen meines Aussehens, aber auch wegen der Fischzucht meiner Familie Wallermaul genannt worden. Lange hatte es mich nicht wirklich gestört. Es war ein Spitzname wie viele andere auch. Batzen, Hosenloch, Schneckerl. Dachte ich. Erst als ich mich wie die anderen Buben für Mädchen zu interessieren begann, wurden der Name und mein damit einhergehendes Aussehen zum Problem für mich. Während die anderen alle möglichen Lieb- und Freundschaften hatten, wurde ich vom Sonderling zum vollkommenen Außenseiter. Und selbst als die Sache mit meiner Familie passierte, der Selbstmord vom Knecht, das Feuer und alles und ich alleine da stand, wurden die Sprüche der Oberpfaffinger nicht besser. Eher schlimmer. Denn ich war jetzt noch alleiner. Ohne Eltern und vor allem ohne den Bruder, der mich als einziger Seppi genannt hatte und nie auf meinem Aussehen herumgeritten hatte, obwohl er immer, im Gegensatz zu mir, so schneidig gewesen ist. Er hat sich auch nie für mich geschämt oder vor seinen Freunden Witze über mich gemacht. Wie die anderen. »Dieser Wurm ist für unser Wallermaul. Friss!« Der Bruder hatte mich mit auf den Waldplatz zum Biersaufen und Schwammerlfressen genommen. Zuschauen, wie die anderen an der Elsi herumfummelten. Träumen, dass ich das auch eines Tages darf. Als der Bruder tot war, hörte es natürlich auf und ich durfte nicht mehr mit. Irgendwann hatte ich mich an das Alleinsein und die Witze und Sprüche gewöhnt und das Geschäft der Eltern weitergeführt, mich zusammengerissen und einfach weitergelebt. Aber mit den Scheißoberpfaffingern hatte ich seitdem nichts mehr zu tun.