smartphone geht vor. Thomas Schutz
(Greenfield: Facebook Home could change our brains, Web.) Ihre Argumente schwappten von populärwissenschaftlichen Zeitschriften zu internationalen Tageszeitungen, von Blogs zu Talkshows und waren in der wachsenden Debatte, was das Internet mit unserem Gehirn macht, viel beachtet. In dieser Debatte ging und geht es auch heute noch meist um die folgenden Fragen:
•Wenn wir online gehen, betreten wir dann eine Welt, die flüchtiges Lesen, überhastetes und oft abgelenktes Denken als auch oberflächliches Halbwissen fördert? (vgl. Carr, 2010)
•Werden gerade junge Menschen durch die digitalen Medien passiv, unfähig zu Empathie (vgl. Zaki: What, me care?, Web.), intellektuell seicht und oberflächlich (vgl. Carr, 2010), unkritisch und desensibilisiert, depressiv und aufmerksamkeitsgestört (vgl. Choudhury/McKinney, 2013; vgl. Derbyshire, 2009; vgl. Small/Vorgan, 2008)?
•Beschädigt oder beschleunigt Videospielen unser Gehirn? (vgl. Bavelier et al., 2011)
•Ist der unkontrollierte, obsessive Gebrauch digitaler Technologien verantwortlich für die offensichtlichen Veränderungen im Lernverhalten der jüngeren Generationen? (vgl. Grimley, 2012)
•Macht das Internet uns süchtig (vgl. Greydanus/Greydanus, 2012) und Google uns dümmer oder smarter? (vgl. Carr, 2010)
•Wie beeinflussen die digitalen Medien den Schul- und Studienerfolg? (vgl. Duncan et al., 2012)
Diese Fragen als Ausdruck einer Sorge über neue Technologien haben eine lange Geschichte: Vor über 2.500 Jahren warnte Sokrates vor der Einführung des Lesens und Schreibens. Bei der Einführung des Buchdrucks wurde gleichwohl vor den sozialen und kognitiven Auswirkungen von Massenmedien gewarnt. Doch was ist dran an den heutigen Vorbehalten? Gibt es wissenschaftlich belastbare Erkenntnisse?
|Abb. 7| Aktivitätsmuster von interneterfahrenen Probanden der Leseaufgabe (links) und der Internetsuchaufgabe (rechts)
Dr. Gary Small (2009), Professor für Psychiatrie und Biobehavioral Sciences und Parlow-Solomon Professor on Aging an der UCLA School of Medicine, führte hierzu folgendes Experiment durch: Er bat 24 Probanden im Alter von 55 bis 76 Jahren jeweils mit und ohne Interneterfahrung, einige Internetsuchen durchzuführen, wobei er über funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT oder fMRI) die Gehirnaktivitäten der Teilnehmer beobachtete. Dabei zeigte sich u.a., dass Probanden mit Interneterfahrung bei den Internetsuchaufgaben im Gegensatz zu den Leseaufgaben signifikant erhöhte Aktivität in Regionen aufwiesen, die das Entscheiden, das Sehen und das komplexe Schlussfolgern kontrollieren |Abb. 7|.
|Abb. 8| Direkter Vergleich der Aktivitätsmuster von internetunerfahrenen (in Blau) und interneterfahrenen Probanden (in Rot)
Beim direkten Vergleich der Aktivitätsmuster von internetunerfahrenen (|Abb. 8| links in Blau) bzw. -erfahrenen (|Abb. 8| rechts in Rot) Probanden zeigte sich neben dem obigen Befund eine mehr als doppelt so große Aktivierung bestimmter Gehirnaktivitäten. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Aktivierung während einer Internetsuchaufgabe bei Probanden mit Internetvorerfahrung signifikant größer war als ohne Internetvorerfahrung. Small et al. schlussfolgern, dass die Internetvorerfahrung eine Änderung der Reizempfänglichkeit in den neutralen Netzwerken bewirkt haben könnte, die das Entscheiden und das komplexe Schlussfolgern kontrollieren. Bezüglich der obigen Fragestellung, ob das Internet das menschliche Gehirn verändert, kann anhand dieser Ergebnisse gesagt werden: Ja, und zwar umfangreicher als das Lesen eines Textes allein. Bedeutet dies aber auch, dass beispielsweise Google unser Gehirn smarter macht? Hier weist Small zu Recht darauf hin, dass eine erhöhte Gehirnaktivität nicht notwendigerweise gleichzusetzen ist mit einer besseren Gehirnaktivität.
Die Studie von Erping Zhu (1999) ist hierfür ein treffendes Beispiel. Zhu testete u.a. den Einfluss von Links auf das Lernverhalten von Studierenden, indem sie Studierende bat, einen digital präsentierten Text zu lesen, in welchem die Anzahl der Links variiert wurde. Sie konnte anhand eines anschließenden Wissenstestes zeigen, dass mit zunehmender Anzahl von Links im Text die Ergebnisse im nachfolgenden Test signifikant schlechter wurden, und zwar unabhängig davon, ob die Studierenden auf den Link klickten oder nicht. Erklärt wird dieser Befund damit, dass das Gehirn – auch wenn der Link nicht angeklickt wurde – entscheidet, den Link nicht zu klicken, was von der eigentlichen Aufgabe ablenkt und zu einem Cognitive Overload führen kann.
Die Cognitive Load Theory beruht auf der Annahme, dass Lernen mit kognitiver Belastung verbunden ist. In dieser Theorie wird dem Arbeitsgedächtnis eine besonders wichtige Funktion beim Wissenserwerb zugeschrieben. Prozesse der Problemlösungs- und Informationsverarbeitung laufen dort ab. Doch es wird davon ausgegangen, dass die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses begrenzt ist und nur eine bestimmte Menge an Informationen aufrechterhalten werden kann. Verfügt das Arbeitsgedächtnis über keine ausreichende Kapazität, kann es kognitiv überlastet werden. Ein effektives Lernen ist dann nicht möglich. Man spricht vom Cognitive Overload. |
Eveland und Dunwoody (2001) kamen in ihrer Studie zur Selbstkontrolle zu dem Ergebnis, dass die Verlinkung in Artikeln eine so große Herausforderung darstellen kann, dass die kognitiven Ressourcen eher dafür aufgewendet werden, um die Navigation zu meistern, als sich auf das Lernen an sich zu konzentrieren.
Demgegenüber zeigt die viel zitierte Studie von Green und Bavelier, die von der weltweit führenden Wissenschaftszeitschrift Nature 2003 veröffentlicht wurde, auf, dass eine Gruppe von jungen Probanden nach 10-tägigem Videospielen an einem Computer die Geschwindigkeit signifikant erhöhen konnte, mit der sie ihren visuellen Focus zwischen verschiedenen Bildern und Aufgaben verlagerten.
Colzato et al. (DOOM’d to switch, Web.; 2006) konnten ferner zeigen, dass durch Videospielen neben visuellen und auditiven Fertigkeiten auch die kognitive Flexibilität gefördert wurde: Videospielende Probanden erzielten in Ravens IQ-Test (Fluid Intelligence) signifikant höhere Werte als nichtvideospielende Probanden. In diesem Sinne ist eine höhere Geschwindigkeit und Effizienz in der Reiz- und Informationsverarbeitung vorteilhaft für die kognitiven Funktionen. Dass dies aber auch seine natürlichen Grenzen zu haben scheint, konnten Ophir et al. (2009) zeigen: Chronische Heavy-media-Multitasker schnitten in Task-switching-ability-Tests schlechter ab als Light-media-Multitasker. Erklärt wurde dieser Befund dadurch, dass chronische Heavy-media-Multitasker eine verminderte Fertigkeit ausgebildet hatten, irrelevante, interferierende Reize herauszufiltern.
Die renommierte Entwicklungspsychologin Dr. Patricia Greenfield fasste 2009 in einem Science[5]-Artikel 40 Veröffentlichungen über Effekte verschiedener Medien auf die Intelligenz und die Lernfähigkeit zusammen:
»The informal learning environments of television, video games, and the Internet are producing learners with a new profile of cognitive skills. This profile features widespread and sophisticated development of visual-spatial skills, such as iconic representation and spatial visualization.« (Greenfield: Society should wake up to harmful effects of internet, Web.)
Neben diesen Vorteilen des neuen Profils kognitiver Fertigkeiten weist sie aber gleichwohl auf die einhergehenden Schwächen in höheren kognitiven Prozessen hin und empfiehlt – neben dem Ablassen vom Info-Crunching – eine balancierte Mediendiät zur Entwicklung aller kognitiven Funktionen:
»Formal education must adapt to these changes, taking advantage of new strengths in visual-spatial intelligence and compensating for new weaknesses in higher-order cognitive processes: abstract vocabulary, mindfulness, reflection, inductive problem solving, critical thinking, and imagination. […] education therefore requires a balanced media diet using each technology’s specific strengths in order to develop a complete profile of cognitive skills.« (ebd.)
Bevor im nächsten Kapitel ein Überblick