Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft. Группа авторов
Brockhoff
I. Einführung
Die verbandliche Caritas als institutionelle Nächstenliebe der katholischen Kirche organisiert seit den Nachkriegsjahren mit der Einführung des verfassungsrechtlich garantierten Subsidiaritätsprinzips für wertgebundene gemeinnützige Rechtsträger der freien Wohlfahrtpflege eine kontinuierlich wachsende Zahl von hauptberuflich und ehrenamtlich diakonisch tätigen Menschen.1 Das geschah bis Mitte der 90er Jahre doppelt geschützt. Einerseits konnte sich der kirchliche Dienst in Form der Dienstgemeinschaft, die bei der Aushandlung der Interessen auf Streik und Aussperrung verfassungsrechtlich geschützt verzichten darf, im Windschatten des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes, der sonst nahezu flächendeckend für die Sozialwirtschaft galt, entwickeln und organisieren. Zum andern war den Rechtsträgern der freien Wohlfahrt das von ihnen organisierte Angebot ökonomisch sicher, solange man sich mit dem Zuschussgeber bezüglich des Hilfeangebotes einig war, da dieser dann automatisch die volle Refinanzierung aller relevanten Kosten garantierte (Selbstkostendeckungsprinzip).
Mit zunehmender Säkularisierung der Gesellschaft verlor nicht nur das Wertgebundene – bei der verbandlichen Caritas das Christlich/Katholische – seine Selbstverständlichkeit in der Bevölkerung und bei vielen Zuschussgebern. Zug um Zug wurden auch die vorgenannten Schutzmechanismen in Frage gestellt. Die katholische Kirche und ihre verbandliche Caritas reagierten wie andere Verbände der freien Wohlfahrt mit praktischen Anpassung und es gelingt bisher – entsprechend der stetig wachsenden Bedeutung der Sozialwirtschaft am gesamten Geschehen der deutschen Volkswirtschaft – die freie Wohlfahrt in den meisten Bereichen auf einem adäquaten Wachstumspfad zu halten. Gleichwohl waren die Wachstumsraten der privatgewerblichen Rechtsträger vor allem in der Gesundheits- und Altenhilfe seit Mitte der neunziger Jahre ungleich höher. Dieser hohe Anpassungsdruck durch Säkularisierung und Ökonomisierung hat die verbandliche Caritas an vielen Stellen vor hohe ethische Herausforderungen gestellt. Dem schnellen Anpassungsdruck neu entstehender caritativer Unternehmen konnte die Theoriebildung und verbandliche Strukturierung naturgemäß nur nachgelagert folgen. Diese Entwicklung der nachgelagerten theoriebildenden Prozesse sollen im Weiteren überblickshaft analysiert und zukunftsbezogen weiter angeregt werden.
II. Die Entwicklung des Arbeitgeber- und Unternehmerverbandes als Bestandteil im Caritasverband als Verband der freien Wohlfahrtspflege
1. Die Entwicklung des Arbeitgeberverbandlichen
Zwar werden seit Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter der Caritas trägerübergreifend für den gesamten Verband zwischen Mitarbeitervertretern und Dienstgebervertretern ausgehandelt. Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und die Bedingungen der Refinanzierung durch Staat und Kirche waren aber so ausgerichtet, dass man sich bis Mitte der 1990er Jahre auf die nahezu vollständige Übernahme der Regelungen des öffentlichen Dienstes geeinigt hatte. Die Regelung einiger kirchlicher und verbandlicher Besonderheiten des Dienstes in der Caritas ließen sich in einigen von einer zentralen Geschäftsstelle vorbereiteten Treffen der Mitarbeiter- und Dienstgeberseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission regeln.
Mit der Eröffnung eines Sozialmarktes für privat/gewerbliche Dienstleister (im Weiteren Einführung von Angebotswettbewerb in die Sozialwirtschaft benannt) Mitte der neunziger Jahre änderten sich die Verhältnisse. Arbeitsbedingungen in der Sozialwirtschaft wurden zum Teil individuell oder betriebsbezogen verhandelt und eine sehr unübersichtliche Zahl von Regelungen der Arbeitsbedingungen in der Sozialwirtschaft entstand.
Damit erhöhte sich auch der Regelungsdruck im organisierten Dritten Weg des Caritasverbandes zur Aushandlung der Arbeitsbedingungen. Der Verband reagierte darauf einerseits mit der Ermöglichung, die bundesweiten Regelungen regional- und in besonderen Fällen auch betriebsbezogen zu differenzieren. Andererseits entstanden innerhalb des Verbandes ausdifferenzierte Verhandlungskompetenz-Strukturen auf Mitarbeiter- wie Dienstgeberseite, die in Teilen durchaus Gemeinsamkeiten mit gewerkschaftlichen bzw. arbeitgeberverbandlichen Strukturen aufweisen. Diese Strukturen beschränken sich dabei nicht nur auf die Unterstützung der Aushandlungsprozesse für die Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes, sondern haben Zug um Zug auch arbeitsmarktpolitische Funktionen in Bezug auf die Marktordnung des sozialwirtschaftlichen Arbeitsmarktes auf Bundes- und Landesebene übernommen.
Im Caritasverband kamen seit Anfang des Jahrtausends verstärkte Bemühungen hinzu, dem sich abzeichnenden und inzwischen akut gewordenen Personalmangel am Arbeitsmarkt zu begegnen. Das Arbeitgeberverbandliche drückt sich darin aus, nicht nur die Marken der eigenen Unternehmen, sondern auch die Marke Caritas als Dachmarke der Arbeitgebermarken zu profilieren. Mitarbeiterbezogene Ziele sind wegen des zunehmenden Arbeitskräftemangels immer bedeutender geworden. Das betrifft auch die ordnungspolitischen Herausforderungen in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Dabei sind ordnungspolitische Ziele, trotz aller tarifpolitischen Gegensätze, häufig von Dienstgeberund Mitarbeiterseite zusammen betrieben worden.
2. Die Entwicklung des Unternehmerverbandlichen
Da es sehr unterschiedliche Unternehmensbegriffe gibt, könnte man die Einrichtungen bzw. Betriebe der Träger caritativer Dienstleistungen im Caritasverband der Diözese Rottenburg Stuttgart alle als Unternehmen definieren. Dann wäre der Caritasverband schon immer auch ein Unternehmensverband gewesen und die betriebswirtschaftlichen Austauschrunden der früheren Verwaltungsleiter der Einrichtungen wären ein entsprechender verbandlicher Kommunikationsort.
Sinnvoll erscheint aber für die weiteren Betrachtungen auf Unternehmensdefinitionen zurückzugreifen, die Unternehmen als Teilmenge von Betrieben beschreiben. Danach sind nur solche Betriebe auch Unternehmen, bei denen Unternehmer ein wirtschaftliches Risiko (in der Regel bis zur Insolvenzgefahr) eingehen, um ein unternehmerisches Ziel im Wettbewerb mit anderen (in der Regel an einem Markt organisiert) zu erreichen. Das müssen nicht nur privat/gewerbliche Unternehmen, sondern können auch frei/gemeinnützige Unternehmen sein. Diese frei/gemeinnützigen Unternehmen nehmen das unternehmerische Risiko dann eben nicht mit der Zielsetzung der Ausschüttung von Gewinnen auf sich, sondern in der Regel um ein ethisch begründetes Sachziel bzw. Hilfeziel zu verwirklichen. Da dies in der Regel nachhaltig geschehen soll, sind auch solche Unternehmen auf Gewinne angewiesen, um die notwendigen Zukunftsinvestitionen zu finanzieren.
Derartige frei gemeinnützige Unternehmen im Caritasverband zu schaffen, war ebenfalls in größerem Umfang erst mit der Eröffnung eines Sozialmarktes Mitte der 1990er Jahre notwendig, auf dem nun privat/gewerbliche und frei/gemeinnützige Träger von sozialen Dienstleistungen konkurrieren.
Die Unternehmen im Caritasverband sind gut beraten, eigene Strategien zu Produkt-, Finanz- und Personalpolitik zu entwickeln, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen. Ebenso gilt es die Wettbewerbsordnung und die Logik des Absatzmarktes in den Blick zu nehmen und – wo notwendig – politisch zu beeinflussen. Im Caritasverband haben sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends verbandliche Kommunikationsorte auf allen oben genannten Politikfeldern gebildet und die alten Austauschrunden zur Optimierung der Refinanzierung durch Staat oder Kirche bzw. zur guten betriebswirtschaftlichen Organisation des Verwaltungshandelns erweitert oder vollständig ersetzt. Zug um Zug haben so unternehmerverbandliche Elemente in die Verbandsentwicklung Einzug gehalten.
III. Entwicklung nachgelagerter Theorien für caritatives Unternehmertum und des kirchlichen Dienstes in der Phase der Defensive
1. Ursachen der defensiven Ausgangslage
Caritatives Unternehmertum war – wie beschrieben – in seiner Entstehung keineswegs eine offensiv gewollte Strategie, sondern der Entwicklung der Rahmenbedingungen geschuldet. Zwar gab es in der Caritas allgemein schnell die Position, dass man Wettbewerb nicht ablehne, sondern sich diesem offensiv stellen wolle. Eine Theoriebildung dazu existierte jedoch nicht, sie konnte nur nachgelagert erfolgen. Zunächst rieb man sich an zentralen Widersprüchen auf:
• Sind caritatives Unternehmertum und flächentarifliche Regelungen, insbesondere die im kirchlichen Dienst, noch miteinander vereinbar? Die private Konkurrenz lehnte jedenfalls Flächentarife ab und punktete damit anfangs stark im Angebotswettbewerb.