Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft. Группа авторов
Entwicklung des Sozialstaates bundesdeutscher Prägung ist neben den Kämpfen der Arbeiterbewegung und der aus ihnen hervorgegangenen Gewerkschaften untrennbar mit der aktiven Rolle der Kirchen und freien Wohlfahrtsverbände verbunden. Ausgehend von Johann Heinrich Wichern im Bereich der evangelischen Kirche und Adolph Kolping im Bereich der katholischen Kirche gab es schon im 19. Jahrhundert jenseits der Amtskirche auch in den großen Kirchen Bestrebungen, sich der aufkommenden sozialen Frage zuzuwenden. Mit der festen Verankerung der christlichen Soziallehre in beiden Kirchen und der Institutionalisierung vor allem in den Diakonischen Werken sowie dem Caritasverband in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts erlangte diese Orientierung eine konsistente theologische Basis und eine feste Struktur. Mit dem Deutschen Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen Gesamtverband und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland sind die beiden großen Sozialwerke der Kirchen seit Gründung der Deutschen Liga der freien Wohlfahrtsverbände 1925 und mit der Wiederbegründung nach dem 2. Weltkrieg integraler Bestandteil der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Sie sind mit Ihren Tätigkeiten und Einrichtungen prägend für den subsidiär und plural verfassten Sozialstaat. Sie stehen im Wandel ihres Wirkens gleichermaßen für die Fortentwicklung von der Armenhilfe zur gesetzlich geregelten Fürsorge, bei der nicht mehr soziale Wohltaten, sondern individuelle Rechtsansprüche die Grundlage des modernen Sozialstaats bilden.
In diesem Rahmen engagieren sich die Kirchen und ihre Sozialwerke als Institutionen sowie die zahlreichen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute durch ihre Arbeit und ihr Handeln für unsere Gesellschaft. Als Träger des Sozialstaatsgedankens sind sie ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Rechtsstaates (Art. 20 GG). Mit ihrem Einsatz, ihrer Überzeugung und ihrem Engagement tragen sie zum solidarischen Gedanken, der eine wichtige Stütze unserer Gesellschaft ist, in wesentlichem Maße bei. Das Wirken der Kirchen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist damit ein integraler Teil unserer Vorstellung einer intakten sozialen, sich kümmernden Gesellschaft. Im Kontext des Handelns der christlichen Kirchen wird diese säkulare Beschreibung mit dem christlichen Begriff der „Nächstenliebe“ übersetzt.“5
III. Die Kirchen folgen diesem Auftrag
In der Tat, wie fruchtbar und vielfältig das soziale Engagement der Kirchen ist, zeigt sich schon im Blick auf den Haushalt des Erzbistums Köln. Jeder, der will, kann hier zum geplanten Einsatz der Mittel 2019 nachlesen:
„Bildung: 78 Millionen Euro: Das Erzbistum ist Träger von 32 Schulen mit rund 23.000 Schülerinnen und Schülern. Einen Großteil der Betriebskosten übernimmt das Land Nordrhein-Westfalen. Den übrigen Aufwand sowie die Bereitstellung der Gebäude trägt das Erzbistum.
Kindertagesstätten: 56 Millionen Euro: In rund 550 katholischen Kindertagesstätten werden täglich rund 40.000 Kinder betreut. Das Erzbistum finanziert Teile der Betriebs- und Sachkosten und fördert Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen. Caritas: 57 Millionen Euro: Neben mehr als 100 Beratungsstellen betreibt die Caritas Pflegeeinrichtungen sowie Zentren für Integration und Migration. Das Erzbistum übernimmt in den Einrichtungen der Caritas zwischen 25 und 75 Prozent der Personal- und Betriebskosten.“6
Dies ist nicht hoch genug zu schätzen in Zeiten knapper werdender Mittel. Mehr als 1.200 Euro für jedes Kind in einem kirchlichen Kindergarten – ob es katholisch ist oder nicht. Noch höher die Summe für jede Schülerin und jeden Schüler. Welche andere Organisation als die Kirchen stellt das auf die Beine?
IV. Mehr noch: Christen prägen diesen Auftrag
Die Kirche übernimmt mit ihrer institutionalisierten Caritas gesellschaftliche Aufgaben. Und das gilt gleichermaßen für die Diakonie wie für die Caritas und ihre Sozialverbände (z. B. SkF, SKM oder IN VIA). Aber mehr noch: Christen zeigen überdurchschnittlich viel ehrenamtliches Engagement – nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch darüber hinaus.7 Die Kirche bietet in diesem Zusammenhang eine wichtige institutionelle Plattform für dieses gesellschaftliche Engagement – bzw. eine Möglichkeit zum Andocken dieses Engagements. Ein Beispiel: Im Rahmen der großen Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 entstanden gerade im Umfeld vieler Pfarreien Flüchtlingsinitiativen, in denen sich auch Menschen engagierten, die nicht zur Kerngemeinde gehörten oder regelmäßig am Gottesdienst teilnehmen.
Wenn im Sinne des oben zitierten Böckenförde-Theorems8 Ökonomie und Staat von Voraussetzungen leben, die sie selbst nicht garantieren können, bedarf es neben schulischer auch außerschulischer Lernorte, an denen nicht-eigennütziges Tun oder gesellschaftliches Engagement gelernt werden können und ohne die unser Gemeinwesen nicht funktioniert. Hierin liegt der große gesellschaftliche Beitrag von Vereinen und Verbänden (so ein Ergebnis des DJI-Jugendsurveys 2003) – und damit auch von kirchlichen Jugendgruppen wie -verbänden: Indem sie Frei- und Spielräume bereitstellen, fördern sie die Subjektwerdung des Menschen und werden zu Übungsfeldern sozialen und demokratischen Handels. In diesem Sinne verweisen z. B. kirchliche Jugendverbände auf die Bedeutung nichtformeller bzw. informeller Bildung wie von außerschulischen Lernorten in ihrer Unterschiedenheit und als Komplement zu den Bildungsinstitutionen, insofern sie Kompetenzen und Tugenden (Respekt, Fairness, Teamwork, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft, Zivilcourage, Disziplin …) vermitteln, welche Schule nicht (bzw. nicht alleine) zu vermitteln vermag, auf die sie aber zugleich angewiesen ist.9
Bildung kann nur angemessen erfasst werden, wenn die Vielfalt der Bildungsorte und Lernwelten in ihrer Eigentümlichkeit und in ihrer wechselseitigen Ergänzung wahrgenommen werden. Zwei Formen der Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen lassen sich unterscheiden: auf der einen Seite die selbst organisierten Aktivitäten – auf der anderen Seite Aktivitäten in einer pädagogisch betreuten bzw. in einer von Vereinen (Pfarrgemeinden, kirchliche Jugendgruppen etc.) institutionalisierten Jugendfreizeit.
Das heißt: Im Bildungsengagement der Kirche ist die außerschulische Bildung und Erziehung ein ebenso wichtiger Bereich wie die institutionelle Bildung (Kindertageseinrichtungen, Schulen, Religionsunterricht). Mit ihren Bildungsinstitutionen tragen die Kirchen dabei nicht unwesentlich zu einer sinnstiftenden und werteorientierten Erziehung bei.10 Durch die Präsenz der Kirche vor Ort ist eine große Reichweite in den unterschiedlichen sozialräumlichen Strukturen und Milieus gegeben.
Darüber hinaus engagieren sich aber auch außerhalb des Bildungssektors kirchliche Verbände, wirken in ihren Sozialraum hinein, leisten einen Beitrag zur Kinder- oder Seniorenbetreuung etc. D.h. auch hier leisten kirchliche Verbände einen Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt.
Noch ein weiterer Befund ist interessant: Sowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen lässt sich ein indirekter Zusammenhang zwischen der Anerkennung christlich-religiöser Werte und der Akzeptanz von Rechtsnormen nachweisen. Das heißt: Je wichtiger einer Person diese christlichen Werte sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die gesellschaftlichen Rechtsnormen akzeptiert und damit auch gesellschaftlich integriert ist. In diesem Sinne leistet die christliche Religion einen Beitrag zur normativen Integration und damit zum Zusammenhalt in der Gesellschaft.
V. Ein Kölner spricht es aus
Schon diese macht deutlich: Wir wollen die Kirchen - und vielleicht sogar: wir brauchen die Kirchen - als Partner. Und so hat ein berühmter Kölner schon vor mehr als 60 Jahren ausgesprochen, dass nicht nur das soziale Engagement, das die Institutionen leisten, wichtig für unsere Gesellschaft ist, sondern mehr noch, Ihr Bemühen, die Notwendigkeit der Nächstenliebe im Bewusstsein eines jeden einzelnen zu verankern. Heinrich Böll, unbequemer Katholik und doch so ernsthafter Christ, schrieb:
„Ich überlasse es jedem einzelnen sich den Alptraum einer heidnischen Welt vorzustellen oder eine Welt, in der Gottlosigkeit konsequent praktiziert würde: den Menschen in die Hände des Menschen fallen zu lassen … Unter Christen ist Barmherzigkeit wenigstens möglich, hin und wieder gibt es sie: Christen, und wo einer auftritt, gerät die Welt in Staunen. 800 Millionen Menschen auf dieser Welt haben die Möglichkeit, die Welt in Erstaunen zu setzen. Vielleicht machen einige von dieser Möglichkeit Gebrauch. Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil