Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard
Gewalt verknüpft – dem Klimawandel und dem menschlichen Elend, die hinter ihr lagen, und dem Einbruch eines chiliastischen Glaubenseifers, der ihr vorauseilte.
Die politischen Kollateralschäden der Mongoleneinfälle hatten bis 1260 zur Entstehung dreier mächtiger Königreiche im Südwesten Eurasiens geführt. Zwei davon waren mongolisch – die Goldene Horde am Unterlauf der Wolga und in der Steppe nördlich des Schwarzen Meeres sowie die Ilchaniden im Iran, in Mesopotamien und im Kaukasus mit Täbris als Hauptstadt. Das dritte war das Sultanat der Mamluken, das nicht Mongolen, sondern Sklavenoffiziere aus dem Turkvolk der Kipçak gegründet hatten, die 1250 ihre ayyubidischen Herren stürzten und die Macht in Kairo an sich rissen. Die Mamluken beherrschten Ägypten, Arabien und die syrische Küstenebene. In diesen drei großen Königreichen und deren Dunstkreis stritten von der Donau bis zum oberen Euphrat und Tigris Dutzende slawischer, lateinischer, griechischer, armenischer und türkischer Edler und Fürsten, deren Namen längst vergessen sind, heftig und oftmals gewaltsam um die Kontrolle über die Endpunkte der großen eurasischen Handelsrouten. Diese Herren hießen auf Türkisch „Emire“, daher der Begriff „Emirate“ für ihre Kleinkönigreiche. Zu den vielen türkischen Emiren zählten Osman und Orhan, doch die stärkste Position hatte das griechische Adelsgeschlecht Michaels VIII. Palaiologos, Regent des griechischen Königreichs Nikaia, der im Jahr 1261 Konstantinopel von den lateinischen Kreuzfahrern zurückeroberte.
Der byzantinische Bürgerkrieg
Die regionalen Gegebenheiten, unter denen Orhans kleines türkisches Emirat erstmals ein wichtiger Faktor in dieser größeren Welt wurde, bestanden aus einer dynastischen Krise in Byzanz. Hinter dieser Krise steckten größere Fragen sowohl der orthodoxen Glaubenstradition als auch der internationalen Politik. In den Jahren nach der Wieder herstellung der griechischen Herrschaft über Konstantinopel setzte Michael VIII. auf langfristige Sicherheit für Byzanz, sowohl durch ein Bündnissystem mit dem Königreich Ungarn und den Türken und Mongolen der Steppe nördlich des Schwarzen Meeres als auch durch Vereinigung der orthodoxen Kirche mit Rom. In den Augen zahlreicher Orthodoxer, Kleriker wie Laien, waren Ehebündnisse mit Nachbar dynastien – sei es mit der Tochter des Königs von Ungarn oder der Tochter des Tatarenkhans – ebenso sehr Politik. Die Kirchenunion mit Rom jedoch – die 1274 auf dem Konzil von Lyon besiegelt wurde – erregte Abscheu, und Michaels Nachfolger Andronikos II. (1282–1328) ignorierte sie. Am Ende konnte die Politik Byzanz nicht retten, steuerte die Kirche jedoch in schwere Prüfungen und letztendlich in einen Wandel. Andronikos II. verwaltete das paradoxe Nebeneinander aus byzantinischem Souveränitätsverlust und sich ausbreitender orthodoxer Erneuerung in den slawischen Ländern. Diese Neubelebung zeigte sich besonders an der mystischen Bewegung der Hesychasten, die sich aus Klostergemeinschaften heraus stürmisch entwickelte. Heimat des Hesychasmus war der Berg Athos, dessen zahlreiche Klöster auf einer Halbinsel in der Ägäis lagen.
Der Konflikt wurde zum offenen Bürgerkrieg, als der damalige Kaiser 1341 starb und den neunjährigen Johannes V. als Erben hinterließ. Der Hof spaltete sich in zwei Parteien. Auf der einen Seite fanden sich als Unterstützer des Jungen seine Mutter, die Kaiserinwitwe Anna von Savoyen, der griechisch-orthodoxe Patriarch und der Großadmiral. Sie plädierten für die Vereinigung mit Rom als Mittel, das Reich durch militärischen Beistand zu stärken. Ihnen schwebte ein wiedererrichtetes Byzanz nach dem Muster der lateinischen Seehandelsstaaten vor. Unterstützt wurden sie dabei durch viele griechische Stadtbewohner.15 Auf der anderen Seite führte der Großdomestikos Johannes Kantakuzenos, ein mächtiger General und Militärberater bei Hof, die Opposition gegen die Kaiserin und ihre Partei an. Kantakuzenos hatte die Rückendeckung der meisten anderen begüterten Aristokraten in Thrakien sowie jener orthodoxen Christen aller Schichten, die gegen eine Vereinigung mit Rom waren. Entscheidend war, dass Kantakuzenos außerdem die Unterstützung des Mönches Gregorios Palamas, des Anführers der Hesychas-ten, hatte.
Die Sympathien für den Hesychasmus bildeten die geistliche Dimension des dynastischen Konflikts. Als Bewegung der persönlichen Erneuerung kreiste der Hesychasmus um das innere Gebet und verwendete das Jesusgebet, das „Gebet des Herzens“, als Meditationsübung. Diese schlichte Gebetsformel, Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner, führte zu heftigem Streit. Zwar hatte der Hesychasmus uralte Wurzeln in der griechischen Spiritualität, doch seine Einführung auf dem Berg Athos im frühen 14. Jahrhundert n. Chr. war die Geburtsstunde einer geistlichen Erneuerungsbewegung. Als türkische Raubzüge in den 1320er-Jahren ein zeitweiliges Ausweichen nach Saloniki erzwangen, kam der Hesychasmus aus seiner monastischen Ecke und wurde zur Massenbewegung. Kritiker griffen ihn als vernunftfeindlich an und spotteten über seine Vorschriften zur yogaartigen Kontrolle der Atmung, doch die Predigten und Schriften des Gregorios Palamas stellten die Bewegung auf festen theologischen Boden. Palamas deutete die Erfahrung des Gläubigen im kontemplativen Gebet als Begegnung mit Gottes Energien in Gestalt des Lichts, desselben Lichts, das Christus auf dem Berg der Verklärung umleuchtet hatte. Rabiat wurde der theologische Schlagabtausch wegen der Unterscheidung, die Palamas zwischen den Energien Gottes und dem Wesen Gottes machte; letzteres sei unzugänglich und unbegreiflich. Der entscheidende Punkt für Palamas war, dass die Theologie allein ungeeignet sei, wahre Gotteserkenntnis hervorzubringen – die Mysterien Gottes überstiegen jede rationale Beschreibung. Die einzige Hoffnung auf Erlösung sei ein Wandel der Seele durch das wahre Licht der Gnade Gottes. In den Augen vieler griechischer Aristokraten, die der wachsende Einfluss italienischen Handelsdenkens beunruhigte, war die hesychastische Spiritualität Ausdruck einer authentischen griechischen christlichen Identität.16 Obwohl es Ausnahmen gab, waren Hesychasten wie Palamas in der Regel starke Unterstützer von Kantakuzenos und widersetzten sich einer Vereinigung mit Rom aus tiefster Seele.17
Karte 1.2: Das Umland der Ägäis
Als Kantakuzenos sich im Herbst 1341 in Thrakien aufhielt, führten der Patriarch und die Kaiserin in der Hauptstadt einen Putsch durch. Sie beschlagnahmten Kantakuzenos’ Vermögen und ließen seine Mitstreiter, darunter Gregorios Palamas, einkerkern. Im Gegenzug erklärte Kantakuzenos sich zum Mitkaiser des Kinderkaisers Johannes V. und ernannte Palamas zum Erzbischof von Saloniki. Doch ein der Kaiserin wohlgesinntes „Zeloten“-Regime übernahm die Herrschaft in Saloniki und hinderte Palamas daran, sein Amt anzutreten, und der Hesychasmus wurde vorerst offiziell verurteilt. Palamas wanderte in den Kerker, und Kantakuzenos floh nach Priština, wo er fast ein Jahr unter dem kühl-berechnenden Schutz des slawischen Königs Stefan Dušan stand. Sobald Kantakuzenos abreiste, wechselte Dušan die Seiten, verlobte seinen Sohn mit der Schwester des Kinderkaisers18 und plünderte ganz Makedonien mit Ausnahme von Saloniki.
Beide byzantinischen Lager suchten Verbündete unter Adligen und Nachbarn, nicht nur bei den Slawen, sondern auch unter den italienischen Stadtstaaten, deren Kolonien in der Ägäis und den zahlreichen türkischen Emiren entlang der Ägäis- und Schwarzmeerküste. Die Kaiserin trat an Orhan heran, fädelte aber nach einer frostigen Reaktion stattdessen die Unterstützung durch Orhans südlichen Nachbarn ein. Kantakuzenos holte sich beim türkischen Emir der Troas eine Abfuhr,19 gewann aber die Rückendeckung des Emirs von Aydın, des mächtigsten aller türkischen Emirate an der Ägäis. Aydın entsandte eine Flotte und Truppen nach Thrakien und verheerte die italienischen Handelsstützpunkte auf den ägäischen Inseln. Doch im Oktober 1344 eroberten die vereinten Truppen des Papstes, Venedigs, des Königs von Zypern und der Johanniter den Hafen und die Zitadelle von Smyrna, eine Niederlage, von der sich Aydın nie wieder ganz erholte.
Nun wandte sich Kantakuzenos an Orhan. Durch Orhans Eheschließung mit Kantakuzenos’ zweiter Tochter, Theodora, besiegelten sie ein dauerhaftes Bündnis.20 2000 türkische Krieger unter Führung von Orhans Söhnen schlossen sich Kantakuzenos’ Sohn Matthaios auf einem Feldzug an, um Stefan Dušan zu vertreiben und Thrakien zu plündern. Die Palastfraktion um die Kaiserin ersuchte um einen Waffenstillstand, und 1347 zog Kantakuzenos siegreich in Konstantinopel ein. Er ließ sich vom Patriarchen krönen und gab seine dritte Tochter, Helena, dem jungen Johannes V. zur Frau, der wie geplant sein Mitregent wurde. Um seine Unterstützung zu demonstrieren, feierte und jagte Orhan gemeinsam mit Kantakuzenos am Bosporus gegenüber von Konstantinopel.21 Kantakuzenos leitete