Das Osmanische Reich. Douglas Dozier Howard
als Erzbischof in Saloniki niederlassen.
Der Schwarze Tod und das Marmara-Erdbeben
Keine sechs Monate nach dem Festgelage am Bosporus erreichte der Schwarze Tod Konstantinopel. Die Pest traf das Ägäisbecken innerhalb nur einer Generation in zwei Wellen, erst 1348 und dann wieder 1361. Indem sie Eurasien auf den binnenländischen Handelswegen durchquerte, verwüstete sie das Khanat der Goldenen Horde, dann breitete sie sich von den Schwarzmeerhäfen auf der Halbinsel Krim in die Ägäis und das Mittelmeer aus und gelangte über den Kaukasus ins mongolische Täbris. Von dort aus schlug die Epidemie 1348 in Mossul und Bagdad zu. Eine armenische Quelle erwähnt sie am oberen Euphrat. Im Jahr darauf wütete sie an allen Küsten der Ägäis und des Mittelmeers sowie auf Zypern.
Ibn Battuta verlor durch die Seuche seine Mutter. Er wurde Zeuge der Gebete, des Fastens und der Prozessionen, die als Antwort auf die Epidemie im Sommer 1348 in Damaskus abgehalten wurden. „Die ganze Bevölkerung der Stadt schloss sich an“, schrieb er.
Die Juden zogen aus mit ihrem Buch des Gesetzes und die Christen mit ihrem Evangelium, bei sich ihre Frauen und Kinder; die ganze Versammlung in Tränen und demütigem Flehen begriffen, mit dem sie die Gnade Gottes kraft seiner Bücher und seiner Propheten anriefen. Sie zogen zur Moschee der Fußabdrücke und verharrten dort in Bittgebeten und Anrufungen bis beinahe Mittag, dann kehrten sie zur Stadt zurück und hielten das Freitagsgebet ab.22
„Die Verzweiflung war ganz entsetzlich“, schrieb Kantakuzenos über die Situation in Konstantinopel. Er und seine Frau sahen ihren jüngeren Sohn sterben, und „zu der Seuche gesellte sich die schwere Last der Bedrückung“. Für Kantakuzenos war die Epidemie eine Prüfung Gottes, die die Menschen zu tugendhaftem Handeln trieb. „Viele verteilten ihre Habe an die Armen, noch ehe die Seuche sie getroffen hatte. Sahen sie irgendwann erkrankte Menschen, war nicht einer unter ihnen so herzlos, dass er nicht Reue für die von ihm begangenen Sünden zeigte …“23
Abb. 1.2: Der heilige Gregorios Palamas auf einer Ikone vom Berg Athos. Mit freundlicher Genehmigung der Skite des Heiligen Isaak von Syrien
Als Kantakuzenos 1352 seinen überlebenden Sohn Matthaios zum Kaiser krönen ließ, flammte der Bürgerkrieg in Konstantinopel neu auf. Am Ostersonntag machte Stefan Dušan sich in Skopje zum „Kaiser der Serben und Römer“ und rüstete zum Krieg. Wieder einmal nahm Kantakuzenos Kontakt mit den Türken auf. Teil der neuen Abmachung war, dass Truppen unter dem Kommando von Orhans Sohn Süleyman die Festung Tzympe auf der Halbinsel Gallipoli besetzten. Die Lage verschlechterte sich, als Konstantinopel von einer galoppierenden Inflation heimgesucht wurde. Der verzweifelte Palast bat Gregorios Palamas um Vermittlung.
Palamas und sein Mönchsgefolge segelten nach Konstantinopel und fuhren im März 1354 während eines späten Wintersturms in die Dardanellen ein. Nur mühsam gelang ihrem Boot die Landung in Gallipoli. Dort fanden sie ein Bild nackten Elends vor. Am vorausgehenden Samstagabend, dem Vorabend zum Fest der Orthodoxie (dem ersten Sonntag der Fastenzeit), hatte ein Erdbeben die gesamte Gegend dem Erdboden gleichgemacht. Noch im 160 Kilometer weiter östlich gelegenen Konstantinopel spürte man starke Erschütterungen.24 Gallipoli war einschließlich seiner Stadtmauern völlig zerstört und mit Flüchtlingen aus den umliegenden Städten und Dörfern überfüllt. Das Beben machte „nicht nur Gebäude und Besitz, sondern auch Leiber und Seelen … zur Beute für die Hunde und jede Art Aasvögel … menschliche wie nicht menschliche“.25 Viele starben in der eisigen Kälte, in Schnee und Regen, „besonders Frauen und Neugeborene“. Gleich nach dem Erdbeben, so erfuhr Palamas, hatte Orhans Sohn Süleyman die Dardanellen überquert und Gallipoli besetzt. Jetzt enterten türkische Truppen Palamas’ Boot und setzten den Erzbischof und seine Mitreisenden fest.
Als Palamas fast ein Jahr später aus der Gefangenschaft freikam, hatte sich alles verändert. Süleyman hatte Gallipoli stärker als zuvor wieder erbaut. Wie Kantakuzenos gehofft hatte, hatten türkische Ritter zwar Stefan Dušan besiegt, doch gingen sie nun in ganz Thrakien auf Raubzüge und belagerten Konstantinopel. Das Zerbröckeln seiner politischen Position zwang Kantakuzenos zum Thronverzicht.
Die Türken und Europa
Mittelalterliche und moderne Beobachter haben die osmanische Einnahme von Gallipoli 1354 als den symbolischen Anfang der türkischen Expansion nach Europa betrachtet. So schilderte beispielsweise der byzantinische Autor Kritobulos die Überquerung des Hellespont (der Dardanellen) in Worten, die bewusst an Herodots berühmte Beschreibung der Invasion Griechenlands durch Xerxes anknüpften, und nannte Orhans Truppen sogar „die Perser“.a
Aber die Osmanen waren nicht die ersten Türken, die die Meerengen überquerten, und ohnehin verloren sie Gallipoli 1366 (eroberten es aber 1373 zurück). Seit mindestens drei Jahrhunderten waren Menschen aus der zentraleurasischen Steppe in die gesamte Region eingewandert. Wahrscheinlich kamen die ersten Türken von Europa nach Kleinasien statt umgekehrt.b Selbst die geographischen Begriffe sind nicht unveränderlich – in der Antike galt eine andere „Bosporus“-Meerenge, nämlich die zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer, als die Trennlinie zwischen Europa und Asien, nicht etwa die bei Byzanz gelegene.c Die Wanderungen halbnomadischer Türken und Indoeuropäer beschränkten sich keineswegs auf das byzantinische Kleinasien.d Spätestens im Jahr 1200 stellten die Türken ein bleibendes Element der Gesellschaften auch in den slawischen Königreichen und in Ungarn dar. In keiner dieser Beziehungen bildeten die Meerengen zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis eine ausgeprägte Trennungslinie.
Zeitgenössische Beobachter sahen die Bedeutung der osmanischen Besetzung von Tzympe und Gallipoli anders. Sie bescherte den osmanischen Heeren eine vorgeschobene Basis auf der Bithynien gegenüberliegenden Seite der Meerengen, von der aus man Thrakien plündern oder auch Konstantinopel von der Landseite her bedrohen konnte – keine Kleinigkeit für die Osmanen, die damals nur eine dürftige Flotte besaßen.
aKritovoulos, The History of Mehmed the Conqueror, S. 21–27. [Aus Stilgründen wurden Begriffe aus der griechischen Klassik seit der römischen Kaiserzeit gern für Völker, Länder etc. in der jeweiligen Gegenwart zweckentfremdet, was zu Verwirrung führen kann (A.d.Ü.).]
bSinor, „Réfléxions sur la presence Turco-Mongole“, Neudruck in: Sinor, Studies in Medieval Inner Asia.
cO. Pritsak, „The Role of the Bosporus Kingdom“, in: Ascher / Halasi-Kun / Király (Hrsg.), Mutual Effects, S. 3–21.
dZachariadou, „The Oğuz Tribes“.
Murad Hüdavendigâr und die Eroberung Thrakiens
Zwar endete der Bürgerkrieg in Byzanz, doch so bald kehrte kein Friede ein, da Stefan Dušans instabiles slawisches Königreich bei seinem Tod in Konflikten zwischen seinen Erben und Vasallen zerfiel. Bei den daraus resultierenden anarchischen Zuständen in Thrakien spielten türkische Raubscharen sicher eine Rolle und nutzten sie aus, doch war es auch die türkische Eroberung, die nach Jahrzehnten destruktiver Gewalt die Rückkehr von Stabilität und öffentlicher Ordnung brachte.
Nicht Süleyman, der bei einem Jagdunfall ums Leben kam, schloss die osmanische Eroberung Thrakiens ab, sondern Murad, ein anderer Sohn Orhans. Er folgte auf Orhan nach einem Streit mit seinem jüngsten Bruder Halil, dessen Mutter Theodora war, die Tochter von Kantakuzenos. Griechische Piraten entführten Halil und hielten ihn in Konstantinopel fest. Man arrangierte eine Ehe zwischen Halil und der Tochter Kaiser Johannes’ V. zur Festigung der byzantinischen Verbindungen mit dem potenziellen osmanischen Erben,26 doch diese Pläne zerschlugen sich, als Murad Halil besiegte. Der Krieg zwischen den beiden osmanischen Brüdern wuchs sich zu einer großangelegten Eroberung der türkischen Emirate in den Küstenregionen Kleinasiens und am Westrand der Hochebene aus. Viele türkische Emire kapitulierten ebenso wie der christliche Stadtstaat Philadelphia.
Westlich der Meerengen bedeutete Murads Eroberung von Edrene (Adrianopel oder Edirne) am Zusammenfluss der Flüsse Tundscha und