Litersum - Musenfluch. Lisa Rosenbecker

Litersum - Musenfluch - Lisa Rosenbecker


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so klein, wie kann es hier drinnen so riesig sein?«

      Ich blickte hinauf zu der Decke der Bibliothek, die unerreichbar schien. Sie hing noch höher als die der ZwiBi und dort war der Anblick schon atemberaubend. Aber das hier …

      »Magie«, antwortete ich und zwinkerte der jungen Frau zu.

      Sie grinste und nickte. »Ich sehe schon, Zauberer verraten nie ihre Tricks.« Mit großen blauen Augen gesellte sie sich zu den anderen zurück, die durch die Gänge zwischen den Regalen streiften und sich gegenseitig versicherten, dass sie wirklich hier waren und auch dasselbe sahen.

      Dabei wussten sie nicht einmal, wo »hier« war. Sie dachten, sie wären in einer unfassbar gut gemachten Pop-up-Buchwelt gelandet, die sich auf die Räumlichkeiten aus einem aktuellen Bestseller spezialisiert hatte. Doch in Wirklichkeit waren sie im Litersum – und mitten in der Geschichte, die sie so liebten. Ein Raunen ging durch die Gruppe, als sich die vermeintlichen Schauspieler zeigten. Dabei waren es die echten Charaktere aus dem Buch. Nun, so echt man als Fiktion eben sein konnte. Die Mädchen kreischten begeistert und auch die Jungen, die heute hergekommen waren, betrachteten die Charaktere staunend. Nun wurden doch die Handys gezückt und Selfies geschossen. Interessanterweise war es bei diesen wie bei den Buchcharakteren selbst – sowohl in »echt« als auch auf den Fotos sahen sie unterschiedlich aus. Je nachdem, wie sich der Betrachter einen gewissen Charakter vorstellte. Diese Tatsache war mir zumindest zum Teil schon durch meine Gespräche mit anderen Anti-Musen wie mir bekannt gewesen. Dass es sich auch auf die Fotos auswirkte, hatte ich später in den Foren erfahren, über die ich die Termine für die nächste Pop-up-Buchwelt verkündete. Dort gab es hitzige Diskussionen über das Aussehen der »Schauspieler«. Fast so ausschweifend wie vor ewigen Zeiten bei einem gewissen Kleid, das für manche weiß-gold und für andere blau-schwarz war. Zum Glück bohrten meine Kunden bei mir nicht tiefer nach und akzeptierten darüber hinaus ein paar Dinge, die unerklärlich waren, um sich selbst die Illusion nicht zu zerstören. Wie zum Beispiel, warum man den Innenraum des Ladens erspähte, wenn man kurz vor dem Besuch der Pop-up-Welt durch das Fenster nach drinnen blickte, und nicht das, was einen dann hinter der Tür erwartete. Oder wieso es ebenjener Buchladen war, der nur fünf Minuten nach den Besuchen wieder durch die Tür betreten werden konnte, während von der anderen Welt nichts mehr zu sehen war.

      Vor den Terminen sorgte Lauren, die Inhaberin, dafür, dass der Eingang abgeschlossen war und sich keiner vorab in den Laden verirrte und noch verwirrter war, wenn er anschließend direkt in die Pop-up-Welt eintauchte. Eigentlich war es schade, dass die Menschen ihren Glauben an Magie selbst dann nicht zuließen, wenn sie direkt von ihr umgeben waren. Ich stieß sie mit der Nase darauf, und trotzdem suchten sie in allem die Logik oder speisten sich selbst mit fadenscheinigen Erklärungen ab. Hauptsache, nichts gefährdete ihre Realität. Dafür zogen sie sich dann doch lieber in Bücher und Geschichten zurück. Vielleicht behalf sich das Litersum aber auch mit einem kleinen Trick und pflanzte diese Zweifel an der Existenz von Magie selbst in den Köpfen der menschlichen Besucher ein, um sich zu schützen. Wer wusste schon, was geschehen würde, wenn die Menschen tatsächlich erkannten, dass es Magie wirklich gab? Nein, es war vermutlich besser so, wenn meine Kunden mit diesen schönen Lügen leben konnten.

      Während sich die Buchverrückten mit den Charakteren unter­hielten, die diese Besuche dank der sich bietenden Abwechslung guthießen, zog ich mich in eine Regalreihe zurück und zückte meine Geldbörse. Ich steckte die losen Scheine aus meiner Jackentasche hinein und zählte dabei sicherheitshalber noch mal nach. Doch es war alles da, jeder der heute Anwesenden hatte seine zwanzig Pfund bezahlt. Damit würde ich über die nächsten Wochen kommen.

      Ich gähnte. Vielleicht sollte ich mir mal wieder eine richtige Cola gönnen, um die Müdigkeit zu vertreiben, die sich seit Wochen an mich klammerte wie eine nervende Klette. Der Konkurrenzdrink, den ich während meiner Schichten im Heartbreak Hotel zu mir nahm, war einfach nicht damit zu vergleichen. Ich überschlug kurz die noch anstehenden Kosten für die Woche und lächelte zufrieden, als mein Budget einer guten Cola zustimmte.

      »Hallo, Riley«, sagte plötzlich eine tiefe Stimme neben mir. Ich drehte mich um. River Heart, einer der Helden des Romans, in dessen Welt wir uns befanden, war wie aus dem Nichts aufgetaucht und lehnte neben mir an einem der Regale. Die Arme vor der Brust verschränkt, schaute er freundlich zu mir herab. Seine hellblonden, fast schon weißen Haare glänzten im Sonnenlicht. Kein Wunder, dass so viele der Leserinnen und Leser ihm verfallen waren. Ich kannte das Buch nicht, aus dem er stammte, hatte kein eigenes Bild von ihm, daher erschien er mir so, wie sich die Autorin ihn erdacht hatte. Bereits bei unserer ersten Begegnung waren mir seine schönen blauen Augen aufgefallen. Darauf achtete ich bei jedem, den ich traf, als Erstes. Sie enthüllten die wahre Natur einer Person. Ob Mensch oder Buchcharakter. Denn so gut Charaktere auch von ihren Schöpfern ausgearbeitet worden waren, ihren Augen fehlte doch dieses gewisse Etwas. Bei den Bureal-Kindern, die eine Mischung aus beiden darstellten, war das nicht der Fall.

      »Hi«, grüßte ich zurück. »Hast du schon genug von deinen Verehre­rinnen?« Ich beugte mich vor und schaute an ihm vorbei. In ein paar Meter Abstand warteten einige der Mädchen mit gezückten Handys darauf, dass er sein Gespräch mit mir beendete. Ob ihnen auffiel, dass sie hier keinerlei Empfang hatten?

      »Habe ich nie«, gab River säuselnd zurück. »Ich wollte nur fragen, ob du gedenkst, deinen Teil der Abmachung einzuhalten.« Er streckte die Hand aus.

      »Wie konnte ich das nur vergessen?« Ich wühlte im Chaos meiner Tasche herum, bis ich fand, was er verlangte. Er grinste, als ich ihm den Schokoriegel überreichte. Genauso wie es verboten war, Dinge aus dem Litersum in die echte Welt zu bringen, war es untersagt, Dinge aus der echten Welt in einer Buchwelt zu hinterlassen. Von einigen Ausnahmen mal abgesehen. Aber hey, es war ebenfalls verboten, Scharen an Buchverrückten in das Litersum zu führen, also machte ein Schokoriegel mehr oder weniger auch keinen Unterschied. River hatte seine Vorliebe für das süße Zeug bei seinem letzten Besuch in der echten Welt entdeckt, hatte ohne Geld und sonstige Bekannte dort aber Schwierigkeiten, ranzukommen. Deswegen hatten wir einen Deal ausgehandelt. Sein Schweigen über meine Aktivitäten in seiner Buchwelt im Gegenzug für ein paar Schokoriegel. War nur fair. Und wesentlich leichter zu erfüllen als die teilweise wahnwitzigen Forderungen anderer Charaktere aus Buchwelten, bei denen ich die Besuche dann leider nicht umsetzen konnte.

      Denn auch nach den Vorkommnissen vor einem halben Jahr, bei denen eine Anti-Muse eine Buchwelt gerettet und damit unseren Ruf aufpoliert hatte, waren die Vorbehalte gegenüber den Bureal-Kindern wie mir noch immer da. Nicht jeder wollte sich mit uns abgeben, und noch weniger würden meine halb-legalen Besuche im Litersum toleriert werden, die ich seitdem aufgenommen hatte. Wobei der legale Teil daran lediglich meine Anwesenheit war. Dass ich Menschen dafür Geld abknöpfte … Es war besser, niemand erfuhr davon. Vor allem jetzt, da Mnemosyne, ich nannte sie die Herrscherin über das Litersum, und Mrs Patton von der Musenagentur eine Einheit aufbauten, die wie eine Art Polizei das Geschehen im und um das Litersum beobachtete und im schlimmsten Fall auch sanktionierte. Die dazu gegründete und im Knotenpunkt angesiedelte Taskforce META, die unter der Schirmherrschaft von Emma Holmes und Thia Watson stand, steckte noch in den Kinderschuhen, pflegte aber bereits jetzt Kontakte zur Polizei der echten Welt, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein. Zudem wurde sie aktuell von Bureal-Kindern und Buchcharakteren unterstützt, die Seite an Seite arbeiteten, um welten- und universenübergreifende Angelegenheiten, quasi auf der Metaebene, zu regeln. Für das Litersum hatte diese Entwicklung nur Vorteile, für jemanden wie mich eher nicht.

      »Ich danke dir«, sagte River, ohne den Blick von dem Schokoriegel zu lösen. Er steckte ihn in die Tasche seiner Leinenhose, tippte sich kurz an den Kopf und zog von dannen. Seine Bewunderinnen erwarteten ihn schon. Die Mädchen wechselten sich damit ab, gemeinsam Fotos mit ihm zu schießen.

      Genau eine Stunde ließ ich den Buchliebhabern, dann trommelte ich alle zum Aufbruch zusammen. Traurig, aber mit einem begeisterten Glitzern in den Augen fanden sie sich wieder vor der Tür ein, durch die wir gekommen waren. Ich zählte sie kurz durch, kam auf dreizehn und scheuchte sie zurück in die echte Welt. Sie unterhielten sich aufgeregt, zeigten sich ihre Fotos und kamen aus dem Schwärmen über die Schauspieler, die voll in ihren Rollen aufgegangen waren, gar nicht mehr heraus. Wenn sie wüssten …

      »Wann


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